Regierungsbildung in Hessen: Noch blinkt die Ampel
Das endgültige Hessen-Wahlergebnis wird am kommenden Freitag bekannt. Bis dahin bleibt es für alle Beteiligten eine Hängeparte.
Hessen wird auch in den nächsten fünf Jahren von schwarz-grün regiert, für Gespräche über eine Ampelkoalition unter einem grünen Ministerpräsidenten steht die FDP nicht zu Verfügung. Diese scheinbare Gewissheit vom 29. Oktober, dem Montag nach der Hessenwahl, galt bis vor wenigen Tagen als gesichert.
Einen neuen Anlauf für „ernsthafte Gespräche“ über die Bildung einer Ampelregierung haben nämlich im Wiesbadener Landtag am Freitag Delegationen von SPD und FDP gestartet. Bislang stand solchen Verhandlungen das Rekordergebnis der Grünen im Weg. Einen grünen Ministerpräsidenten würden die Liberalen nicht mitwählen, hatte der FDP-Parteitag am vergangenen Wochenende kategorisch festgelegt.
Das vorläufige Endergebnis sah die Grünen mit 94 Stimmen Vorsprung landesweit vor der SPD. Doch nachdem erste Informationen über die Neuauszählung der Wahlzettel in Frankfurt am Main durchgesickert sind, deutet sich eine andere Rangfolge an. Nicht die Grünen, sondern die SPD könnte danach am Wahltag hinter der CDU als zweitstärkste Kraft über die Ziellinie gegangen sein.
Wegen dieser wahrscheinlichen Korrektur des Wahlergebnisses ist jetzt die FDP wieder im Rennen. Mit Thorsten Schäfer-Gümbel könnte ein Sozialdemokrat Ministerpräsident einer Ampelregierung werden. Diese Möglichkeit werde man nun ernsthaft prüfen, versprach FDP-Landeschef Stefan Ruppert, der das Gespräch mit der SPD als „ausgesprochen gut“ bezeichnete.
Hochgradig ärgerliche Vorgänge
„Wir möchten ausloten, ob diese Koalition mehr Chancen bietet als die Alternative aus CDU und Grünen“, sagte Ruppert. Schon in der kommenden Woche wolle man sich mit den Grünen zusammensetzen, kündigten er und Schäfer-Gümbel an. Erst am kommenden Freitag, also fast drei Wochen nach der Wahl, will der Landeswahlleiter das endgültige Wahlergebnis bekannt geben. Bis dahin bleibt es in Hessen für alle Beteiligten bei der Hängepartie.
„Man reibt sich die Augen“, kommentierte der SPD-Chef Berichte, nach denen in der Wahlnacht aus mehreren Wahllokalen Abstimmungsergebnisse „geschätzt“ und nach Wiesbaden gemeldet worden seien. Die Computerpannen und Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung der Stimmen seien inzwischen zur Belastung für die Sondierungen zur Regierungsbildung in Hessen geworden, „zumindestens klimatisch“ sagte Schäfer-Gümbel.
Gegenüber der taz sprach er von „hochgradig ärgerlichen“ Vorgängen und kündigte an, sie zum Thema im Hauptausschuss des Landtags zu machen. Auch für den vermeintlichen Wahlsieger, CDU-Landeschef und Ministerpräsident Volker Bouffier, sind die Nachrichten aus Frankfurt ärgerlich. An diesem Freitag wollte er für die nächste Woche offiziell zu Koalitionsverhandlungen einladen.
Die Grünen, mit denen er seit fünf Jahren regiert, standen oben auf seiner Liste. Nach den ersten Gesprächen zwischen FDP und Grünen schien die rechnerische Option gebannt, dass Grüne, SPD und FDP ihn in Pension schicken könnten.
Weiter Weg zur Ampel
Durch die neue Lage wird es nun in der kommenden Woche jedoch mindestens ein Gespräch zwischen SPD, Grünen und FDP über die Ampel-Option geben, die ihn seinen Job kosten könnte. Dass eine Regierung im Hessischen Landtag gegen die stärkste Fraktion gebildet wird, hat es mehrfach gegeben.
Wiederholt regierten sozialdemokratische Minsterpräsidenten mit FDP oder Grünen gegen die CDU, obwohl die Union jeweils die stärkste Landtagsfraktion stellte. Am Freitag waren sowohl der FDP-Chef, als auch sein SPD-Gastgeber bemüht, die Erwartungen an die kommenden Sondierungen zu dämpfen.
Zu einer Ampel sei es ein „sehr sehr weiter Weg“, sagte FDP-Mann Ruppert und der SPD-Landeschef betonte, es komme jetzt vor allem auf die Grünen an. Er erhoffe sich in der kommenden Woche Aufschluss darüber, ob mit den Grünen „der dritte Partner ein ernsthaftes Interesse an einem progressiven Bündnis für Hessen hat,“ so Thorsten Schäfer-Gümbel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker