Regierungssprecher Steffen Seibert: Ein verschwiegener Gefolgsmann
Unter Journalistenkollegen gilt er vor allem als Verkäufer, er selbst sieht sich als demokratischer Mittler. Wer ist dieser Steffen Seibert wirklich?
Der Nachmittag ist angebrochen; die Sonne wirft blasse Lichtstreifen auf das dunkle Parkett. Steffen Seibert hat sich an den Konferenztisch gesetzt. Fast 50 Minuten nimmt er sich Zeit; das ist lange für einen Mann, der es nicht mag, über sich zu reden. Aber es gibt keinen Moment, in dem er nicht auf der Hut ist, wachsam, damit bloß nicht mehr sichtbar wird, als er zeigen will.
Als er sieht, wie der Fotograf durch sein Büro schleicht, um die richtige Perspektive zu finden, fährt er hoch, argwöhnisch: Da könnten private Dinge liegen. Aber schon der Gedanke an private Dinge scheint wie ein Verstoß in diesem kühl geordneten Saal, der so hoch und weit ist, dass die Menschen verzwergen. Um ihn hängen Ölbilder; seine Frau hat sie gemalt, das Schädelmotiv bei der Tür und die nächtliche Straße an der Seite.
Es ist drei Jahre her, dass die Kanzlerin Seibert zum Sprecher ihrer Regierung gemacht hat. Drei Jahre, in denen er sich fast daran gewöhnt hat, wie leicht in seinem Berufsalltag etwas schiefgehen kann. Aus dem „heute“-Moderator ist ein Staatssekretär geworden, Chef des Bundespresseamtes mit 460 Mitarbeitern.
„Natürlich gibt es eine gewisse Gewöhnung an Spannungssituationen“, sagt er, „aber du hast immer das Gefühl, es kann etwas Unvorhergesehenes passieren, es kann eine ganz schwierige Situation entstehen.“ Normalerweise verbringt er viel Zeit mit Merkel, folgt ihr zu ihren Terminen. Das ist dieser Tage anders. Merkel reist zu ihren Wahlkampfauftritten. Ihr Sprecher bleibt in Berlin und tut, was er auch sonst tut. Versucht, das Bild zu vermitteln, dass die Regierung einig und zum Wohl der Bürger handelt. Nur hängt von diesem Eindruck vor der Wahl mehr ab als zu anderen Zeiten.
Nüchtern und affektlos wie die Kanzlerin
Seine kalibrierten Sätze, sein korrektes Auftreten haben dazu beigetragen, dass ihm der Ruf des Glatten und Farblosen anhängt. Er käme nie auf die Idee, die guten Umfragewerte Merkels seiner Arbeit zuzuschreiben. Aber mit seiner nüchternen, affektlosen Rhetorik spiegelt er die Art der Kanzlerin. Dass Merkel so beliebt ist, hat viel mit der Sehnsucht der Deutschen nach Seriosität und Berechenbarkeit zu tun. Die Kanzlerin steht für solche Werte, ihr Sprecher trägt sie weiter in die Öffentlichkeit.
Niemand stellt in Frage, dass Seibert dicht dran ist an Merkel. Wenn man mit Hauptstadtjournalisten spricht, entsteht das Bild eines Sprechers, der fleißig ist, bestens vorbereitet, sich aber schwertut zu analysieren. Er gilt als Vermittler, anders als einige seiner Vorgänger aber nicht als eigenständiger politischer Kopf.
„Er passt zu Merkel wie die Faust aufs Auge. Er hat ihr absolutes Vertrauen, weil er verlässlich die Schnauze hält“, sagt Dieter Wonka, Korrespondent der Leipziger Volkszeitung. „Er ist in der Lage, vorausschauend Probleme zu erkennen und glättend einzugreifen. Aber aus journalistischer Sicht ist er eine einzige Enttäuschung.“ Seibert lässt nichts durchblicken, das über die offiziellen Mitteilungen hinausgeht. Keine Stimmung, kein Detail. Und wenn Wonka „Mutti“ sagt und Merkel meint, weise er ihn jedes Mal zurecht: Das ist die Bundeskanzlerin. „Er sieht sich eher als Dienenden als als Handelnden.“ Wonka kommt ein Zitat aus den Film „Blues Brothers“ in den Sinn: „Unterwegs im Namen des Herrn“. Er lauscht seinem Einfall nach und sagt: „Das trifft Seiberts Amtsverständnis.“
Ein Mittag im August, gleich beginnt die Regierungspressekonferenz. Die Sprecher der Ministerien sitzen bereits, nur in der Mitte ist noch ein Platz frei. Pünktlich auf die Minute hastet Seibert hinein. Die blaue Rückwand lässt ihn noch blasser aussehen, als er ist. Die Journalisten wollen an diesem Tag über ein sensibles Thema sprechen: Finanzminister Schäuble hat erstmals eingeräumt, dass Griechenland weitere Hilfen brauchen wird. Ob darüber im Kabinett gesprochen wurde? Seibert sagt: „Da gibt es nichts Neues. Deswegen war das auch kein Grund, das Thema heute im Kabinett aufzunehmen.“ Er sitzt nie ganz still, seine Finger verknoten und lösen sich, tasten über sein Gesicht. Und wenn er Fragen abwehrt, nimmt seine Stimme oft einen harten, schnippischen Ton an.
Ein Mann, der die Oper liebt
Im Schutz seines Büros fällt ein großer Teil der Anspannung von ihm ab. Aber sobald ihm das Gespräch zu nah kommt, verschränkt er seine Hände vor sich auf dem Tisch, so als wolle er Schutzabstand schaffen.
Seibert ist ein religiöser Mann, 53 Jahre alt, der die Oper liebt. Die Bundespolitik war ihm völlig neu, als er sein Amt übernahm. Er hatte nicht viel Zeit zu lernen. Inzwischen ist er Teil des engsten Kreises um Merkel. Sein Tag im Büro beginnt um sieben Uhr früh; da hat er bereits die Online-Portale gelesen und die Nachrichten vom Vortag auf dem iPad angeguckt. Oft macht er sich erst in der Nacht auf den Heimweg.
Seine Lieblingsoper, „Cosi fan tutte“ von Mozart, handelt von einer Treueprobe. Zwei Paare geraten in allerhand Wirrungen. Es kommt zum Verrat, doch die Geschichte bleibt leicht und heiter.
Intrigen und Verrat gibt es auch in der Politik, und so mancher ist daran bereits gescheitert. Auf Seibert aber kann Merkel sich voll verlassen. Das ist viel wert im Politikbetrieb – gerade in der Zeit vor der Wahl. „Loyalität ist das A und O, wenn man so eng auf dieser politischen Höhe zusammenarbeitet“, sagt er. „Ich kann mir nicht vorstellen, wie es anders gehen sollte.“ Er kann noch begeistert von seiner Arbeit erzählen. Dass seine Freude daran nicht nachgelassen hat. Doch wenn man mehr wissen will, was seine Motivation ausmacht, verschließt sich sein Gesicht.
"Steffen im Wunderland"
„Die Quintessenz ist, dass er am Anfang schlicht nicht wusste, wie ein Sprecher arbeitet“, sagt einer, der sich im Regierungsbetrieb auskennt. „Er hat damals wahnsinnig viel gestaunt – ’Steffen im Wunderland‘, haben wir gesagt.“ In den Medien sei er damit schlecht weggekommen. „Daraus hat er seine Lehren gezogen.“ Er beschreibt einen Mann, der immer im Stress ist, aber immer höflich, und sich auf der Arbeit nie zankt. „Und abends geht er nicht mit Journalisten saufen, sondern ist für seine Familie da.“
Seibert hat die Beiträge nicht vergessen, die anfangs über ihn geschrieben wurden. In einem wurde er als „Merkels Dackel“ bezeichnet. Er tut, als könne er das an sich abperlen lassen. Aber in seiner Stimme schwingt eine Bitterkeit mit, die er nicht wieder losgeworden ist, bis heute nicht.
Es war ihm schon immer unangenehm, über sich selbst zu reden. Das lag auch an seinem Beruf: Nachrichtenmoderatoren sollen als neutrale, professionelle Instanzen wahrgenommen werden; jedes private Detail kann diesen Eindruck stören. Für Regierungssprecher gilt das noch viel mehr. Man weiß, dass Seibert in Hannover aufgewachsen ist und mit seiner Frau drei Kinder hat. Nach dem Studium hat er beim ZDF angefangen. Dort blieb er 21 Jahre lang.
Es gibt Journalisten, die ihm eine gewisse Eitelkeit vorwerfen, aber das trifft es nicht. Er ist von der Großartigkeit seiner Stelle überzeugt, nicht von seiner eigenen. „Ich weiß schon, wenn ich manchmal etwas hätte besser machen können“, sagt er. „Solche Momente habe ich. Wer die nicht hat, muss ein toller Typ sein, aber ich habe die.“ Am Anfang sind ihm ein paar Fehler passiert, drei, vier Mal. Dann nie wieder.
Er ist vorsichtig geworden, sehr vorsichtig. Am Ende des Gesprächs legt er fest, dass nur drei, vier Zitate verwendet werden dürfen. Dass Zitate genehmigt werden müssen, ist üblich, ihre Anzahl zu begrenzen, ungewöhnlich. Seibert aber will nicht, dass zu viele Worte aus seinem Büro in die Welt dringen, wo sie dann herumschwirren, ohne dass er sie kontrollieren kann.
Die Angst vor der Schlagzeile
Wenige Tage zuvor schiebt er sich durch eine Menschenmenge; die Regierung hat zum Tag der offenen Tür eingeladen. Im Hof des Bundespresseamts sind Wurst- und Kuchenstände aufgebaut. Seibert wirkt gelöst, schüttelt Hände, strahlt, gibt Autogramme.
Dann tritt er auf die Bühne. Die Besucher dürfen Fragen stellen. Ein Mann meldet sich. „Man kennt Ihr Gesicht aus dem Fernsehen und sieht, wie der Druck Sie verändert hat. Was fordert Sie am meisten?“ Verschränkte Arme, schnippischer Ton. „Ich würde sagen, das Leben verändert einen. Das find ich normal.“ Dann lächelt er wieder, zudem sei er im ZDF geschminkt gewesen, „das lässt einen ziemlich gut aussehen“. Die Leute lachen, er lässt den Scherz wirken, wird ernst: „Du musst dir im Klaren sein, dass alles, was du sagst, jederzeit ne fette Schlagzeile sein kann. Diese Verantwortung ist schon ein Stück anstrengend. Denn ich kann da nicht falsch liegen.“
Seibert muss los; er hat noch Termine. Als er in der Menge verschwindet, steigt ein Sänger auf die Bühne; es erklingt „What a Wonderful World“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja