Rechtsextremistische „Traditionspflege“: Fahrt ins Braune
Die Anhänger des Jugendbundes Sturmvogel verharmlosen ihre rechtsextremen Wurzeln, man pflege nur deutsche Traditionen.
Mit diesem Video wirbt die Identitäre Bewegung (IB) auf der Facebook-Seite ihres Hamburger Ablegers für sich. „Du suchst Gemeinschaft abseits des Mainstreams? Dann komm zu uns“, heißt es dort. Abseits des Mainstreams meint hier: politisch ganz weit rechts. Das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet die neurechte Identitäre Bewegung seit August 2016.
Fotos von Treffen und Fahrten des deutschen Jugendbundes Sturmvogel (SV), dessen Wurzeln in der rechtsextremen und 1994 verbotenen Wiking-Jugend (WJ) liegen, belegen jetzt personelle Überschneidungen mit der IB. Und sie zeigen, dass die IB doch mit traditionalistisch-bündischen Gruppen zusammenhängt. So singt in dem IB-Video an den Landungsbrücken Irmhild Sawallisch aus Stade. Sawallisch nahm auch schon an einer Aktion der „Identitären Mädels und Frauen“ in Hamburg teil. Auf Fotos von einem Treffen des Sturmvogels Anfang August 2015 nahe Grabow in Brandenburg steht dieselbe junge Frau neben kleineren Mädchen. Sawallisch trägt ein Halstuch, welches engagierte Ältere auszeichnet, das Haar ist gezopft, an dem grünen Hemd prangt das Logo der Gruppe: ein schwarzer Vogel auf weiß-rotem Grund.
„Der SV ist eine Abspaltung von der Wiking-Jugend“, sagt sagt Gideon Botsch vom Moses Mendelssohn Zentrum. Er forscht zur bündischen Jugend. Gut sieben Jahre vor dem Verbot der WJ entstand 1987 der Jugendbund Sturmvogel als Folge eines internen Streits. Der ehemalige WJ-Bundesfahrtenführer Rudi Wittig wurde erster Bundesführer des SV. Bereits im Oktober 2015 nahm Wittig an einem Stammtisch der Identitären in Wismar teil.
Die neurechte Identitäre Bewegung stammt ursprünglich aus Frankreich und schart vor allem junge Rechte um sich.
Ihr Hauptthema ist Rassismus, sie agitiert gegen so titulierte „Überfremdung“ und gegen Muslime. Die Identitäre Bewegung tritt dabei in einem popkulturellem Gewand auf.
In Deutschland tauchte sie 2012 erstmals auf.
Ob sie verfassungsfeindlich agieren, prüfte das Bundesamt für Verfassungsschutz seit 2013. Dessen Präsident Hans-Georg Maaßen sprach dennoch lange von einer rein „virtuellen Erscheinungsform des Rechtsextremismus“. Seit August 2016 ist das anders: Das Bundesamt beobachtet die Identitäre Bewegung.
Mehrere Landesämter für Verfassungsschutz –darunter auch Hamburg, Bremen und Niedersachsen –beobachteten die Gruppierung schon vorher.
„Bis ins Memelland“
Der Sturmvogel machte von Anfang keinen Hehl aus der politischen Gesinnung. Als „volkstreu eingestellte Deutsche“ werden die SV-Mitglieder auf einem Flyer beschrieben, der anlässlich ihrer Gründung gedruckt wurde. In ihrem Jahreskalender für 2006 offenbaren sie dann, wo ihrer Ansicht nach die Grenzen Deutschlands verlaufen: „Auf unseren Wanderungen lernen wir Deutschland kennen“, von „Schleswig-Holstein bis nach Tirol, von Elsass bis ins Memelland“.
Die Anhänger des Sturmvogels führen oft an, das sie nur Traditionen pflegen. Die personelle Verflechtung mit der Identitären Bewegung offenbart aber das Gegenteil. „Der Sturmvogel ist bewusst von Rechtsextremen gegründet worden, um Kinder und Jugendliche in ihrem Geiste zu erziehen“, sagt Botsch. „Das Jugendliche sich auch bei der IB einbringen, dürfte ganz im Sinne ihrer Eltern sein. Sie wollten ihre Kinder gegen den politischen Zeitgeist erziehen.“ Unter den Eltern, die ihre Kinder zu den Treffen des SV bringen, sind NPD-Anhänger und auch ein bekannter Holocaustleugner.
Seit 2012 ist die IB nach dem Vorbild der französischen „Génération identitaire“ auch in Deutschland aktiv. Nils Altmieks ist der Vorsitzende der IB in Deutschland, die lange vor allem in den sozialen Netzwerken präsent war. Bis Ende Juli 2016 gab es in Hamburg aber keine eigenständige Gruppe der IB. Der IB geht es darum, der vermeintlichen Islamisierung des Abendlandes, dem angeblichen großen Austausch der eigenen Bevölkerung und der unterstellten Zerstörung der ureigen Kultur entgegenzuwirken.
Keine andere Botschaft will die Hamburger IB-Gruppe mit ihrem Tanzvideo n den Landungsbrücken vermitteln. Sie schreiben auf der Facebook-Seite, dass „seit einiger Zeit immer mehr junge Menschen in Deutschland wieder Interesse und Begeisterung für ihre reiche Kultur entwickeln“ und sehen das als „Ausdruck eines Naturgesetzes: Die Bedrohung durch das Fremde erzeugt die Rückbesinnung auf das Eigene“. Sie wüssten, was sie „zu verteidigen haben; denn wir haben erfahren dürfen, was uns mit echter innerer Freude erfüllt!“ Diese Freude scheint nur eine der Gemeinsamkeiten der Identitären mit dem deutschen Jugendbund Sturmvogel zu sein.
Die Nähe zwischen IB und SV überrascht Botsch vom Mendelssohn Zentrum nicht. „Sie haben viele gemeinsame Facetten in ihren Positionen und Grundstimmungen. Sie beide denken Nation als Einheit vom Volk, Kultur und Identität, beide sehen das eigene Volk und die eigenen Identität durch eine ‚Überfremdung‘ massiv bedroht.“
Kein Recht auf Anwesenheit
Das neurechte Konzept des Ethnopluralismus klingt an, nach dem jede Ethnie seine gewaschene Kultur und ureigene Identität hat. Dieser Begriff verschleiert aber nur den völkisch-rassistischen Gehalt einer implizierten monokulturellen Gemeinschaft. So fordert die IB eine „Remigration“ bestimmter Ethnien und Kulturen – insbesondere Menschen mit muslimischem Glauben wird das Recht auf Anwesenheit abgesprochen.
Bei dem Treffen der Sturmvogel-Mitglieder in Grabow im Jahr 2015 ist Irmhild Sawallisch nicht die Einzige mit Beziehungen zur Identitären Bewegung. Der Bayer Michael Zeilinger leitete das Treffen. Jener Zeilinger, der im Juni 2016 an einer Demonstration der IB in Wien teilnahm und mit einem Megaphon die Stimmung anheizte.
Die Identitäre Bewegung betont gerne, sich Fragen der Presse zu stellen. Eine schriftliche Anfrage der taz ließ Zeilinger über Wochen unbeantwortet. Auch Irmhild Sawallisch schwieg bis Redaktionsschluss zu ihrem Engagement bei der Identitären Bewegung und dem Sturmvogel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind