Rechtsextremer Aufmarsch in Berlin: Was für eine Schlappe
Das Verbot des „Wir für Deutschland“-Aufmarschs am Freitagabend scheiterte. Zur Niederlage für die Rechtsextremen wurde er trotzdem.
Mit einer Stunde Verspätung setzt sich der Zug am Freitagabend um 19 Uhr 30 schließlich in Bewegung. Mehr als gut 100 Teilnehmer sind es auch jetzt nicht. Eine deutliche Niederlage für die Organisation des Rechtsextremisten Stubbe aus Berlin-Marzahn, die seit Frühling 2015 regelmäßig Aufmärsche in Berlin veranstaltet. So wenig Teilnehmer waren es noch nie.
Sie halten Kerzen in den Händen, vom Lautsprecherwagen werden Youtube-Videos mit klassischer Musik gespielt, von Werbeeinlagen unterbrochen. Der Gegenprotest ist da deutlich präsenter: Mehrere tausend Menschen haben den Hauptbahnhof umzingelt, ihre Rufe dringen lautstark herüber.
Schon im Vorfeld hatte es viel Protest dagegen gegeben, dass ausgerechnet am 9. November, dem 80. Jahrestag der Reichspogromnacht, Rechtsextreme in Berlin aufmarschieren wollen, nur ein paar hundert Meter vom Denkmal für die ermordeten Juden und Jüdinnen Europas entfernt.
Erst untersagt, dann erlaubt
„Man sagt mir, unsere Demokratie müsse mit so etwas fertig werden, aber ich will damit nicht fertig werden“, hatte Lala Süßkind gesagt, die Vorsitzende des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus. Die Versammlungsbehörde hatte den rechtsextremen Aufmarsch schließlich untersagt, da sich dieser offensichtlich gegen den Gedenktag richte – eine Argumentation, der weder das Berliner Verwaltungsgericht noch in nächster Gericht das Oberverwaltungsgericht gefolgt waren.
Das Verbot wurde als „offensichtlich rechtswidrig“ zurückgewiesen. Die rechtsextreme Demonstration, vorgeblich aus Anlass des 9. Novembers 1989 veranstaltet, konnte also stattfinden. Trotzdem ist der politische Wille der Berliner Senatsverwaltung für Inneres deutlich zu spüren: Den Rechtsextremen wird an diesem Abend, anders als sonst bei Aufmärschen von „Wir für Deutschland“ üblich, nur ein kleiner Teil des Washingtonplatz vor dem Berliner Hauptbahnhof als Anmeldeplatz zugestanden, der Gegenprotest ist an vielen Orten der Route deutlich hör- und sichtbar.
„Ich bin auch nach der Gerichtsentscheidung überzeugt davon, dass wir das nicht zulassen sollten an einem Tag, an dem die Welt auf Berlin schaut“, kommentiert Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) die Gerichtsentscheidung. „Mehrere tausend“ Gegendemonstranten zählt die Berliner Polizei, von 7.000 Teilnehmern spricht das Berliner Bündnis gegen Rechts, das zu den Protesten aufgerufen hatte.
Insgesamt bleibt es friedlich, von kleineren Rangeleien mit der Polizei abgesehen, die für alle Veranstaltungen an diesem Tag mit 1.200 Beamten im Einsatz ist. Für die Rechtsextremen von „Wir für Deutschland“ war dieser Tag eine deutliche Schlappe – der starke Protest bereits wird daran seinen Anteil gehabt haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr