Record Store Day in 16 Plattenläden: Eigentlich ist alles gut gegangen
Der legendäre Plattenladen Vopo Records eröffnet unter dem Namen Dodo Beach East. Plattenverkäufer Henry Voss bleibt – allerdings nur als Angestellter.
Die Plattenhändler Henry Voss und Stephan Schulz stehen auf den Ruinen dessen, was einmal ein astreiner Plattenladen war, einer der letzten anarchischen Zufluchtsorte in diesem immer braver werdenden Prenzlauer Berg. Beide wirken äußerst zufrieden.
Denn in der Danziger Straße 31 in Prenzlauer Berg, wo Henry Voss seit 1991 – seit seinem 23. Lebensjahr –, seinen Plattenladen Vopo Records betrieb, wird am Samstag, dem 21. April – dem Record Store Day –, eine zweite Filiale eines anderen Plattenladens eröffnen: Dodo Beach, bislang nur ansässig in Schöneberg, gibt es ab heute nun auch in der Variante Dodo Beach East. Und Voss, den Fans des gepflegten Tonträgereinkaufs eher unter dem Namen Vossi kennen, wird dort weiterhin verkaufen. Nur nicht mehr als sein eigener Herr, sondern als Angestellter.
Kurz vor der Eröffnung ist noch viel zu tun im Laden: Er soll nicht nur schicker werden, statt Vossis alten Regalen gibt es beschichtetes MDF, statt der ollen Neonröhren coole Bühnenscheinwerfer. Vossi wirkt aufgeräumt, als er berichtet: Es war eine schöne Zeit mit Vopo, aber die „Goldgräberstimmung“ direkt nach der Wende, als alle alles kaufen wollten, was sie zu DDR-Zeiten nicht bekommen konnten, habe er so nie wieder erlebt.
Auch wegen der Krise der Musikindustrie im digitalen Zeitalter musste er sich immer wieder Sorgen machen, wenn die Miete fällig war. Nach wie vor und bis zuletzt ging es in seinem recht runtergerockten Laden nicht ums gediegene Erlebnisshopping, sondern um wahre Werte, um die Musik selbst.
Papierkram los
Der sympathische 50-Jährige mit den platinbloden Zottelhaaren – der nebenher auch noch als DJ arbeitet – ist erleichtert, dass er nun den Papierkram und den ewigen Kampf mit dem Finanzamt los ist.
Am Record Store Day, der 2008 mit Fokus auf Vinyl erfunden wurde, nehmen am Samstag 16 Berliner Plattenläden teil. Es gibt einen Record Store Crawl, bei dem Fans mit dem Bus von Store zu Store gebracht werden, und zahlreiche Indoor-Gigs. Bei Dodo Beach East in der Danziger Straße 31 gibt es u. a. um 14 Uhr eine Signierstunde mit Robert Görl von der Gruppe Deutsch Amerikanische Freundschaft. (sm)
Dodo Beach, das weiß auch Voss, ist ein anderes Projekt als Vopo Records. Stephan Schulz, der den ersten Dodo-Laden 2013 in Schöneberg mit eröffnete, weiß, was seine Kunden wünschen. Von Anfang an lebte man bei Dodo auch vom Webshop und einer Konzertkasse.
Das Wichtigste aber: Es gibt keine CDs, sondern nur Vinyl, so dass auch solche Menschen in den Laden gelockt werden, für die Musik nicht nur Lebenselixier ist, sondern ebenso Statussymbol, ja Distinktionsgewinn. Sie pflegen sonntags das heimische Plattenregal wie ihre Väter vor 40 Jahren die Familienkutsche. Auf ihren Teakholz-Sideboards aus den 1960ern liegen schwere coffee table books über „Plattensammler und ihre Heiligtümer“ und „Die Magie der schwarzen Scheibe“. Vossi hebt ein wenig die Augenbrauen. „Ich habe den Labels schon oft gesagt, dass sie aufpassen müssen.“ Er spielt auf all die Limited-Deluxe-Editions an: schweres, manchmal sogar farbiges Vinyl, toll gestaltete Cover.
Solche Platten kosten oft mehr als 30, können auch über 50 Euro kosten. Wer kann sich so etwas schon leisten? Auf CD bekommt man die Musik für 12,99, auf iTunes für 9,99 Euro.
Nische für Besserverdiener
Stephan Schulz von Dodo Beach sieht diese Entwicklung weniger ambivalent als Vossi, aber das muss er ja auch. Er spricht gern von den jungen Leuten, Teenagern, die schon Stammkunden in Schöneberg sind, die manchmal mit, manchmal ohne Papa kommen, die einfach besitzen wollen, was ihnen gefällt. Und er freut sich auf Vossis alte Kunden und die Touristen, die hier öfter vorbeikommen werden.
Für ihn steht fest: Vinyl wird eine Nische für Besserverdiener bleiben, trotz der enormen Zuwächse in den letzten Jahren – 2017 wurden hierzulande mehr als 3 Millionen Tonträger verkauft, das ist eine Steigerung um 50 Prozent gegenüber 2015. Verglichen mit den Umsätzen, die die Musikindustrie insgesamt macht, ist das zwar nur eine Steigerung des Marktanteils um wenige Prozentpunkte, aber die Nische wird sich halten. Alle anderen, die für Musik Geld auszugeben bereit sind, werden keine CDs mehr kaufen, sondern nur noch streamen.
Vossi steht vor den schönen blauen Wänden des Plattenladens, in dem er zukünftig arbeiten wird, lässt den Blick schweifen – und entscheidet sich dann, so breit wie möglich zu grinsen. Für ihn ist es eigentlich nicht so schlecht ausgegangen. Wenn er Dodo nicht hätte überzeugen können, seinen Laden zu übernehmen: Wer weiß. Vielleicht hätte er irgendwann aufstecken müssen.
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