Rechtsextremismus in Deutschland: Opferberatung: Rechte Gewalt ist „Massenphänomen“
Mehrere Bundesländer erleben einen Anstieg rechter Gewalt. Etwa Thüringen. So viele Angriffe gab es nach Auskunft der Opferberatung Ezra noch nie.

Rassismus sei bei mehr als der Hälfte aller Fälle in Thüringen das Motiv gewesen. In 47 Fällen richtete sich die Gewalt gegen politische Gegner:innen. Auch antisemitische Angriffe bewegten sich laut Zobel weiter auf einem hohen Niveau. Verglichen mit den Vorjahren kam es häufiger zu Gewalttaten im öffentlichen Raum, zeigt die Statistik der Beratungsstelle.
Allerdings weist auch die polizeiliche Kriminalstatistik des Freistaats einen Anstieg rechter Gewaltkriminalität aus. Erhielt die Polizei im Jahr 2023 Kenntnis von 93 Fällen, so registrierte sie im Jahr darauf schon 133 Fälle. Dieser Anstieg zeigt sich nicht nur in Thüringen.
Im Februar ergab eine Kleine Anfrage der damaligen Bundestagsabgeordneten Petra Pau (Linke), dass die Zahl rechtsextremer Straftaten 2024 in Deutschland laut Bundesinnenministerium einen neuen Höchststand erreicht hat. Demnach verzeichnete die Polizei bundesweit 41.406 Delikte als politisch rechts motiviert – und das sind nur die vorläufigen Zahlen. Bei der im Mai erwarteten Statistik des Bundeskriminalamts dürften noch weitere Fälle bekannt werden.
Zeitlicher Zusammenhang zu Wahlkämpfen
Für das Jahr 2023 hatte das BKA insgesamt 28.945 angezeigte Straftaten registriert. Auch das war bereits ein Höchststand und BKA-Präsident Holger Münch warnte bei der Präsentation vor einer Radikalisierung von Teilen der Gesellschaft. Laut Innenministerium liege der Anstieg im Jahr 2024 auch daran, dass mehr ermittelt werde.
Neben der Beratungsstelle Ezra in Thüringen, berichten auch Institutionen in anderen Bundesländern von ähnlichen Entwicklungen. So etwa die Beratungsstelle Support des Vereins RAA in Sachsen. Die veröffentlicht ihre Analyse zwar erst Mitte April, aber der taz sagte Geschäftsführerin Andrea Hübler schon vorab: 2024 registrierten sie 328 Fälle rechter Gewalt, ein Anstieg um 32 Prozent verglichen mit dem Vorjahr. Zum ersten Mal seit 2018, als es in Chemnitz zu rechten Ausschreitungen kam, verzeichnete die Beratungsstelle mehr als 300 Fälle.
In Brandenburg berichtet die Beratungsstelle Opferperspektive von 273 Fällen im vergangenen Jahr, in den meisten war Rassismus das häufigste Motiv. Genauso alarmierend sei aber auch die „drastische Zunahme“ von Angriffen auf politische Gegner:innen: „Im Vergleich zum Vorjahr hat sich diese Zahl nahezu verdoppelt“, heißt es im aktuellen Bericht der Beratungsstelle.
Demnach stehe die Entwicklung im Zusammenhang mit den Wahlkämpfen für die Kommunal-, Europa- und Landtagswahlen. So erfasste Opferperspektive etwa im September, dem Monat der Landtagswahl, 37 rechte Gewalttaten. „Damit sticht dieser Monat aus dem Jahresverlauf deutlich heraus.“
Konsequentes Handeln wirkt
Die Landtagswahlen könnten auch zu den hohen Fallzahlen in Thüringen und Sachsen beigetragen haben. Allerdings verzeichnete auch die Mobile Opferberatung in Sachsen-Anhalt einen Anstieg an Gewalttaten, wie sie am Donnerstag öffentlich machte. 281 Fälle waren es demnach 2024, im Jahr zuvor zählte die Beratung 241 Fälle. Antje Arndt, Projektleiterin der Mobilen Opferberatung, erklärte dazu, der Anstieg sei nur vor dem „Hintergrund einer fortschreitenden Normalisierung extrem rechter, minderheiten- und demokratiefeindlicher Positionen erklärbar.“
Um dem Trend entgegenzuwirken, fordert Arndt unter anderem, die Beratungsstrukturen für Betroffene finanziell besser abzusichern. Außerdem sollten Strafverfolgungsbehörden auf „diese Eskalation rechter und rassistischer Gewalt reagieren.“
In Thüringen hat auch Ezra-Leiter Zobel dafür einen konkreten Vorschlag. Nachdem die Staatsanwaltschaft in Eisenach gegen die rechtsextreme Kampfsportgruppe „Knockout 51“ vorgegangen sei, verzeichne Ezra weniger rechte Gewalttaten in der Stadt. Konsequentes Handeln zeige Wirkung, schließt Zobel daraus. Er fordere deshalb eine „Schwerpunktstaatsanwaltschaft Hasskriminalität“ in Thüringen, die speziell solche Taten verfolge.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Zollstreit mit den USA
Die US-Tech-Konzerne haben sich verzockt
Ahmed Mohamed Odowaa
Held von Aschaffenburg soll Deutschland verlassen
Streit um Atomkraft
Union will sechs AKWs reaktivieren
Angriff auf Hilfskonvoi
Im falschen Film
Sozialpolitik
Umverteilung durch Rassismus
Rechte Politik in Mecklenburg-Vorpommern
Ich will mein Zuhause nicht wegen der AfD aufgeben