Regal oder Warenkorb: Brauchen wir noch Buchläden?
Die Nachfrage ist stabil: 400 Millionen Bücher wurden 2009 in Deutschland angeschafft. Menschen kaufen Bücher, immer noch. Die Frage ist nur: wo?
Es gibt die Amazon-Junkies, für die jeder Tag wie Weihnachten ist, wenn der Postbote klingelt und wieder fünf Pakete bringt. Der Amazon-Junkie zahlt mit einem Klick und das Buch ist auf dem Weg zur Haustür, ohne Versandkosten. Ladenöffnungszeiten sind für den Amazon-Junkie ein Fremdwort. Bei Amazon gibt es gebrauchte Bücher für einen Bruchteil des Ladenpreises, vielstimmige Rezensionen von anderen Lesern ersetzen die einseitige Empfehlung des Buchhändlers.
Was würde dem Amazon-Junkie also fehlen, in einer Welt ohne Buchläden? Das kostenlose Lesezeichen, das der Buchhändler ins Buch legt?
Es gibt auch die Stammkunden, die seit 30 Jahren einem Buchladen die Treue halten. Der Stammkunde freut sich, dass er im Urlaub das gleiche Buch liest wie sein Buchhändler. Der Stammkunde kann nichts anfangen mit: „Kunden, die diesen Artikel kauften, kauften auch... “ Er vertraut seinem Buchhändler, folgt ihm auch auf Empfehlungen, die abseitig erscheinen und die kein Computer vorgeschlagen hätte. Amazon? Beim Buchladen an der Ecke kommen die Bücher doch auch am nächsten Tag an.
Auch noch unentschlossen? Warum der Wahlkampf für Kandidaten und Demoskopen auf der Zielgeraden doch noch richtig spannend wird, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 21./22. September 2013. Mit sechs Seiten wahl.taz. Außerdem: Eine Begegnung mit zwei der mächtigsten Bandidos Deutschlands. Und: Brauchen wir noch Buchläden? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Die meisten Leser liegen wohl irgendwo dazwischen: Sie würden gern häufiger im Buchladen stöbern, aber haben nie Zeit dazu. Und das Geschenk für den Geburtstag bestellt man nachts am Computer, mit mehr oder weniger schlechtem Gewissen: Jeder hat von den schlechten Arbeitsbedingungen bei Amazon gehört. Aber es ist doch so praktisch.
Brauchen wir also noch Buchläden? Dahinter steht die Frage, von wem wir uns empfehlen lassen wollen, was wir lesen. Vom Algorithmus von Amazon oder von der Buchhändlerin an der Ecke?
16,7 Millionen Deutsche kaufen bei Amazon ein, keine andere Website hat so viele deutsche Kunden. Der deutsche Markt ist damit für das amerikanische Unternehmen der zweitgrößte der Welt. Amazon dominiert drei Viertel des deutschen Buchmarktes im Internet, und der Versandhandel mit Büchern im Internet wächst und wächst: Im vergangenen Jahr um 10,4 Prozent, während der Gesamtumsatz des Buchhandels zurückging.
taz.Reporterin Susanne Messmer ist in der taz.am wochenende vom 21./22. September der Frage nachgegangen, was analoge Buchhändler der digitalen Konkurrenz entgegensetzen können. Sie hat nach Buchläden gesucht, die auch in Zukunft überleben könnten und ganz unterschiedliche Antworten gefunden. Im Buchladen „Roter Stern“ finden sich Bestseller, die durch Amazons Raster gefallen sind. „Die Empfehlungen, die Amazon gibt, sind ja gar nicht so dumm“, gibt die Buchhändlerin Jutta Kraußmann trotzdem zu. Aber sie weiß, was Amazon nicht weiß: Dass Kunden, die sich „leichte Literatur“ wünschen, manchmal auch das Gewicht des Buches meinen, das beim Lesen im Bett stört.
Für den Buchladen an der Ecke sieht die Zukunft nicht gerade aus wie leichte Lektüre, wie eine Liebesromanze mit Happy End. Etwa 2.000 Buchläden haben in den vergangenen Jahren geschlossen. Marktbereinigung nennt man so etwas dann.
Und doch entstehen weiterhin neue Buchhandlungen, wie Ocelot in Berlin etwa, die Messmer auch besucht hat, und deren Gründer sich über wachsende Umsätze freut. Etwas scheint manch kleine Buchhandlung also richtig zu machen, was Thalia und Hugendubel nicht gelingt. Die großen Ketten, die in den vergangenen zwanzig Jahren in die deutschen Fußgängerzonen expandierten, leiden am stärksten unter Amazon. Sie verändern sich deshalb vom Buchladen zum Geschenkehandel, setzen auf die sogenannten Nonbooks und verkaufen Schokolade, Seifen, Frühstücksbrettchen.
Am Buch Schnüffeln
„Am meisten empört mich, dass auch Leute meiner Generation, die in jungen Jahren lauthals gegen den Monopolkapitalismus gekräht haben, ungeniert bei einem der größten Monopolisten weltweit bestellen und dabei überhaupt kein Problem sehen“, schreibt die Büchnerpreisträgerin Sybylle Lewitscharoff in der sonntaz und ruft zum Kulturkampf gegen Amazon auf. Sie wolle an Büchern „schnüffeln“, bevor sie sich zum Kauf entscheidet. Auch drei andere Autorinnen erzählen in der sonntaz von ihren Kaufgewohnheiten.
Nicht nur für nostalgische Schriftstellerinnen sind Buchläden ein Ort der Begegnung. Aber reicht das als Grund, sie vorm Aussterben zu schützen und wie Programmkinos staatlich zu subventionieren?
Wie kaufen Sie ihre Bücher, online oder im Geschäft? Sind Sie Amazon-Junkie, Skandale um Leiharbeit hin oder her? Oder sind Sie Stammkunde bei einer Buchhandlung? Wird es Buchhandlungen im Jahr 2030 überhaupt noch geben?
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