Referendum in Südsudan: Abenteuer Freiheit
Historische Stunden in Südsudans Hauptstadt Juba: Die Unabhängigkeit ist zum Greifen nah. Entstehen jetzt nach über 20 Jahren Bürgerkrieg Sicherheit und Stabilität?
JUBA taz | Sobald die Luft in der Mittagshitze anfängt zu flimmern, legt sich auf dem Markt im Zentrum von Südsudans Hauptstadt Juba das geschäftige Treiben. Die Geldwechsler dösen im Schatten eines Baumes auf Plastikstühlen, ihre Geldbündel fest in der Hand. Die Schuhputzer legen ihre Bürsten zur Seite, die Gemüsefrauen verkriechen sich hinter ihren bunten Stofftüchern.
Nur unter dem großen Mangobaum am Straßenrand wird laut debattiert. Rund ein Dutzend ältere Männer, die meisten mit den für das Dinka-Volk typischen, tief eingeritzten Narben auf der Stirn, hocken auf Schemeln im Kreis und trinken heißen Tee. Sie diskutieren auf Arabisch über das am Sonntag anstehende Referendum. Daneben sitzt James Lodiong auf der Bordsteinkante und hört aufmerksam zu.
Statt Tee schlürft er einen eiskalten, frisch gepressten roten Beerensaft, den eine junge Frau aus einer Kühlbox neben ihm verkauft. Der 27-Jährige lächelt: "Alles dreht sich hier dieser Tage um das Referendum", zwinkert er. Die Männer diskutierten darüber, wie Südsudan nach der Unabhängigkeit aussehen könnte, erklärt er und fügt hinzu: "Wir brauchen dringend neue Visionen, die über die Unabhängigkeit hinausreichen."
Vom 9. bis 15. Januar stimmen die Bewohner Südsudans sowie Südsudanesen in anderen Teilen Sudans darüber ab, ob Südsudan eine Autonomieregion innerhalb Sudans bleiben oder unabhängig werden soll. Dass die Mehrheit der Südsudanesen für Unabhängigkeit stimmen werden, daran besteht kaum mehr ein Zweifel: Die Krux liegt in der Wahlbeteiligung: Von den fast vier Millionen registrierten Wählern müssen mindestens 60 Prozent abstimmen, damit das Ergebnis gültig ist.
Lodiong, Vater von zwei Kindern, studiert an der Universität von Juba Entwicklungsansätze in den ländlichen Regionen - ein Sektor, in dem er viele Jobmöglichkeiten wittert. Er selbst stammt aus einem kleinen Dorf im Süden Südsudans, an der Grenze zu Uganda. Seine Heimatregion habe sich "verhältnismäßig gut" entwickelt, erklärt er auf Englisch.
Die Überlandstraße sei frisch geteert, die Stromleitungen bereits unterirdisch verlegt, Händler bringen Waren aus Uganda, und: "Sogar unser Schulsystem ist besser, weil ugandische Lehrer uns unterrichten", sagt er. In anderen Regionen Südsudans sehe es ganz anders aus. "Die Infrastruktur jenseits von Juba ist in einem katastrophalen Zustand", seufzt er. Dies könne sich jedoch rasch ändern, fügt er schnell hinzu und guckt sich um.
Juba im Wandel
Seit dem Friedensabkommen 2005 zwischen Sudans Regierung in Khartum und Südsudans ehemaliger Rebellenbewegung SPLA (Sudanesische Volksbefreiungsarmee), die seitdem den Süden als Autonomieregion regiert, hat sich Juba von einer Container- und Zeltsiedlung zwischen Ruinen alter Kolonialgebäude zu einer richtigen Stadt gemausert: mit einer Handvoll geteerten Straßen sowie neuen, klimatisierten Ministerien.
"Wenn wir unsere Ressourcen sinnvoll einsetzen, dann können wir in den nächsten fünf Jahren auch die Städte und Regionen außerhalb von Juba entwickeln", sagt Lodiong. Er deutet auf ein Poster, das an den Mangobaum gepinnt ist: "Stimmt für Entwicklung, wählt die Unabhängigkeit", steht darauf.
Die Begeisterung über die anstehende Volksabstimmung ist in Juba groß. Feste werden vorbereitet. Junge Leute diskutieren, wo und wie sie den Referendumsauftakt am Sonntag feiern. Doch es liegt eine gewisse Anspannung in der Luft. Der Parkplatz nahe dem Hafen, wo sonst die ugandischen Händler Gemüse und Obst anliefern, ist fast verwaist. Kaum ein Händler riskiert derzeit sein Vermögen in Juba. Die Gemüseverkäuferinnen auf dem Markt haben deswegen nur wenige, nicht mehr ganz so frische Tomaten anzubieten, die sie zum doppelten Preis verkaufen. Die Geldwechsler haben kaum noch Dollarnoten. Der Umrechnungskurs dafür ist in die Höhe geschnellt.
Während die ugandischen Händler aus Angst vor aufflammenden Konflikten Südsudan meiden, geben sich westliche Delegierte in Juba die Klinke in die Hand. Fast täglich brausen Staatskarossen auf der Straße vom Flughafen in das Regierungsviertel. Vertreter des UN-Sicherheitsrats waren zu Besuch, US-Außenministerin Hillary Clinton kommt, selbst Hollywoodschauspieler George Clooney tourt durch Südsudan. Mehrmals pro Tag sperren Polizisten deswegen die wenigen geteerten Straßen ab.
Motorradtaxi-Fahrer wie John Baradong nervt das gewaltig. "Jetzt, da wir endlich Frieden haben, interessiert sich die ganze Welt für uns", wundert er sich kopfschüttelnd. Er hockt mal wieder am Straßenrand unter einem Baum auf seinem geparkten Motorrad und wartet, bis die Limousinenkolonne vorüber ist. In den vergangenen Tagen hat Baradong, Vater von fünf Kindern, fast ein Viertel weniger Geld verdient als sonst. "Viele Leute bleiben in diesen Tagen lieber zu Hause", sagt er. Nach Einbruch der Dunkelheit um sieben Uhr abends sei die Stadt wie ausgestorben. Und vor den Polizisten müsse man sich in Acht nehmen, warnt er.
In den vergangenen Wochen haben in Juba mehrfach junge, frisch ausgebildete Polizisten Frauen bedroht, sogar geschlagen, weil sie angeblich zu leicht bekleidet waren. Auf einem Jugendkonzert zu Weihnachten griff ein 21-jähriger Rekrut ein Mädchen mit dem Messer an. "Über die Feiertage mussten wir feststellen, dass unsere Polizisten nur bedingt über längere Zeit einsatzfähig sind", muss Polizeisprecher Biar Mading zugeben. Der Generalmajor mit den Schulterklappen sitzt im heruntergekommenen Polizeihauptquartier hinter seinem polierten Schreibtisch in einem großen Ledersessel. Während seiner Teepause verfolgt er auf einem großen Flachbildschirm die internationale TV-Berichterstattung über Südsudan.
Über das Image seines Landes mache er sich große Sorgen, erklärt der Generalmajor. "Um Sicherheit zu garantieren, haben wir sämtliche Polizisten im Einsatz, die das Land aufzubieten hat", sagt er. Insgesamt 60.000 Sicherheitskräfte sollen Wahlstationen bewachen und den Transport der Wahlurnen sichern - das ist nicht viel auf einem Gebiet von der anderthalbfachen Fläche Deutschlands. Für die potenziell bald unabhängige Regierung Südsudans wird das Referendum ein entscheidender Testlauf, ob der Staat in der Lage ist, seinem Volk das zu liefern, was es nach über 20 Jahren Bürgerkrieg am meisten braucht: Sicherheit und Stabilität.
Das Risiko eines Konflikts mit dem Norden zu minimieren, das ist Deng Alors Aufgabe. Südsudans Minister für regionale Kooperation ist derzeit der meistbeschäftigte Mann im Land, so scheint es. Eben hat er eine deutsche Delegation verabschiedet, gleich darauf steht der nächste Staatsbesuch vor seinem Büro. Dennoch nimmt er sich Zeit, über seine Heimat zu sprechen. Alor ist ein groß gewachsener Mann mit breiten Schultern und aufrechtem Gang - typisch für sein Volk der Dinka, die in Südsudans Regierung die Mehrheit der Ministerposten sowie den Präsidenten stellen.
Alor stammt aus Abyei, der zwischen Nord und Süd umstrittenen Ölregion an der Grenze. Auch wenn er dort Konflikte nicht ausschließen will, versichert er, dass die Beziehungen zwischen Nord und Süd derzeit besser seien als je zuvor. "Die Abspaltung wird ein großer Schock für den Norden", sagt er. Die Opposition in Khartum werde dies ausnutzen, um gegen Bashir zu mobilisieren. "Unser Volk im Süden ist im Vergleich relativ gut vorbereitet", meint er.
Über eine solche Aussage kann James Ninrew, Vorsitzender des Nuer-Friedensrats, nur den Kopf schütteln. Die Nuer und die Dinka sind mit je rund 20 Prozent die größten der 67 Ethnien im Südsudan. Als stolze Kriegervölker mit alter Nomadentradition bekämpften sie sich während des Bürgerkrieges, ein Teil der Nuer wurde von Khartum bewaffnet, um gegen die Dinka in der SPLA vorzugehen.
In der Autonomieregierung stellen die Nuer den Vizepräsidenten Riek Machar sowie vier Minister von insgesamt 36. Dass die Dinka ansonsten sämtliche Machtposten innehaben, vor allem in der Armee und Polizei, sieht Ninrew als gefährlich an. "Politik ist hier reine Vetternwirtschaft", sagt er ernüchtert. Und da die politische Elite auch über die Wirtschaft entscheidet, seien sämtliche Branchen in der Hand der Dinka.
Ninrews Nuer-Friedensrat betreibt seine Bemühungen um friedliche Lösungsansätze zwischen den beiden dominierenden Ethnien Südsudans in einem kleinen Büro hinter einem übervollen Schreibtisch in einem Haus, das sich lokale Menschenrechts- und Frauenorganisationen teilen.
Gänse schnattern im Innenhof herum, klicken mit dem Schnabel an die Glastür zu Ninrews Büro. Eben korrigiert er einen Bericht über die jüngsten Auseinandersetzungen im Osten des Südsudans, nahe der Stadt Akobo an der Grenze zu Äthiopien, wo sich zwei Nuer-Gemeinden bekriegen. SPLA-Soldaten, in der Mehrheit Dinka, marschierten im November ein und brannten die Dörfer nieder.
Ninrew befüchtet, dass solche Auseinandersetzungen Südsudan in einen neuen Bürgerkrieg treiben könnten. Denn die derzeitige, Dinka-dominierte Autonomieregierung wird nach einem Ja der Südsudanesen zur Unabhängigkeit über die Spielregeln des neuen Staates entscheiden, der ein halbes Jahr später ausgerufen werden soll: eine verfassunggebende Versammlung einberufen, Neuwahlen organisieren.
"Wenn die Dinka heute unfaire Regeln einführen, dann werden sich die anderen Ethnien früher oder später rächen", warnt der Nuer Ninrew. Südsudans Regierung müsse es vermeiden, dieselben Fehler zu begehen wie einst Khartum. Nicht weit entfernt von seinem Fenster sprüht eine Teermaschine flüssigen Asphalt auf die Straße. "Sie sollten nicht nur die Hauptstadt entwickeln, sondern auch die Provinzstädte", sagt Ninrew und hebt den Zeigefinger: Wenn die Regierung in Khartum auch in die Provinzen und nicht nur in das Zentrum investiert hätte, würde sich der Süden nun nicht abspalten.
Nationalheld Garang
"Bringt die Städte zu den Völkern und nicht die Völker in die Städte", zitiert Ninrew ausgerechnet Südsudans Kriegshelden und SPLA-Gründer John Garang, dessen Porträt über seinem Schreibtisch hängt. Jahrzehntelang führte Garang die SPLA im Bürgerkrieg und handelte 2005 das Friedensabkommen mit Khartum aus. Es war der größte Triumph des Urvaters der Unabhängigkeitsbewegung Südsudans.
Aber wenige Monate später kam Garang bei einem Helikopterabsturz ums Leben. Garang hatte sich in seinem jahrzehntelangen Kampf auch für die Interessen anderer Gruppen in der vernachlässigten Peripherie Sudans ausgesprochen, zum Beispiel auch für die Menschen in Darfur. Seine Vision war ein sozialistischer und demokratischer Staat im ganzen Sudan, ein "neuer Sudan", in dem alle Menschen frei leben und gleich behandelt werden.
Garang war ein Dinka, aber wurde auch von anderen Südsudanesen als Nationalheld anerkannt. In Jubas Stadtzentrum hat man Garang ein schlichtes, aber würdevolles Mausoleum errichtet. Daneben ist eine der zentralen Wahlstationen der Hauptstadt errichtet worden. Stets liegen frische Blumen auf seinem Grab.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste