Rechtsruck: Zurück in die Zukunft?
In Hamburg wächst die Angst vor einem politischen Rückfall: Flüchtlingskrise und Innere Sicherheit gefährden wie 2001 die rot-grüne Koalition.
HAMBURG taz | Es gibt Leute in der Hamburger Politik, die sehen sich an 2001 erinnert. „Ich habe das dumpfe Gefühl, das geht schon wieder los“, sagt eine Abgeordnete der heute wie damals mit regierenden Grünen. Und einige beschwören das Jahr, in dem die Hamburger SPD nach 44 Jahren Dauerregierung die Macht an die Schwarz-Schill-Koalition von Ole von Beust und Ronald Schill abgeben musste, sogar schon freudig herauf. Jetzt werde sich zeigen, ob SPD-Bürgermeister Olaf Scholz, seinerzeit Innensenator, „die Lehren aus 2001 gezogen hat“, sagt Joachim Lenders, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) und CDU-Bürgerschaftsabgeordneter.
Auch die publizistischen Helfershelfer von damals justieren bereits ihre Visiere neu. Die SPD habe „schon einmal die Macht verloren, weil sie bei der Sicherheit geschlampt hatte“, ruft genüsslich der Rathaus-Kolummnist der Bild in Erinnerung: 2001, als die Innere Sicherheit das alles beherrschende Wahlkampfthema war, „ist noch gar nicht so lange her“, schreibt er drohend. Und die Hamburger Morgenpost schwärmt schlicht: „CDU und AfD zerlegen Rot-Grün.“ Unfassbar sei das, sagt eine linke Abgeordnete: „Das ist erst 15 Jahre her – wie kann man so schnell vergessen?“
Noch ist es nur eine politische Unwucht in Hamburg, die sich aber schon in absehbarer Zeit zur Krise auswachsen kann. Hauptschuldige sind Scholz und der vor einer Woche zurückgetretene Innensenator Michael Neumann (SPD), beide bislang Garanten einer harten Linie in der Inneren Sicherheit. Doch mit der Demission des Berufsoffiziers Neumann droht der SPD der Kontrollverlust über diese Themen. Und somit kommt das sozialdemokratische Trauma von 2001 wieder hoch, dass die SPD mit Innerer Sicherheit zwar keine Wahlen gewinnen, aber krachend verlieren könne. Diese Möglichkeit vor Augen hatte Scholz damals behauptet, als er vier Monate vor der Bürgerschaftswahl September 2001 als Krisenmanager zum Innensenator wurde, „liberal, aber nicht doof“ zu sein. Er meinte, er sei nicht so doof, zu liberal zu sein.
Hält Scholz Kurs?
Aber dass Scholz und sein neuer Innensenator Andy Grote (SPD) klaren Kurs halten werden, bezweifeln die Konservativen in der eigenen Partei, die in CDU und AfD sowieso und starke Kräfte im Polizeiapparat ohnehin. Dem als „weich“ geschmähten Grote stehen sie deshalb mit gutem Rat zur Seite: Die Polizei brauche einen Senator, der sich hinter sie stelle und sich ansonsten raus halte, lassen sie über ihre üblichen publizistischen Kanäle verlauten. Terrorängste, Flüchtlingskrise und Sex-Attacken auf deutsche Frauen sind die Zutaten für eine hoch brisante Mischung, aus der sich politisches Kapital schlagen lässt. Und das droht die bislang so gesichert erscheinende rot-grüne Koalition in Hamburg vor eine Zerreißprobe zu stellen.
Nach einer aktuellen Umfrage sind CDU, Grüne, Linke und Liberale in Hamburg im Vergleich zur Wahl im Februar 2015 in etwa konstant. Die SPD aber sinkt von 45,6 Prozent auf nur noch 37 Prozent, die AfD legt hingegen von 6,1 Prozent auf 13 Prozent zu. Bei aller Vorsicht gegenüber solchen Umfragen ist ein Trend nicht zu übersehen: Mit der Flüchtlingspolitik unzufriedene SPD-Wähler wechseln wegen des Kurses von Kanzlerin Angela Merkel nicht zur CDU, sondern gleich zur AfD.
Und da droht sich „der Kreis zu schließen“, fürchtet ein als Parteirechter geltender Sozialdemokrat: 2001 liefen viele WählerInnen aus dem sozialdemokratischen Spießbürgermilieu wegen der Inneren Sicherheit zum gnadenlosen Richter Ronald Schill über, der Erlösung versprach. Drei Jahre später verhalfen sie Ole von Beust zur absoluten Mehrheit, der Hamburg von Schill erlöste. Und 2011 wanderten sie zur SPD zurück, weil Olaf Scholz versprach, „ordentlich zu regieren“.
Ordentliches Regieren reicht nicht mehr
Tut er aber nicht mehr. Dass unter seiner Regierung Hamburg den Haushalt konsolidiert und keine Schulden mehr macht, sondern sogar abbaut, interessiert niemanden mehr. Dass unter seiner Regierung die Schlaglöcher auf den Straßen so vehement zugeteert wurden, dass sich die üblichen Verdächtigen darüber beschwerten, jetzt könne man vor lauter Baustellen nicht mehr anständig Auto fahren, ist vergessen. Dass die Stadt mit dem Neubau von jährlich mehr als 6.000 Wohnungen für Entlastung auf dem umkämpfen Wohnungsmarkt zumindest zu sorgen versucht, ist egal.
Was einzig zählt: Weniger Flüchtlinge, weniger Straftaten, mehr Abschiebungen, mehr Polizei, wie es CDU-Fraktionschef André Trepoll am vorigen Mittwoch in der Bürgerschaft aufzählte. Wie er all das in einen Topf warf, sorgte links von der Union für Befürchtungen.
Vornehmlich ist es die Angst vor einem Rechtsruck bei der Hamburger SPD, die etliche Grüne umtreibt. Erst kürzlich hatte sich SPD-Chef Gabriel, dessen Stellvertreter Scholz ist, für „feste Kontingente“ bei Flüchtlingen ausgesprochen und empfohlen, die Grenzen der Willkommenskultur „nicht auszutesten“. Und wenn bei den drei Landtagswahlen am 13. März in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt CDU und SPD herbe Verluste einfahren, wonach es zur Zeit aussieht, und die AfD kräftig zulegt, was aktuelle Meinungsumfragen ebenfalls prognostizieren, „dann brennt nicht nur in der Großen Koalition die Hütte, sondern auch im Hamburger Rathaus“, sagt ein grüner Abgeordneter voraus.
Hamburg ist anfällig für simple Antworten auf komplexe Fragen, die den politischen und ethischen Konsens einer verantwortungsvollen Gesellschaft gefährden. Das droht, die Anzeichen häufen sich, erneut. Dabei ist Geschichte doch eigentlich dazu da, aus ihr zu lernen.
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