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Regierung plant Vorratsdatenspeicherung: Geht’s noch?

Zeitlich klug gesetzt war die Präsentation des Gesetzentwurfs zur Vorratsdatenspeicherung sicher nicht. Mit ihrer Idee, IP-Adressen künftig drei Monate lang zu speichern, dürfte sich Justizministerin Stefanie Hubig über die Weihnachtstage jede Menge Arbeit aufgebürdet haben. Datenschützer:innen, die Internetwirtschaft, Grüne und Linkspartei haben dem Papier, das im Frühjahr im Bundestag beschlossen werden soll, sogleich ritualisiert widersprochen. Dabei kann – so, wie das Kri­ti­ke­r:in­nen seit Jahren mantramäßig behaupten – von einer Massenüberwachung, mit der jede und jeder künftig komplett gläsern und für jeden Zugriff durch Ermittlungsbehörden freigegeben ist, nicht die Rede sein. Denn Hubig sichert ausdrücklich zu, keine Bewegungs- und Persönlichkeitsprofile erstellen zu lassen, eine weitreichende Vertraulichkeit der Kommunikation ist also weiterhin gesichert.

Viel entscheidender ist doch, was mit der längeren Speicherfrist tatsächlich erreicht werden soll: einer massiven Kriminalität im Netz beizukommen, vor allem der Drogenmafia, Kinderpornografie-Ringen, Onlinebetrüger:innen. Die organisieren sich immer geschickter im Netz, sodass Kinder und Jugendliche in die Fänge von Miss­brauch­stä­te­r:in­nen geraten, Onlinediebe kommen an Geld und Waren, ohne dafür in eine Bank, Geschäfte und Wohnungen einbrechen zu müssen. Wie will man diese Kriminalität erfolgreich bekämpfen, ohne die Überwachungsmöglichkeiten im Netz so zu strukturieren, dass Ermittlungen tatsächlich erfolgreich sind?

Da­ten­schüt­ze­r:in­nen argumentieren stets mit dem Quick-Freeze-Verfahren, also mit der Möglichkeit, Daten bei Verdachtsmomenten einzufrieren. Eine ernsthafte Alternative ist das bei den immer professioneller agierenden Netzkriminellen leider nicht. Denn wo keine Daten eingefroren werden können, weil sie – nach jetziger Rechtslage – schon nach wenigen Tagen gelöscht werden mussten, kann auch nichts mehr ermittelt werden. Hier schützt der überstrenge Datenschutz die Täter und nicht die Opfer. Gerade in Fällen von Kinderpornografie, Missbrauch, Zwangsprostitution kann ein schneller Zugriff der Behörden für die Opfer lebens- und schicksalentscheidend sein. Datenschutz ist wichtig, aber der Schutz von unschuldigen Opfern, insbesondere Kindern, sollte höher eingestuft werden.

Simone Schmollack

Das Argument wird älter, aber nicht besser: Nach jahrelangem Ringen um die Vorratsdatenspeicherung startet die Bundesregierung einen neuen Anlauf – und begründet ihn mit dem Kampf gegen Kinderpornografie. Täter kämen „viel zu oft davon“, sagte Justizministerin Stefanie Hubig (SPD), als sie am Wochenende ihren neuen Gesetzesentwurf präsentierte. Künftig sollen Internetanbieter die IP-Adressen aller Kunden verpflichtend für drei Monate speichern und auf Anfrage den Ermittlungsbehörden zur Verfügung stellen. Theo­retisch soll sich kein Nutzer mehr auf seine Anonymität verlassen können.

Das Kinderpornografie-Argument ist praktisch: Bei kaum einer anderen Straftat ist die Empathie für die Opfer ausgeprägter. Gegenrede gerät schnell in den Verdacht des Täterschutzes. Redlich ist das Argument gleichwohl nicht. Vorgesehen ist die neue Speicherpflicht schließlich nicht nur für den Kampf gegen Kinderpornografie, den ebenfalls oft genannten Onlinebetrug oder vergleichbare Delikte. Sie wird für alle Straftatbestände gelten. Sobald irgendein Anfangsverdacht vorliegt, sollen Polizei und Geheimdienste Daten abrufen können.

Im Prinzip kann es damit fast jeden treffen. Wer mit hoher krimineller Energie offensichtliches Unrecht begeht, wird häufig auf Tools zurückgreifen, die seine IP-Adresse verschleiern. Gerade in Feldern wie der Kinderpornografie ist daher fraglich, ob durch die Speicherpflicht wesentlich mehr Fälle aufgeklärt werden. Ihrer Anonymität beraubt werden viel eher Dilettanten, die sich der Strafbarkeit ihres Handelns vielleicht nicht einmal bewusst sind.

Immer wieder gab es in den vergangenen Jahren Fälle, in denen die Behörden politisch fragwürdige Äußerungen im Internet mit nicht weniger fragwürdigem Eifer verfolgt haben. Ermittelt wird wegen zugespitzter Kritik an ­Regierungsmitgliedern oder missverständlicher Parolen beispielsweise gegen Israel. Je mehr die Anonymität im Netz abgebaut wird, desto mehr solcher Verfahren könnte es in Zukunft geben – und desto mehr Internetnutzer könnten sich mit steilen Meinungsäußerungen präventiv zurückhalten. Die Vorratsdaten­speicherung schützt dann nicht Kinder. Sie gefährdet den freien Diskurs.

Tobias Schulze

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