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Rechtsextremismus Polizei Berlin„Es geht um Selbstreflexion“

Svea Knöpnadel ist Extremismusbeauftragte der Polizei Berlin. Ein Gespräch über Korpsgeist, Racial-Profiling-Studien und Prävention.

Svea Knöpnadel seit Oktober 2020 Extremismusbeauftragte der Berliner Polizei Foto: Wolfgang Borrs
Interview von Plutonia Plarre

taz: Frau Knöpnadel, wie erleben Sie die Berichte über Rechtsextremismus bei der Polizei, die seit dem vergangenen Jahr bundesweit zugenommen haben?

Svea Knöpnadel: Wir hatten in der Berliner Polizei auch Vorfälle mit mangelnder Verfassungstreue. Das ist ein Problem für uns alle, ganz klar. Unsere Präsidentin hat dazu deutlich Stellung bezogen. Sowohl nach außen als auch nach innen hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden.

Früher wurde mehr unter den Teppich gekehrt?

Nein, aber die Strafen waren milder. Da hat inzwischen wirklich ein Wechsel stattgefunden, dahin gehend, dass wir viel öfter eine Entfernung beziehungsweise Entlassung aus dem Dienst anstreben. Jemand, der nicht mehr auf den Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung steht, hat bei uns in der Behörde nichts verloren. Ich bin mir sicher, dass die Rechtsprechung da mitziehen wird, über eine Entlassung entscheidet ja immer das Verwaltungsgericht. Das ist auch ein gesellschaftlicher Prozess.

Im Interview: Svea Knöpnadel

(40), ist Kriminaloberrätin, seit 21 Jahren Polizistin, hat in den unterschiedlichsten Dienststellen gearbeitet und kennt sich in der Behörde deshalb eigenen Angaben zufolge sehr gut aus. Unter anderem war sie im Rauschgiftdezernat und beim Staatsschutz im Bereich Islamismus tätig.

Aktuell sind gegen Angehörige der Berliner Polizei 24 Strafverfahren und 54 Disziplinarverfahren im Zusammenhang mit Rechtsextremismus anhängig. Warum sind die Zahlen nicht deckungsgleich?

Die Sachverhalte sind zum großen Teil deckungsgleich, aber es gibt Dienstpflichtverletzungen, die nicht in ein Strafverfahren münden. Das kann zum Beispiel das Tragen von Patches betreffen. Wir haben eine interne Richtlinie, dass man seine Uniform nicht verändern darf.

Was halten Sie von der These, die aufgedeckten Vorfälle seien Ausdruck eines strukturellen Problems?

Ich habe das einmal in einer Diskussion miterleben dürfen, da habe sich Wissenschaftler über diesen Begriff gestritten. Der eine meinte, das sei strukturell bedingt, der andere, es sei institutionell, ein dritter, es sei systemisch. Ich lasse mich auf diese Debatte ungern ein, weil die Begriffe nicht bestimmt sind. Außerdem setzt meine Arbeit deutlich früher an, deshalb hat das für mich auch nicht die Auswirkung.

Wo sehen Sie Ihren Schwerpunkt?

Ganz eindeutig beim Thema Prävention. Bei Vorfällen, die bereits im Stadium von Straf- und Disziplinarverfahren sind, kann das Landeskriminalamt nur noch konsequent ermitteln. Mir ist wichtig, niedrigschwellig anzusetzen, dort, wo wir noch etwas verändern können.

Sie haben mal gesagt, dass Sie bereits intervenieren, wenn eine neue Kollegin „Püppi“ genannt wird oder Kollegen „klein gemacht“ werden.

Ja, das geht in diese Richtung. Ich mache keinen Unterschied, ob etwas gegen Frauen gerichtet ist oder gegen Homosexuelle oder gegen eine bestimmte Ethnie. Wir wollen keine Sprachpolizei sein, es geht uns um die Reflexion des eigenen Handelns. Dass man selbst überprüft, warum man sich fragwürdig verhält.

Sie sind seit Oktober im Amt. Wie viele Hinweise aus der Kollegenschaft haben Sie seither bekommen?

Hinweise auf konkrete Sachverhalte gab es im mittleren einstelligen Bereich. Das läuft langsam an. Ich glaube, das hängt auch ein bisschen mit der mangelnden Bekanntheit meiner Rolle zusammen. Da hat uns Corona leider auch aufgehalten.

Können Sie Beispiele nennen?

Nein, das mache ich grundsätzlich nicht. Es waren Kolleginnen und Kollegen, die sich über einen Sachverhalt, den sie nicht in Ordnung fanden, geärgert haben. Ich leite das dann zur strafrechtlichen und disziplinarrechtlichen Prüfung weiter. In einem Fall wird jetzt auch weiterermittelt. Wir hatten aber auch einen Fall, wo ich den Rücklauf geben konnte, der Sachverhalt ist weder strafrechtlich noch disziplinarrechtlich relevant. Man kann der betroffenen Person dann aber verdeutlichen, dass ihr Verhalten missverstanden werden kann.

Die Aufklärung von Straftaten innerhalb der Polizei scheitert oft am Korpsgeist. Im Zweifelsfall wurde nichts gesehen oder nichts gehört. Wie erleben Sie das?

In jeder Polizei wird eng zusammengearbeitet. Das ist nun mal Fakt. Man geht mit seinem Streifenpartner oder seiner Streifenpartnerin in schwierige, gefährliche Situationen. Da muss man sich aufeinander verlassen können. Bei langen, anstrengenden Einsätzen sieht man die Teamkollegen möglicherweise öfter als die eigene Familie. Die andere Seite der Medaille ist, dass wir als Polizei alle unter dem Legalitätsprinzip stehen und Straftaten anzuzeigen haben, wenn sie uns bekannt werden. Das ist ein ganz schwieriges Spannungsfeld, das sich für meine Begriffe auch nicht völlig auflösen lässt.

Klingt nach Kapitulationserklärung.

Nein. Wir haben ganz viele Beratungsangebote in der Behörde, die man auch komplett vertraulich wahrnehmen kann. Ich habe gemerkt, dass diese Angebote vielen Mitarbeitenden gar nicht gut bekannt sind. Klar ist aber auch: Es wird nie leicht werden, wenn man einen Kollegen oder eine Kollegin anzeigen muss. Wir stellen inzwischen aber eine höhere Bereitschaft bei den Mitarbeitenden fest, Sachverhalte anzuzeigen.

Die Vorgesetzten innerhalb der Polizeibehörden sind Teil des Problems?

Wenn ich denke, mein Chef könnte Teil des Problems sein, kann ich mich an den nächsthöheren Vorgesetzten wenden. Oder an den Psychosozialen Dienst oder an die Beratungsstelle für Konfliktmanagement, die Schweigepflicht hat.

Unterliegen Sie selbst auch der Schweigepflicht?

Nein, als Kriminalbeamtin unterstehe ich dem Legalitätsprinzip. Wenn ich merke, dass mir jemand bei einem Anruf vertraulich von einer Straftat erzählen will vermittle ich sofort an die Leitung der Stelle für Konfliktmanagement.

Zu dem 11-Punkte-Plan, den Innensenator Geisel let­tes Jahr gegen Extremismus bei der Polizei angekündigt hat, gehört auch die Einführung eines anonoymen Whistleblowersystems.

Da wird in der Behörde intensiv dran gearbeitet, es läuft eine rechtliche Prüfung. Für den Themenbereich Korruption gibt es dieses anonyme Hinweisgebersystem, AHS genannt, bereits seit Jahren. Es soll jetzt auf alle Delikte ausgeweitet werden.

Was versprechen Sie sich für Ihren Bereich davon?

Ich sehe dabei Vor- und Nachteile. Das Instrument ist grundsätzlich gut geeignet, mehr Sachverhalte ans Licht zu bringen. Allerdings bleibt die Person, die den Hinweis gibt, völlig anonym. Eine Glaubwürdigkeitsprüfung durchzuführen ist da schwierig. Es gibt ja nicht nur nette, ehrliche Leute, die einen Hinweis geben.

Manche wollen anderen auch nur einen reinwürgen?

Je weniger Informationen man hat, desto schlechter lässt sich ein Sachverhalt überprüfen. Ich finde es insgesamt günstiger, wenn man sich an die bereits vorhandenen vertraulichen Stellen wendet, auch weil man die Hinweisgebenden dann psychologisch unterstützen kann.

Auch über Rassismus und Racial Profling bei der Polizei wird heftig diskutiert. Der Vorwurf ist, dass Menschen, die „anders“aussehen, gezielt kontrolliert werde. Wie sehen Sie das?

Natürlich ist es ein Problem für uns, wenn uns das vorgeworfen wird. Damit müssen wir uns befassen. Aber grundsätzlich finden Kontrollen statt, weil man bei der Person ein bestimmtes Verhalten – zum Beispiel Drogenhandel – beobachtet hat –, und nicht weil die Person eine bestimmte Hautfarbe hat. Das ist mir wichtig zu betonen.

Dass Angehörige ethnischer Minderheiten überproportional von Polizeikontrollen betroffen sind, ist durch diverse Studien belegt.

Ich kann keine Studien kommentieren, die ich nicht kenne. Die Frage ist auch: Wie sind sie zustande gekommen? Sind das zum Beispiel nur Betroffenenbefragungen? Aber ich kann natürlich nicht für alle 17.000 Vollzugskollegen und -kolleginnen, die draußen unterwegs sind, die Hand ins Feuer legen. Es kann sein, dass da auch jemand ist, der diesen Differenzierungsunterschied nicht mehr machen kann. Dass einer anfängt, zu pauschalisieren. Aber das sollte man nicht verallgemeinern.

Vieles spricht dafür, dass die Polizei bundesweit ein riesiges Racial-Profiling-Problem hat. Selbst dem Chef Ihrer Polizeipressestelle ist das passiert. Als er in Zivil in einer bundesdeutschen Altstadt unterwegs war, wurde er wegen seiner Hautfarbe von der örtlichen Polizei observiert.

Ich kenne die Aussage unseres Pressesprechers. Ich glaube ihm das. Aber das kann doch für uns nur noch mehr Grund sein, uns immer wieder mit den Kolleginnen und Kollegen hinzusetzen und sie zu sensibilisieren. Dass man nicht einsatzblind sein darf. Auch wenn ich mit einer Gruppe von Straftätern einer bestimmten Herkunft immer wieder dasselbe erlebe, muss ich es kognitiv hinbekommen, dass das nicht repräsentativ ist für alle anderen. Da müssen wir den Kolleginnen und Kollegen, die in so einer Spirale gefangen sind, heraushelfen.

Wie soll das gehen?

Supervision ist ein sehr gutes Mittel, auch Fortbildungen sind es. Wir haben zum Beispiel einen Workshop über die Rolle der Führungskraft geplant: Für Führungskräfte der mittleren Ebene, die sehr dicht dran sind an den Mitarbeitenden. Wegen Corona mussten wir den Termin leider schon dreimal verschieben.

Was versprechen Sie sich denn davon?

Vorgesetzte haben eine unheimliche Vorbildfunktion. Wenn der Chef über einen derben Witz mitlacht, weiß ich, was für ein Klima in der Dienstgruppe herrscht. In so einer Rolle kann man aber auch sehr viel bewirken.

Könnten Sie das an einem Beispiel konkretisieren?

Angenommen, ein Kollege hat eine abwertende Bemerkung gemacht, die aber noch nicht im Rahmen einer Beleidigung ist. Den kann ich mir beiseitenehmen und ihm sagen: Das ist nicht in Ordnung. Warum tust du das? So kann ich herausfinden: Verbirgt sich dahinter eine politische Haltung? Oder ist der völlig frustriert von einem Einsatz und kann nicht mehr richtig differenzieren? Wenn es Gedankenlosigkeit ist, kann ich mit einer Sensibilisierung arbeiten. Auf jeden Fall aber sollten sich Vorgesetzte dazu positionieren.

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