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RegierungsbildungDie Bonusrepublik wagen!

Es braucht eine letzte Groko, um alle Grokos zu beenden

Volker Best

lehrt am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn.

No Groko oder Not-Groko, das ist hier die Frage. Taten sich die Sozialdemokraten 2013 mit dem abermaligen Gang in die Große Koalition schwer, so grassiert anno 2017 die „Oppositionitis“ – nicht nur bei der SPD.

Die Politikwissenschaft unterstellt Parteien drei Ziele: Regierungsmacht, Programmverwirklichung und Wählerstimmen. Das Verhältnis dieser Ziele ist mit der Entwicklung zum Sechs-Fraktionen-Parlament aus dem Gleichgewicht geraten. Die lagerinternen Bündnisse Schwarz-Gelb und Rot-Grün, in denen die Parteien ihre Programme mit nur kleinen Abstrichen realisieren könnten, haben kaum noch Chancen auf eine Mehrheit. Wenn insgesamt rund 20 Prozent der Stimmen auf Parteien entfallen, die für die Regierungsbildung nicht zur Verfügung stehen, kann von den beiden Lagern nur eines 50 Prozent erreichen, wenn das andere desolat abschneidet (maximal 30 Prozent).

Die daher zur Regel werdenden lagerübergreifenden Koalitionen bedeuten aber mindestens ebenso viel Programmverwässerung wie -verwirklichung. Sie schädigen die Markenkerne der beteiligten Parteien und verprellen ihre Anhänger. Weniger Programmdurchsetzung, weniger Stimmen – das können auch Ministersessel nicht mehr aufwiegen. Dass sich die Parteien solchen Bündnissen zunehmend entziehen, ist insofern verständlich, und nicht illegitim: Das Antreten zur Wahl bedeutet zunächst nur den Wunsch nach parlamentarischer Vertretung, nicht nach Beteiligung an einer – erst recht nicht: jedweder – Regierung. Bloße Verantwortungsappelle gehen daher fehl.

Da Neuwahlen derzeit aber wohl keine neuen Machtoptionen ergeben würden und die stets Stabilität predigenden Unionsparteien sich auf Minderheits- und Kooperationsregierungen kaum einlassen dürften, sollte die SPD sich doch noch einmal zu einer Groko bereit finden – unter zwei Bedingungen: Erstens sollte das Bündnis, das 2013 auch die Union auf vier Jahre beschränkt wissen wollte, nicht auf acht, sondern nur auf sechs Jahre verlängert werden. Zweitens müsste es ein Wahlsystem schaffen, das Anfang 2020 endlich wieder klare Mehrheitsverhältnisse und „Koalitionen der Willigen“ ermöglicht, statt „Koalitionen der Unwilligen“ zusammen zu zwingen. Die SPD sollte also eine letzte Groko eingehen, um damit Grokos und (Schw-)Ampeleien in Zukunft überflüssig zu machen: Not-Groko jetzt für No Groko später.

Reformvorbild sollte die bis vor kurzem in Italien geltende Verhältniswahl mit Mehrheitsbonus sein. Die Parteien könnten dann entweder in Koalitionen (Schwarz-Gelb und Rot-Grün) zur Wahl antreten oder alleine (AfD und bis auf Weiteres auch Die Linke). Die Wählerinnen und Wähler entschieden sich nach wie vor für eine Partei, aber im Bewusstsein von deren, gewissermaßen „eingeloggten“, Wunschkoalitionen. Die stärkste Formation, ob Koalition oder einzelne Partei, bekäme eine knappe Sitzmehrheit. Diese würde unter den Wahlsiegern proportional aufgeteilt, die übrigen Sitze unter den Wahlverlierern. Voraussetzung für die Zuteilung des Mehrheitsbonus wäre das Überwinden einer Mindestschwelle von 40 Prozent. In Italien war das Wahlsystem wegen des Fehlens einer solchen Mindestschwelle für verfassungswidrig erklärt worden.

Mit einem verfassungsfesten Mehrheitsbonus würden die Wähler wieder echten Einfluss auf die Regierungsbildung gewinnen, die die Parteien derzeit auf Grundlage uneindeutiger Mehrheitsverhältnisse unter sich ausmachen. Die etablierten Parteien könnten im Rahmen der Lagerkoalitionen ihre Markenkerne besser wahren und ihre Wähler besser mobilisieren. Insofern sollten sie eigentlich alle ein Interesse an einer solchen Reform haben. In diesem Fall könnte man den Mehrheitsbonus ins Grundgesetz aufnehmen und so auf Dauer etablieren.

Wir brauchen bis 2020 ein Wahlsystem, das wieder klare Mehrheitsverhältnisse ermöglicht

Die SPD würde mit einer solchen Reform nicht nur an ihren Helden Willy Brandt anknüpfend „mehr Demokratie wagen“. Dank Mehrheitsbonus hätte sie auch endlich wieder eine realistische eigene Machtperspektive vorzuweisen. Deren Fehlen dürfte der Hauptgrund ihres schlechten Abschneidens bei den letzten drei Bundestagswahlen gewesen sein. Noch so populäre Forderungen nützen der SPD wenig, wenn sie nicht glaubhaft machen kann, diese auch in einer arithmetisch realistischen Koalition umsetzen zu können. Mit den Grünen könnte sie im Falle eines Siegs über Schwarz-Gelb tatsächlich Systemwechsel wie die Bürgerversicherung realisieren. Der Union wären solch weitreichende Reformen allenfalls als Schmalspurversionen abzutrotzen, die geringe Wirkung entfalten dürften abgesehen von jener, einen potenziellen Wahlkampfschlager unbrauchbar zu machen – siehe Mietpreisbremse. Neben der Laufzeitverkürzung der Groko und der Wahlsystemreform sollte die SPD sich daher auf solche Forderungen konzentrieren, die ohne große inhaltliche Abstriche und kurzfristig umzusetzen sind (etwa Ende sachgrundloser Befristungen und Deckelung der Managergehälter).

Staats- und Parteiräson gingen bei der Einführung eines Mehrheitsbonus Hand in Hand, selbst falls Union und FDP seine ersten Nutznießer sein sollten. Martin Schulz hat die SPD nach der Wahl mehrfach als „Bollwerk der Demokratie“ bezeichnet. Die Leistung, durch den Gang in die Opposition der AfD die rein symbolische Oppositionsführerschaft zu verwehren, vermag diese Selbststilisierung kaum zu rechtfertigen. Schließlich hätte die AfD im Gegenzug das Monopol auf die Kritik einer Jamaika-Regierung von rechts erhalten. Bei einer Groko erwächst ihr hier wenigstens Konkurrenz durch die FDP. Ein Mehrheitsbonus aber würde das unterlegene Bündnis als bei der Folgewahl chancenreiche „Regierung im Wartestand“ zum natürlichen Adressat für Wählerfrust machen. Die Populisten könnten sich nicht länger als einzige „echte“ Alternative gerieren. Die Verwandlung der „BundesGrokoblik“ in eine „Bonusrepublik“ würde den Bollwerk-Anspruch der SPD einlösen.

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