Regierung in Bosnien und Herzegowina: Aus purer Not geboren
Die Verhandlungen trugen manchmal skurrile und beängstigende Züge, jetzt steht die neue Regierung. Ohne sie hätte dem Land zu Beginn des Jahres der finanzielle Kollaps gedroht.
SARAJEVO taz | Jetzt haben es die zerstrittenen Parteien in Bosnien und Herzegowina doch noch geschafft: 15 Monate nach den Parlamentswahlen kann eine neue Regierung gebildet werden. Ministerpräsident wird aller Voraussicht nach mit Vjekoslav Bevanda ein Vertreter der kroatischen Nationalistenpartei HDZ, Außenminister der eigentliche Wahlgewinner 2010, der Chef der nichtnationalistischen Sozialdemokraten SDP, Zlatko Lagumdzija. Überraschend hatte auch der Ministerpräsident der serbischen Teilrepublik und Chef der serbisch-nationalistischen Unabhängigen Sozialdemokraten, Milorad Dodik, der Regierungsbildung zugestimmt. Die Ministerposten werden zwischen den beteiligten Parteien nach einem nationalen Proporzsystem verteilt. So erhält der Parteifreund Dodiks, Nikolas Spiric, den Posten des Finanzministers.
Seit dem 3. Oktober 2010 verfolgten die Bürger in Bosnien und Herzegowina die Verhandlungen zwischen den Parteien, die manchmal skurrile und beängstigende Züge trugen. Die nichtnationalistischen Sozialdemokraten, die in 2010 vor allem von der bosniakischen (muslimischen) Bevölkerungsgruppe gewählt worden waren, versuchten zunächst, eine nicht nationalistisch geprägte Regierung zu formen und kleinere Parteien aus der kroatischen und serbischen Volksgruppe für diese Idee zu gewinnen. Wenigstens eine der beiden kroatischen Nationalistenparteien hätte in die Regierung eintreten müssen, um eine parlamentarische Mehrheit zu gewinnen.
Doch der Führer der kroatischen HDZ, Dragan Covic, weigerte sich und suchte den Schulterschluss mit Milorad Dodik, obwohl der immer wieder mit der Loslösung der serbischen Teilrepublik aus dem Staatsverband gedroht hatte. Die Konstellation Dodik/Covic erinnerte dabei an die Kriegskoalition zwischen Serben und Kroaten von 1993, die von den damaligen Führern Radovan Karadzic und Mate Boban mit dem Ziel geschmiedet worden war, Bosnien und Herzegowina zu zerschlagen und die serbisch und kroatisch kontrollierten Teilstücke jeweils an Serbien und Kroatien anzugliedern.
Korruptionsverfahren
Angesichts dieser politischen Konstellation gab es Stimmen im Land, die voller Besorgnis sogar vor einer neuen Kriegsgefahr warnten. Andererseits mehrten sich in den vergangenen Wochen auch die Rufe, die eine grundlegende Änderung und eine Revolution nach arabischem Vorbild forderten.
Mit dem 1. Januar 2012 drohte Bosnien und Herzegowina in den finanziellen Kollaps zu rutschen. Ohne eine Einigung wären nicht nur der Gesamtstaat, sondern auch die beiden Teilstaaten, die bosniakisch-kroatische Föderation und die Republika Srpska pleite gegangen. So mussten Parteien, die bisher jeglichen Fortschritt blockiert hatten, im letzten Moment im eigenen Interesse doch noch handeln. Zum anderen kam zwei Stunden vor der Einigung die Nachricht, das ein gegen Milorad Dodik und sechs seiner Mitarbeiter angestrengte Korruptionsverfahren vom obersten Gericht der Republika Srpska eingestellt worden ist. Schon seit Langem hatte man in Bosnien gemunkelt, dies sei im Hintergrund eine der Hauptbedingungen für Dodik, einem Kompromiss für eine Regierungsbildung zuzustimmen.
Die tiefgreifende Staats- und Gesellschaftskrise ist mit der Regierungsbildung aber sicherlich nicht beendet. Viele Bürger bleiben skeptisch. "Wie soll mit diesen Parteien und Führern eine Perspektive für die Integration des Landes in die EU gefunden werden. Wer kann verhandeln, wer Reformen durchführen?", fragt der Verleger Mustafa Kapicic. "Man spürt im Alltag, dass Bosnien und Herzegowina sich in dem Korsett des Friedensvertrages von Dayton befindet", sagt Sulejman Bosto, Politikprofessor an der Universität Sarajevo.
Die internationale Gemeinschaft habe den Nationalisten und Kriegstreibern erlaubt, um des Friedens Willen ihre Machtbereiche im Staate abzusichern. "Die Aufspaltung in die Republika Srpska, die kroatisch-bosniakische Föderation und den Distrikt Brcko erlaubt es sogar kleinen Gruppen, jegliche Reformen für das gemeinsame Land zu blockieren." Die Verfassung müsse geändert werden. Sulejman Bosto weigert sich konsequent, einer nationalen Gruppe zugeordnet zu werden. Er sei Mensch, ein Individuum, sagt er, als solcher passe er aber nicht in das Schema der Verfassung, die eine Einordnung in nationale Gruppen verlangt. "Das zu verlangen, ist ohnehin unwürdig."
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