Reform der Pflegeversicherung: Koalition beschließt Pflege-Reform
Mit dem Gesetz will die Ampelkoalition Pflegebedürftige und Pflegende entlasten. Opposition und Patientenschützer:innen fordern mehr.
Für die Pflege im Heim erhöht das Gesetz die sogenannten Entlastungszuschläge. Die Entlastungszuschläge verringern den Eigenanteil an den Pflegekosten. Der Zuschlag soll die Kosten nun im ersten Jahr im Heim um 15 Prozent statt vorher fünf Prozent drücken. Im zweiten Jahr mindert der Zuschlag die Kosten dann um 30 statt 25 Prozent, im dritten um 50 statt 45 und ab dem vierten um 75 statt 70 Prozent.
Pflegende Angehörige erhalten zudem ab Juli 2025 Anspruch auf 3.539 Euro für Verhinderungs- und Kurzzeitpflege für zehn Tage pro Jahr und gepflegter Person – das sogenannte Entlastungsbudget. Damit können pflegende Angehörige sich zehn Tage im Jahr durch andere Pflegeangebote vertreten lassen, um sich etwa einen Urlaub zu ermöglichen. Im vorigen Gesetz konnten Pflegende diese zehn Tage nur einmalig einlösen und nicht jedes Jahr.
Der Vorsitzende der Stiftung Patientenschutz Eugen Brysch hält die Reform nicht für ausreichend. Die Koalition erreiche ihre selbst gesteckten Ziele nicht. Weder gebe es eine Dynamisierung der Pflegeleistungen ab 2022, noch seien die Milliardenentnahmen aus der Pandemiezeit in die Pflegeversicherung zurückgezahlt worden.
Mehrausgaben während der Covid-19 Pandemie entnahm die damalige Regierung teils aus den Pflegekassen. Der Einwand, dass die finanziellen Mittel begrenzt seien, sei daher nichts anderes als Volksverdummung, findet Brysch. „Die Altenpflege bleibt das Stiefkind der Bundesregierung“, sagte der Patientenschützer der taz. Auch der Verbraucherzentrale reichen die Reformen nicht. Trotz Verbesserungen bleibe das Gesamtpaket aus Sicht Pflegebedürftiger und ihrer Angehörigen eine Enttäuschung. „Zu wenig Entlastung, zu viel Bürokratie“ monieren die Verbraucherschützer:innen.
Die CDU-Abgeordnete Diana Stöcker lobt zwar das Entlastungsbudget. Aber sie hält die Reform insgesamt ebenfalls für nicht ausreichend. Stöcker sagt: „Das ist keine Reform, sondern dürftiges auf Sicht fahren.“ Sie kritisiert vor allem, dass es noch bis Juli 2025 dauert, bis die meisten Pflegenden das Entlastungsbudget nutzen können. Nur Pflegende von Kindern und jungen Erwachsenen mit einer schweren Behinderung bis 25 Jahren können das Budget schon ab 2024 nutzen. „Die Angehörigen sind der größte Pflegedienst der Nation, sie brauchen Entlastung“, sagte Stöcker vor der Abstimmung im Bundestag.
Verhaltenes Lob von der Opposition
Ein Punkt, den Redner:innen aus Koalition wie aus Opposition loben: Die Pflegeversicherung finanziert vier Jahre lang „innovative Unterstützungsmaßnahmen und –strukturen vor Ort“. Und die Kommunen sollen zukünftig freier entscheiden, wo sie sogenannte Pflegestützpunkte einrichten, an denen sich Pflegende und Pflegebedürftige beraten lassen können. „Die Kommunen sehen vor Ort den Handlungsbedarf und können zielgerichtet Konzepte entwickeln und umsetzen“, sagt Diana Stöcker für die Union.
Um die Reform zu bezahlen, erhöht die Ampel-Koalition die Beiträge zur Pflegeversicherung um 0,35 Prozentpunkte von 3,05 Prozent auf 3,4 Prozent für Personen mit einem Kind. Eltern von mehr Kindern zahlen weniger – eine Anpassung, die das Bundesverfassungsgericht gefordert hatte.
Lauterbach verteidigt die Erhöhung der Beiträge. Dadurch werden die Pflegekassen 6,6 Milliarden Euro mehr einnehmen, so hat es Lauterbachs Ministerium berechnet. Man wolle die finanzielle Grundlage der Pflege stabilisieren. „Die Erhöhung der Beitragssätze um 0,35 Prozentpunkte muss uns die verbesserte Pflege wert sein“, sagt der Minister. Er räumt jedoch ein, dass es noch weiterer Schritte bedarf, um die Pflege umfassend zu erneuern.
Hohe Belastung für Geringverdiener
Scharfe Kritik an der Pflegereform formuliert indes Ates Gürpinar von der Linken. Die Erhöhung des Pflegegelds um fünf Prozent gleiche nicht einmal die Inflation aus. Seit der letzten Anpassung der Unterstützungen 2017 seien die Preise um 17 Prozent gestiegen. Gürpinar sieht daher eine reale Kürzung der Pflegeleistungen.
Auch die Erhöhung der Beitragssätze findet er falsch. Mit den Einzahlenden in die gesetzliche Pflegekasse treffe sie vor allem Gering- und Mittelverdienende sowie Rentner:innen. Gürpinar fasst seine Kritik so zusammen: „Frei nach Robin Hood: Sie nehmen es den Armen und dann geben sie ein bisschen weniger den Kranken, Alten und Schwachen.“
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