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Rechtsextremismus an SchulenNoch mehr Hitlergrüße im Unterricht

In Brandenburg werden immer mehr rechtsextreme Vorfälle an Schulen dokumentiert. Das Ministerium appelliert an Lehrkräfte, Probleme zu melden.

Keine Selbstverständlichkeit an Schulen: Toleranz gegenüber anderen Foto: Frank May/dpa

Berlin taz | In Brandenburg ist die Zahl rechtsextremer Vorfälle an Schulen in den vergangenen Monaten deutlich gestiegen. Laut Zahlen aus dem Bildungsministerium in Potsdam, von denen die Welt am Sonntag berichtet, kam es allein im Mai zu 34 rechtsextremen Vorfällen. Demnach zeigten Schü­le­r:in­nen in 14 Fällen den Hitlergruß, oft im Unterricht oder auf dem Pausenhof.

Zum Vergleich: Zwischen Januar und Ende April hatte das Bildungsministerium sechs Vorfälle verzeichnet. Im laufenden Schuljahr sind es bis Anfang Juni insgesamt nun fast 100 Fälle von Rechtsextremismus an Schulen – rund 40 mehr als im Schuljahr zuvor.

Der dramatische Anstieg dürfte auf die Debatte über den Umgang der Schulen mit dem Thema zurückzuführen sein. Ausgelöst wurde sie Ende April durch einen offenen Brief zweier Lehrkräfte der Grund- und Oberschule Burg in Südbrandenburg. Vor ein paar Tagen wurde bekannt, dass sie nach rechtsextremen Anfeindungen jetzt die Schule verlassen. Die Ankündigung hat bundesweit Bestürzen ausgelöst.

Am Sonntag äußerte sich auch Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) zu den Vorgängen in Burg und nannte sie ein „Alarmzeichen“. Freiheit, Demokratie, Toleranz und Pluralität seien „zentrale Werte unserer Gesellschaft, auch an Schulen“. Diese gelte es, „überall und jeden Tag zu leben – und, wo es notwendig ist, zu verteidigen“.

Alarmierende Jugendstudie

Die steigenden Zahlen rechtsextremer Vorfälle an Schulen bestätigen die besorgniserregenden Befunde der Studie „Jugend in Brandenburg 2022/2023“, die das Bildungsministerium Ende Juni in Cottbus vorgestellt hatte. Demnach sind fast die Hälfte der Schü­le­r:in­nen in Brandenburg der Ansicht, dass „Schluss mit dem Gerede über unsere Schuld gegenüber den Juden“ sein solle. Fast je­de:r Vierte ist der Meinung, der Nationalsozialismus habe „auch seine guten Seiten gehabt“ und die Deutschen seien „anderen Völkern überlegen“.

Wie das Ministerium selbst betont, seien „ausländerfeindliche Einstellungen“ bei den Jugendlichen noch „deutlich verbreiteter“ als rechtsextreme Einstellungen. Für die Studie sind mehr als 3.000 Schü­le­r:in­nen befragt worden.

Trotz dieser Ergebnisse liest die Kinder- und Jugendbeauftragte des Landes Brandenburg, Katrin Krumrey, „durchaus Erfolge“ in der Jugendstudie. Brandenburg habe in den letzten Jahren „schon einiges getan, um dem gesamtgesellschaftlichen Problem Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus entgegenzutreten“. Das Land habe sich einen 5-Punkte-Plan für politische Bildung auferlegt.

Auf diesen Plan verwies auch Bildungsminister Steffen Freiberg (SPD) zu seinem Amtsantritt Anfang Mai. Den beiden angefeindeten Lehrkräften hatte Freiberg Unterstützung zugesagt. Vergangene Woche appellierte Freiberg erneut an die Lehrkräfte des Landes, rechtsextreme Vorfälle zu melden – notfalls direkt ins Ministerium, „wenn die Meldewege in der Schule nicht funktionieren“.

KMK sieht keinen Handlungsbedarf

In der Vergangenheit hatte sich gezeigt, dass Schulen rechtsextreme Vorfälle nicht immer melden. Selbst aus den Ministerien ist dazu zu hören, dass Schulen bei solchen Meldungen „viel Ermessungsspielraum“ hätten. Hinzu kommt, dass Schulen nicht in allen Bundesländern rechtsextreme Vorfälle verbindlich melden müssen. Die Kultusministerkonferenz (KMK) hatte zuletzt auf Nachfrage mitgeteilt, dass sie beim Thema keinen Handlungsbedarf sehe.

Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) sieht das offenbar anders. Am Sonntag sagte er: „Rechtsextremismusvorfälle an Schulen sollten bundesweit einheitlich erfasst werden.“ Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hält dies auch bei antisemitischen Vorfälle an Schulen für nötig.

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3 Kommentare

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  • Das Problem sind auch viele Lehrerinnen und Lehrer, die bewusst wegschauen. Nicht weil sie unbedingt sympathisieren, sondern weil sie um die Reputation der Schule fürchten und die damit verbundene Zusatzarbeit. Wegschauen kann indes auch als stille Bejahung gedeutet werden.

    Wegschauen atmet den Geist des Vergessens der 70er in der Bundesrepublik, das ist 2023 noch mehr aus der Zeit gefallen. Vielerorts ist eine Sensibilisierung des Lehrpersonals hin zu aktiver Verteidigung der freiheitlichen Grundordnung dringend angebracht.

    • @rakader:

      "Wegschauen atmet den Geist des Vergessens der 70er".



      Solange wir ALLE mit dem "Wegschauen" so umgehen wie wir es eben tun wird sich nichts daran ändern. Das war und ist kein Problem der 70er. Das ist schon sehr lange ein Problem in unserer Gesellschaft. Wie wir mit Menschen umgehen die den Mut haben den Finger in die Wunde legen ist eine Schande.



      Anstatt diesen Menschen dankbar zu sein werden sie bedroht, verhöhnt und im Falle der beiden Lehrkräfte unter Polizeischutz gestellt.



      Die Institutionen die sie schützen sollen versagen auf der ganzen Linie. Und die Kollegen? „Die können nichts machen“. Verweigern sich. „Sehen ja“ was mit den „Anderen“ passiert.



      Wir müssen diesen braunen Sumpf trockenlegen. Er ist wie ein Geschwür das sich immer weiter ausbreitet. Wegschauen hat den Nationalsozialismus erst möglich gemacht.



      Täter und Aggressoren müssen ermittelt, geoutet und bestraft werden. Anstatt dessen wird verharmlost und kleingeredet.



      Das Wegschauen gehört zu uns. Das müssen wir uns eingestehen, begreifen und daraus die richtigen Schlüsse ziehen.



      Wenn heute in einer unseren Schule das Zeigen von verfassungsfeindlichen Symbolen und das menschenverachtende Vokabular der Nationalsozialisten an der Tagesordnung ist, dürfen wir uns das nicht bieten lassen.



      Die Schulbehörde hätte genügend Möglichkeiten auf die Eltern einzuwirken, oder Schüler auszuschließen.

      • @Tom Lehner:

        "Wegschauen hat den Nationalsozialismus erst möglich gemacht."

        Das meine ich ja, nur mit anderen Worten.



        Die 70er führe ich als Aktiver bei der Aufarbeitung des Nationalsozialismus an; erst in den 90ern mit einer Serie wie Holocaust begann die Republik sich aktiver mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen.

        Ich gebe Ihnen recht, die Schulbehörde hätte Möglichkeiten vor allem auf Lehrer einzuwirken. Was ich von außen in diesem Fall beobachte ist aber, dass sie keine gesteigerten Anstalten macht, ihre Befugnisse anzuwenden.



        Mir kommt das ein wenig wie sächsische Polizeibehörden vor, die auf dem rechten Auge nach wie vor sehbehindert sind.