: Reger Andrang und eine herbe Note im Abgang
■ Der Handel freut sich über das Weihnachtsgeschäft, doch Berlin hinkt Bundesdurchschnitt hinterher.
Schröders Aufschwung ist da: Nach sechs sauren Jahren meldet der Einzelhandel wieder steigende Umsätze. In Berlin sind die Ansprüche wie immer bescheidener: Hier freuen sich die Händler schon darüber, daß die Nachfrage knapp das Vorjahresniveau erreichte.
Seit Montag aber herrscht Ruhe. Außer den „berühmten SOS-Käufen wie Schlips, Oberhemden und Socken“, so der Geschäftsführer des Einzelhandelsverbandes, fänden nur noch Lebensmittel für die Feiertage reißenden Absatz. Nach Weihnachten hingegen wird es noch einmal spannend: Dann kommen die Schecks und Geldscheine vom Gabentisch in Umlauf, die nach Umfragen immerhin ein Fünftel des Geschenkwerts ausmachen.
Kein Wunder also, daß es in dieser Woche in den Einkaufsstraßen vergleichsweise entspannt zugeht – besonders in Bekleidungsgeschäften wie Peek & Cloppenburg am Tauentzien. Schließlich wurden durch den Kälteeinbruch schon vor Wochen die Lager geräumt. Auf die Frage, ob sie nicht noch einige Wintermäntel zur Auswahl präsentieren könne, reagiert die Verkäuferin entgeistert: „Seien Sie froh, daß wir überhaupt noch einen Mantel in Ihrer Größe haben!“
Klamotten sind ohnehin ein schwieriges Geschenk, schließlich läßt sich die Paßform ohne Mitwirkung des Beschenkten nicht zuverlässig überprüfen. Größenlose Ausnahme ist einzig die Krawatte. Kein Wunder also, daß dieser Tage wieder ratlose Ehefrauen durch die Schlipsabteilung schleichen. In der einen Hand ein Hemd, in der anderen eine grell geblümte Krawatte. Schließlich schreitet der Verkäufer ein, schiebt das bizarre Blumenmuster dezent beiseite und nimmt eine weniger auffällige Farbe zur Hand. „Wie wäre es mehr Ton in Ton“, fragte er in den immer gleichen Worten, „aber das ist natürlich Geschmackssache“.
Gähnende Leere in der einschlägigen Abteilung bei Wertheim am Ku'damm. Eine einsame Kundin mustert verzweifelt die Vitrinen, entscheidet sich nach langem Zögern für einen schnöden „Netz-Rasierer mit Weichetui“ und „2-Kopf-Schersystem“. Am Regal daneben pöbelt unterdessen ein älterer Herr, der Siemens-Wasserkocher sei „45 Pfennig teurer als im KaDeWe“, wo er statt 99,95 Mark nur 99,50 Mark koste. „Da kann ich auch nichts machen“, sagt die Verkäuferin.
Reger Andrang herrscht unterdessen in der Parfümerie Douglas. Verwirrt von den tausend verschiedenen Düften, läßt sich die Kundschaft statt dessen von Flaconformen und Markennamen leiten. „Wo haben Sie denn das Parfüm aus der Werbung?“ fragt ein ratloser Kunde. Ein anderer gerät bei dem Versuch ins Stocken, den Geruch einer vergriffenen Marke zu beschreiben, um wenigstens ein vergleichbares Parfüm zu ergattern. Die Verkäuferin versucht mit den nötigen Fachausdrücken auszuhelfen: „Im Abgang herb“, sagt sie. Ralph Bollmann
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