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Regierungsbildung in LondonMal können, mal wollen sie nicht

Die Liberalen stecken in der Zwickmühle. Für Labour und die Liberalen reicht es nicht. Doch mit den Konservativen können sie eigentlich auch nicht.

Wohin des Weges, Nick Clegg? Bild: reuters

DUBLIN taz | Nick Clegg steckt in der Zwickmühle. Der Chef der Liberalen Demokraten wird sowohl von den Tories als auch von der Labour Party umgarnt, nachdem die britischen Wahlen am Donnerstag keiner Partei eine regierungsfähige Mehrheit beschert haben. Den Tories als deutlich stärkster Partei fehlen 17 Sitze zur absoluten Mehrheit. So überließ Premierminister Gordon Brown ihnen den Vortritt bei den Verhandlungen mit den Liberalen.

Doch deren Kernforderung ist eine Reform des ungerechten Mehrheitswahlrechts, das kleinere Parteien benachteiligt: Obwohl die Liberalen fast ein Viertel der Stimmen bekamen, müssen sie sich mit weniger als einem Zehntel der Unterhaussitze begnügen. Laut verschiedenen Umfragen sind rund 60 Prozent der Briten für proportionale Repräsentation. Die Tories sträuben sich dagegen, weil sie befürchten, dass das zu permanenten Koalitionen zwischen Labour und den Liberaldemokraten führen und die Tories auf unabsehbare Zeit auf die Oppositionsbänke verbannen würde.

Brown hingegen hat Clegg eine umfassende Wahlreform in Aussicht gestellt. Doch der Liberalen-Chef muss befürchten, dass der Schuss nach hinten losgeht. Sollte seine Partei den unbeliebten Brown an der Macht halten, könnten sich die Wähler rächen, indem sie beim Referendum gegen die Wahlreform stimmen. Deshalb setzt sich bei Labour langsam die Einsicht durch, dass Brown gehen muss. Der Abgeordnete John Mann sagte: "Wenn Brown weitermacht, untergräbt das die Glaubwürdigkeit eines Paktes mit den Liberalen."

Aber auch ohne Brown scheint eine solche Koalition in weiter Ferne. Paddy Ashdown, der ehemalige Liberalen-Chef, sagt: "Die britischen Wähler haben eine exquisite Methode der Folter für die Liberalen Demokraten entwickelt: Unsere Instinkte zeigen in eine Richtung, die Mathematik in eine andere." Da auch eine Koalition von Labour mit den Liberalen keine absolute Mehrheit hätte, müssten andere Parteien herangezogen werden.

Seit Samstagabend stehen Tories und Liberale in Verhandlungen. Die Gespräche haben gestern jedoch einen Rückschlag erlitten. Dem Observer ist ein Geheimdokument des "Außenministers an den Premierminister" zugespielt worden - ein Brief vom früheren Tory-Chef William Hague an Cameron, der vor den Wahlen geschrieben wurde, als Hague von einem deutlichen Wahlsieg seiner Partei ausging. Darin umreißt er seine Politik gegenüber der EU. "Die britischen Beziehungen zur EU haben sich mit unserer Wahl geändert", schreibt er. Man sei entschieden gegen jede weitere Integration. Darüber hinaus steht in dem Dokument: "Wir werden niemals dem Euro beitreten." Solch europafeindliche Politik ist mit dem Programm der Liberalen eigentlich nicht kompatibel.

Bei den Kommunalwahlen, die am Donnerstag in einigen englischen Bezirken stattfanden, büßten die Liberalen überraschenderweise zahlreiche Sitze ein, was in diesem Fall nicht am Wahlsystem lag. Die Partei verlor sogar die Kontrolle über Sheffield, Cleggs Wahlkreis. Aber auch die rechtsextreme British National Party erhielt wie bei den Parlamentswahlen von den Wählern eine deutliche Abfuhr.

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1 Kommentar

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  • B
    Borstell

    Sinnvoll wäre eine Koalition aus Labour und Liberal Democrats unter Tolerierung oder Einbeziehung der kleinen Parteien. Eine Solche Regierung würde man in Deutschland wohl als Rot-Gelb-Grün-rot oder Mittelinks bezeichnen, wäre aber wegen den deutlich weiter links stehenden Liberalen durchaus möglich. Die Linksliberal-grüne schottisch-separatistische "Scottish National Party" (im Europaparlament Grüne/freie Allianz), die sozialdemokratische und walisisch-nationalistische "Plaid Cymru" (im Europaparlament Grüne/freie Allianz), "Green Party of England and Wales" (im Europaparlament Grüne/freie Allianz), die nordirisch-republikanische "Social Democratic and Labour Party", und die liberale "Alliance Party of Northern Ireland" und vielleicht sogar "Sinn Féin" (EU-Parlament: links - insofern sie das Unterhaus nicht wieder boykottiert) könnten sich damit arrangieren. Diese könnte eine "neue Politik" verwirklichen.

    Sie alle hätten mit den beiden zusammen 334 bei 326 nötigen Stimmen. Boykottieren die "Sinn Féin" das Parlament, so hätten sie 329 bei 323 nötigen Stimmen.

     

    Was das wichtigste liberale Thema, das Verhältniswahlrecht, angeht, dass würde den Konservativen am meisten schaden, daher dürften sie dagegen sein. Labour und Liberale hätten nach Verhältniswahlrecht eine Mehrheit von 52%, mit den Kleinparteinen (außer "Sinn Féin") 55,8%.

    Die einzigen kleinen Parteien, die beim Verhältniswahlrecht schlechter als jetzt dastehen würde, sind die verfeindeten radikal-protestantische "Democratic Unionist Party" und "Sinn Féin".

     

    Was die den Liberalen wichtige Umwelt angeht, kann man den Konservativen wohl nicht trauen

     

    Was Bürgerrechte und Auslandseinsätze angeht, passen Labour und Liberal auch besser zusammen.

     

    Was die durch Labour angestoßene Dezentralisierung angeht, da sind die Konservativen strikt gegen und wollen dieses zurückfahren. Die Regionalparlamente wählen in der Regel schon nach Verhältniswahlrecht. Die genannten kleinen Parteien treten alle für stärkere Provinzen/einen Bundesstaat ein, wenn teilweise auch nur als Kompromiss für vollständige Abspaltung. Hier und beim Verhältniswahlrecht könnte der Köder für eine Tolerierung liegen.

     

    Labour müsste nach links rücken, dem müsste der Kandidat entsprechen.

     

    Gerade weil in Großbritannien regionale Unterschiede wachsen, muss die Regionalisierung fortgesetzt werden. Dies, und ein Verältniswahlrecht auf allen Ebenen könnte Regionales und Gesamtstaatliches wieder eindeutiger trennen.

     

    Des weiteren würde die Einbeziehung der regional(stark)en Kleinparteien die Marginalisierung der "Nicht-englischen" Stimmen etwas aufheben. Durch das stetige Wachsen der Autonomie-Parteien droht GB sonst auch langfristig der Zerfall