Reform der Psychiatriefinanzierung: Pauschal abgefertigt
Kliniken sollen pro Patient einen Pauschalbetrag erhalten. Kritiker befürchten ökonomische Fehlanreize und eine überbordende Bürokratie.
Insbesondere personalaufwändige Bereiche seien zukünftig unterfinanziert, bemängelt die grüne Bundestagsabgeordnete Maria Klein-Schmeink. Sie sieht die „große Gefahr“, dass Menschen mit schweren oder chronischen psychischen Erkrankungen sowie Kinder und Jugendliche „aus ökonomischen Gründen nicht mehr individuell angemessen behandelt werden“.
Nachdem das „Pauschalierende Entgeltsystem Psychiatrie und Psychosomatik“ (PEPP) im vergangenen Jahr entschärft wurde, um starke Fehlanreize für zu frühe oder zu späte Entlassungen zu verhindern, hielt die Kritik von Ärzten, Patienten oder Pflegeverbänden weiter an. Anfang diesen Jahres kündigte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) eine weitergehende Reform der Reform an, und verkündete gleichzeitig eine Einigung mit den beteiligten Organisationen.
Doch sein Gesetzentwurf, den die Bundesregierung im Sommer verabschiedete und der unter anderem die Einführung des modifizierten Systems „PEPP“ um ein Jahr verzögert, geht vielen Experten nicht weit genug, wie kürzlich auf einer Bundestagsanhörung deutlich wurde: Sie fürchten weiterhin Rückschritte für die psychiatrische Versorgung und kritisierten die Pläne teils sehr deutlich.
Ökonomische Fehlanreize
Viele Kritiker sehen das aktuelle Gesetz als „PEPP durch die Hintertür“, wie es die gesundheitspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Kathrin Vogler, formuliert. Für eine Koalition von rund 20 Ärzte- und Patientenverbänden bleibt es „weit hinter den Forderungen und Erwartungen“. Sie sehen starke ökonomische Fehlanreize, überbordende Bürokratie und keine gesicherte Finanzierung des nötigen Personals.
Zwar will die Bundesregierung psychiatrische Kliniken anders als bislang geplant nicht über vereinheitlichte Preise finanzieren. Kliniken sollen wie bisher Kosten für die Notfallversorgung oder andere Besonderheiten in Budgetverhandlungen mit den Kassen einbringen können. Auch sollen sie manche Patienten individuell zu Hause behandeln dürfen.
Doch erfordern die UN-Behindertenrechtskonvention wie auch Urteile des Bundesverfassungsgerichts eigentlich, dass sich die Behandlung deutlich stärker am Patienten ausrichten muss, was mit PEPP laut vieler Experten nicht der Fall sein wird. „Ein neues Entgeltsystem für Psychiatrien muss diese Veränderungen befördern“, forderte die grüne Bundestagsfraktion im September.
Wie der Bundesrat sehen viele Experten durch eine zukünftige Vereinheitlichung der Klinikbudgets die Gefahr einer Abwärtsspirale in der Psychiatrie: Häuser mit höheren Kosten würden zu Sparmaßnahmen gezwungen, während das eingesparte Geld anderen Kliniken nicht zur Verfügung gestellt werde. Auch könnten unberücksichtigte Lohnsteigerungen zu Personalabbau führen. „Tariferhöhungen müssen voll finanziert werden“, forderte Niko Stumpfögger von Verdi.
„Das ist eine Schraube nach unten“, warnte Iris Hauth von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) gegenüber der taz. „Da werden die Kliniken an den Rand der Existenz getrieben.“
Betreuung nicht nur in Krisenzeiten
Doch in der Psychiatrie ist nicht nur das Geld entscheidend. Wenn Patienten von einer ambulanten Behandlung in eine Klinik eingewiesen werden, gibt es für sie oft schwierige Wechsel – wie auch bei ihrer Entlassung. Es bedürfe Teams von Ärzten, Pflegern oder Therapeuten, die Patienten über Jahre hinweg auch zu Hause betreuen, betonte Nils Greve vom Dachverband Gemeindepsychiatrie in der Anhörung. Anders als geplant dürfe dies nicht nur in Krisenzeiten möglich sein, sondern fortlaufend, ist Greve überzeugt. Seiner Einschätzung nach arbeiteten Ärzteverbände, Kliniken und andere Beteiligte nicht ausreichend zusammen – und müssten deshalb „mit allen verfügbaren Mitteln“ hierzu gezwungen werden.
Thomas Böhm vom Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte fürchtet, dass es durch das geplante Gesetz ganz anders kommt: Es könnte auch Psychiatrien unter Druck setzen, die Behandlungszahl zu erhöhen, unnötige Behandlungen durchzuführen und ihren Patienten möglichst schwere Diagnosen zu geben, die sich besser abrechnen lassen. So kämen „alle negativen ökonomischen Anreize“ durch, wie sie seit Einführung der sogenannten Fallpauschalen vor gut zehn Jahren auch in anderen Kliniken herrschen, erklärte er.
Seitdem bekommen Krankenhäuser für die Behandlung etwa einer Blinddarmentzündung eine feste Pauschale, weitgehend unabhängig vom individuellen Zustand des Patienten.
Eine für viele Verbände entscheidende Forderung brachte Jurand Daszkowski vom Bundesverband der Psychiatrie-Erfahrenen ein: Eine Expertenkommission solle verbindliche Leitlinien erarbeiten, wie viel Personal Kliniken zukünftig mindestens finanziert bekommen müssten. Dabei sei es wichtig, dass Vertreter von Angehörigen und Betroffenen deutlich besser eingebunden werden.
Patienten haben „ein Recht auf menschengerechte Behandlung“, betonte der Psychiater Andreas Heinz von der Aktion Psychisch Kranke. Daher sollte mehr als 40 Jahre nach der so genannten Psychiatrie-Enquête nun eine Expertenkommission die Zukunft der Psychiatrie in Deutschland diskutieren.
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