Rechtsprechung zu kirchenfreundlich: Kündigung wegen Ehebruch
Eine Kirche hat einem ihrer Musiker gekündigt – wegen Ehebruch. Jetzt haben die deutschen Gerichte einen Rüffel aus Straßburg bekommen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) fordert einen besseren Kündigungsschutz für kirchlich Beschäftigte. Wenn es um Kündigungen wegen Ehebruchs geht, müssen deutsche Arbeitsgerichte künftig auch das Recht auf Privatleben der Beschäftigten in die Abwägung einbeziehen. Das Interesse der Kirche an der Außendarstellung dürfe nicht automatisch Vorrang haben.
Der EGMR entschied am Donnerstag über zwei Klagen aus Deutschland, von denen eine erfolgreich war. Der katholische Kirchenmusiker Bernhard Schüth wird deshalb von der Bundesrepublik Schadenersatz erhalten. Schüth, 1957 geboren, arbeitete seit Mitte der 80er Jahre bei einer katholischen Kirchengemeinde in Essen als Organist und Chorleiter. 1994 trennte er sich von seiner Frau und lebte später mit einer neuen Partnerin zusammen, die schwanger wurde. Als dies 1997 bekannt wurde, kündigte ihm die Kirchengemeinde fristlos wegen Ehebruchs.
Der Organist zog vor Gericht und hatte zunächst Erfolg, die Arbeitsgerichte in Nordrhein-Westfalen kassierten die Kündigung. Doch das Bundesarbeitsgericht entschied anders. Die Kirchengemeinde hätte ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt, wenn sie den ehebrüchigen Organisten weiter beschäftigt hätte. Auch das Bundesverfassungsgericht wollte Schüth nicht helfen, es verwies nur auf eine Grundsatzentscheidung von 1985, wonach die Kirchen selbst bestimmen könnten, wann ihre Glaubwürdigkeit die Kündigung eines Mitarbeiters erfordere.
Diese betont kirchenfreundliche Rechtsprechung verstieß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Eine aus sieben Richtern bestehende Kammer gab Bernhard Schüth einstimmig recht. Die deutschen Arbeitsgerichte hätten sein Recht auf Privatleben auch in die Abwägung einbeziehen müssen.
Der Gerichtshof sagt nicht ausdrücklich, dass die Kündigung Schüths rechtswidrig war, legt dies aber nahe. So bezweifelten die Richter, ob Schüth als Organist wirklich so eng mit der katholischen Mission verbunden sei, dass seine privaten Verhältnisse die Glaubwürdigkeit der Kirche erschüttern können. Zudem betonten sie, wie schwer es für einen Kirchenmusiker sei, einen anderen Job zu finden. Außerdem habe sich Schüth auch nach der Kündigung immer loyal zur Kirche verhalten.
In einem zweiten Kündigungsfall entschied Straßburg dagegen ebenso einstimmig, dass die deutschen Gerichte keine Fehler gemacht hatten. Kläger war Michael Obst, der ehemalige Pressesprecher der Mormonen in Europa. Die Mormonen (Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage) glauben nicht nur an die Bibel, sondern auch an die Offenbarungen eines US-Predigers aus dem 19. Jahrhundert. Sie haben in Deutschland rund 35.000 Mitglieder.
Obst war seit 1986 "Generaldirektor Öffentlichkeitsarbeit". Doch 1993 wurde auch er fristlos gekündigt, nachdem er seinen Vorgesetzten eine Krise seiner Ehe und ein jahrelanges außereheliches Verhältnis gestanden hatte. Bei den Mormonen gilt Ehebruch als die "gräulichste aller Sünden".
Auch hier bestätigten das Bundesarbeitsgericht und das Verfassungsgericht die Kündigung, weil die Glaubwürdigkeit der Mormonenkirche bedroht sei. Straßburg akzeptierte nun die Kündigung Obsts. Wer für die Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich ist, habe "erhöhte Loyalitätspflichten". Die Interessen des Exmitarbeiters seien korrekt abgewogen worden.
Gegen beide Urteile sind noch Rechtsmittel zur Großen Kammer des Straßburger Gerichtshofs möglich.
In den kommenden Monaten will Straßburg über den Fall einer Erzieherin aus Pforzheim (Baden-Württemberg) entscheiden. Sie war Leiterin eines evangelischen Kindergartens und wurde 1998 fristlos gekündigt, nach dem durch ein anonymes Schreiben bekannt wurde, dass sie einer anderen (kleinen) Religionsgemeinschaft angehört.
Az.: 1620/03 (Schüth) und 425/03 (Obst)
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