Rechtsunsicherheit bei Gemeinnützigkeit: Wenn das Finanzamt eine Münze wirft
Finanzämter entscheiden, ob eine Organisation als gemeinnützig gilt. Eine Studie zeigt: Die Entscheidungen folgen unklaren Regelungen.
Ob die Finanzämter eine Organisation als gemeinnützig einstufen oder nicht, ist oft purer Zufall – zu diesem Schluss kommt eine Studie (PDF) der „Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung“, einem Zusammenschluss von Organisationen wie Amnesty International, Oxfam und Pro Asyl. Die Vereinigung schickte identische Anträge an alle deutschen Finanzämter, um dort die Gemeinnützigkeit fiktiver Vereine feststellen zu lassen. Die Bewertungen fielen sehr unterschiedlich aus.
Viele Organisationen sind auf Spenden angewiesen, um überhaupt arbeiten zu können. Indem die Spenden bei der Steuer abgesetzt werden können, fördert der Staat indirekt die Arbeit der Vereine. Doch dies gilt nur, wenn eine Organisation als gemeinnützig anerkannt wird. Dazu darf sie nach gängiger Praxis zwar Bildungsarbeit betreiben, nicht aber konkrete politische Forderungen vertreten. Ob diese Voraussetzungen vorliegen entscheiden die Finanzämter.
Negativ ging dies bereits für Attac aus. Die globalisierungskritische Organisation kämpft seit vier Jahren darum, wieder als gemeinnützig anerkannt zu werden. Nach Auffassung des Frankfurter Finanzamtes ist Attac unter anderem durch die Forderung nach einer Finanztransaktionssteuer zu stark „politisch aktiv“ und damit nicht mehr gemeinnützig.
Die Entscheidungen über solche Fälle wollte die „Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ messbar machen. Dafür schlossen sich über 80 Vereine und Stiftungen zusammen und reichten Satzungen dreier fiktiver Organisationen bei 404 deutschen Finanzämtern ein, um dort deren Gemeinnützigkeit bewerten zu lassen. Doch die Ergebnisse überraschten, denn die Behörden kamen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Im Schnitt bewertete die Hälfte der Finanzämter die Vereine als gemeinnützig, die andere Hälfte nicht.
„Man hätte auch eine Münze werfen können“.
„Die Finanzämter haben nie gelernt, wie man zivilgesellschaftliches Engagement bewertet“, so Rupert Graf Strachwitz vom Maecenata Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft. Studienautor Stefan Diefenbach-Trommer kritisiert: „Man hätte auch eine Münze werfen können“.
Er erklärt, dass das Finanzministerium dem Test irgendwann auf die Schliche kam und die Finanzämter angewiesen habe, die Anträge nicht mehr weiter zu bearbeiten. Trotzdem meldeten sich einige Behördenangestellte zurück und bestätigten, dass die Einschätzungen problematisch abliefen.
Der Test sollte zeigen, dass bei der Frage nach der Gemeinnützigkeit große Rechtsunsicherheit besteht. Dies ist nach Auffassung der beteiligten Organisationen problematisch. Denn zivilgesellschaftliches Engagement solle gefördert und nicht durch finanzielle Unsicherheiten erschwert werden. Dazu bräuchte es klare Rahmenbedingungen „und keinen warmen Händedruck“, so Strachwitz weiter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin