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ReformpädagogikDas Problem mit dem Namenspatron

Mehrere Schulen im Norden sind nach dem Reformpädagogen Peter Petersen benannt. Nach einem strammen Antisemiten und Rassisten, wie eine jüngere Forschung belegt. Reicht es, die Schulen umzubenennen oder ist auch deren Konzept faul.

Peter Petersen (1884 - 1952) umstrittener Reformpädagoge aus Großenwiehe bei Flensburg. Bild: taz-archiv

Die Peter-Petersen-Schulen stehen als Reformschulen in Würde und Ansehen. In Hamburg hat das ihnen zugrunde liegende Konzept des gemeinsamen Lernens gar die schwarz-grüne Schulreform inspiriert. Und jetzt das. Peter Petersen, der geistige Vater der deutschen Reformpädagogik, war ein Rassist und strammer Antisemit, das gemeinsame Lernen mit Gruppenarbeit und altersgemischte Klassen hatte den Ausschluss zur Kehrseite: "Weil es dem Juden unmöglich wird, unsre Art innerlich mitzuleben, so wirkt er in allem, das er angreift, für uns zersetzend, verflachend, ja vergiftend", schrieb Petersen etwa 1933 in der Zeitschrift Blut und Boden.

Ausgebuddelt hat diese und andere tiefbraune Text-Passagen der Frankfurter Antisemitismus-Forscher Benjamin Ortmeyer in seinem Buch "Mythos und Pathos statt Logos und Ethos", das seit einigen Wochen für Aufregung in reformpädagogischen Kreisen sorgt. "Taugt dieser Mann als Namensgeber?", lautet die Frage, die landauf, landab an den Peter-Petersen-Schule gestellt wird. In Hamburg fiel die Entscheidung, nachdem die dortige Schule eine Podiumsdiskussion mit Ortmeyer und weiteren Erziehungswissenschaftlern zusammengerufen hatte: Der Name müsse weg, Petersen könne im Licht der neuen Publikation nicht mehr als Vorbild taugen, sagte die Schulleiterin. Zum selben Ergebnis kam die Peter-Petersen-Schule in Hannover.

In Kiel scheint dagegen ein anderer Wind zu wehen. Auf die Frage, wie die dortige Schule mit dem Problem ihres Namenspatrons umzugehen gedenke, sagt der Schulleiter: "Gar nicht." - Und hängt auf. "Keine voreiligen Schlüsse" will auch die Schulleiterin Heike Hoßfeld in Großenwiehe bei Flensburg ziehen, in dem Ort, an dem Petersen 1884 geboren und nach seinem Tod 1952 begraben wurde. Die Frage einer Namensänderung der Schule solle nun am runden Tisch in der Gemeinde geklärt werden, von den Eltern der Schüler, sagt Hoßfeld. Dem Thema sei allerdings bislang wenig Interesse entgegengebracht worden.

So wenig Interesse, ist man versucht zu sagen, wie Petersens Arrangement als Professor der Pädagogik in Jena mit dem NS-Regime vor Ortmeyers Publikation entgegen gebracht wurde. In dem bekannten Text "Die deutsche Privatschule" von 1935 etwa schrieb Petersen über die Erziehungswissenschaft, die er 1927 im sogenannten "Jenaplan" skizziert hatte: "Wie sie sich eindeutig gegen jeden Liberalismus und Internationalismus, gegen Demokratie und Individualismus wandte, so auch gegen die idealistischen Theorien von der Menschheit; es gibt keinen Menschheitsbürger, es gibt nur Volksbürger." Das ist völkisches Denken in Reinform. Aber auch wenn Petersen sich dabei bis zum Ausdruck "nordische Pädagogik" verstieg: Das sei halt der Zeit geschuldet, sagten seine Apologeten, und wiesen die Kritik als Petitesse zurück, die den Kern seiner Pädagogik nicht berühre.

So einfach geht das nach Benjamin Ortmeyers Publikation freilich nicht mehr. Darin heißt es, Petersen habe 1944 drei Vorträge im KZ Buchenwald vor norwegischen Studenten gehalten, um sie zum Eintritt in die Waffen-SS zu bewegen. Und noch 1949, im Gründungsjahr der Bundesrepublik, habe Petersen in dem Buch "Der Mensch in seiner Erziehungswirklichkeit" geklagt, das deutsche Volk sei "rassisch verunreinigt".

Ist also der rassische, exklusorische Gedanke vielleicht doch mehr als nur eine Entgleisung im Werk Petersens? Ja ist er vielleicht die konsequente Entfaltung einer Pädagogik, die wie der Jena-Plan das gemeinsame und ganzheitliche Erleben und Lernen der intellektuellen Bildung eines jeden Einzelnen vorzieht? Dietrich Benner, kürzlich emeritierter Professor von der Berliner Humboldt-Universität, hat eine mehrbändige Studie zur Geschichte und Theorie der Reformpädagogik verfasst. Er teilt diese Befürchtungen nicht. Zwar stimme es, dass die Reformpädagogik in Deutschland fast ausnahmslos bis zum Ende des "3. Reiches" im Geiste einer völkischen Gemeinschaftsideologie konzipiert worden sei. Die 1960er Jahre hätten aber mit diesem problematischen Erbe aufgeräumt und die Reformpädagogik mit den Anforderungen einer offen, demokratischen Gesellschaft versöhnt. "In der Reformschule Hartmut von Hentigs ging die Offenheit so weit", erzählt Brenner, "dass die Schüler den Unterricht jederzeit verlassen konnten." Gemeinschaft aus Sicht moderner Reformpädagogik, ließe sich zusammenfassen, gibt es nur als "Gemeinschaft derer, die keine Gemeinschaft haben" (George Bataille).

Diese Tücke des Gemeinschaftsbegriffs kann allerdings schnell aus dem Blick geraten. An der Peter-Petersen-Schule in Großenwiehe etwa sagt die Schulleiterin: Der Gemeinschaftsbegriff werde nicht problematisiert, "Gemeinschaft wird hier sehr erst genommen, angefangen mit dem gemeinsamen Frühstück". Was aber, nur ein Beispiel, wenn einer hin und wieder zu spät kommt zum Frühstück? Petersen wüsste Rat: "Bedenke, dass der innere wie der äußere Verfall einer Gruppe stets mit Kleinigkeiten beginnt! Lege darum Kleinigkeiten eine größere Bedeutung bei."

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4 Kommentare

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  • A
    Andrea

    Um den Aufsatz von Herrn Ortmeyer zu verstehen, muss man ihn kennengelernt haben. Wir Studenten können daher alles bezeugen was sich in seinen Seminaren abspielt. Was Ortmeyer über Petersen geschrieben hat, stellt nicht eine Neuerung innerhalb der Nationalsozialismusforschung dar. Er will damit sagen, dass die Nazi-Rolle Petersen von den Deutschen verheimlicht wurde, weil die Deutschen immer noch Nazis sind. Diese Auffassung von Herrn Ortmeyer gegenüber der deutschen Gesellschaft, deutet er in seinen Seminaren an. Jeder, der nicht Jude ist wird von ihm verdächtigt.

    Vor einigen Semestern laß er uns die Gebote der Tora „Du sollst nicht töten“ vor, als ob wir Kriminelle wären. In der letzten Zeit führte Herr Ortmeyer kommunistische Literatur in seinen Seminaren ein. Wir sollten die Gedanken dieser Autoren ohne Widerreden akzeptieren, kritische Meinungen wurden von ihm sofort ausgeschaltet. Das gleiche tut er mit den Asta(-Studenten) er nutzt sie als Schutzschild aus. Ortmeyer unterrichtete sie darüber, dass die Goethe-Uni Nazi ist. In den Studentendemos (2009) hat er die Gewaltanwendung, seitens der Studenten unterstützt. Die Studenten zerstörten viele Bilder in Campus Westend. Aber dies ist nicht genug für Ortmeyer, er schreibt sogar in unserer Asta-Zeitung. Ich appelliere an seinen Verstand, er muss sich von den Kommilitonen distanzieren. Wir wollen nicht die Diktatur des Kommunismus in Deutschland. Ferner sollte er seine Propaganda gegen Deutschland beenden. Beweise liegen vor.

  • T
    taz-JF-Leser

    Wie schön es ist in einem freien Land zu leben: JF und taz berichten über dasselbe Thema, sogar mit gleicher Stoßrichtung!

    Ich finde es gut, dass offenbar über politische Grenzen und Weltanschauungen hinaus Dinge angefasst und beleuchtet werden, man am Ende sogar zum gleichen Schluss kommt.

    Die einseitige moralische Abwertung des gegliederten Schulwesens (Kampfbegriff:Selektion) erhält nun zumindest das Pendant der "Gleichschaltung" in Bezug auf sog. Gemeinschafts-/Gesamtschulen. Das wird dem einen oder anderen wohl die Augen öffnen.

  • E
    Elternvertreter

    Danke an taz und Autor, daß dieses längst überfällige Thema hervorgeholt wird. Zwei Hinweise: Der eine auf eine parallel hierzu laufende Diskussion zu dem Artikel über das Ende der Gemeinschaftsschule in Sachsen (vor ein paar Tagen begonnen), der andere an den Autor, daß der Schulleiter nicht ihr optimaler Ansprechpartner war, denn der hat nach bisherigem schleswig-holsteinischen Schulrecht in dieser Sache gar nichts zu melden. Ansprechpartner ist der Schulträger, hier also die Stadt Kiel, der Oberbürgermeister. Es wäre schön, wenn Sie da noch einmal nachfassen.

    Die taz ist doch immer wieder für eine Überraschung gut. Fein.

  • A
    anke

    Als die Menschen ihre Kirchen noch nach Heiligen benannten, war die Sache leichter. Heilige nämlich galten gemeinhin als unfehlbar. Man brauchte ihnen nicht misstrauen. Schulen nach Menschen zu benennen, ist immer riskant. Die Zeiten, schließlich, ändern sich, und mit ihnen ändern sich die Vorstellungen davon, was ehrenhaft bzw. moralisch ist und was nicht. Besonders riskant ist es Menschen zu Namenspatronen zu machen, deren Wirken in die Zeit des Nationalsozialismus fiel. Damals nämlich, das lernen wir in Geschichte, wurde erbarmungslos verfolgt, was sich nicht willig missbrauchen ließ. Die Hinterlassenschaften solcher Leute werden deshalb heute ganz besonders sorgfältig geprüft. Anschließend wird anhand des Prüfergebnisses unter Umständen auch über Dinge geurteilt, die längst nicht mehr sind, was sie einmal zu werden versprachen. Wenn wir also ganz großes Pech haben, siegen die Nazis sogar noch posthum. Dann nämlich, wenn spitzfindige Interpreten mit Zitaten sehr toter und beinahe heiliger Männer ebenso rücksichts- wie zweifellos beweisen, dass Offenheit und Gemeinschaft grundsätzlich und nicht nur unter bestimmten politischen Bedingungen unvereinbar sind. Dann kann es leicht passieren, dass Schulen, in der Kinder sehr verschiedener Hautfarbe, Herkunft und Sozialisation gemeinsam unterrichtet werden, in den Verdacht geraten, sie würden die Napola beerben wollen. Nichtachtung ist noch das mindeste, was solchen Schulen heute droht. Was aber in Schulen passiert, auf die niemand mehr achtet, darf sich jeder selber ausmalen.