Rechtsextreme in Ostwestfalen: Ein Provinznazi lädt ein
Zu einer rechtsextremen Demo in Herford wird überregional mobilisiert. Auch in der westdeutschen Provinz werden junge Neonazis offenbar aktiver.

Die Region ist nicht unbedingt als braunes Hinterland bekannt: Die AfD ist in Herford nicht einmal im Stadtrat vertreten und vor dem Kunstmuseum steht eine Tupac-Statue. Auch die „soziologischen Rahmenbedingungen für die extreme Rechte erscheinen eher unauffällig“, schrieb die Mobile Beratung gegen Rechts (MBR) in Ostwestfalen-Lippe schon 2016. Kurzum: Den Menschen hier geht es verhältnismäßig gut.
Gleichwohl gibt es, wie überall in Deutschland, extrem rechte Strukturen. Die Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck lebte nur wenige Autominuten von Herford entfernt. Zudem finden sich in der Region Orte, die für Neonazis von symbolischer Bedeutung sind, wie das Hermannsdenkmal oder die Wewelsburg. „Ostwestfalen ist für die extreme Rechte eine mythisch aufgeladene Region“, schreibt die MBR.
„Es gab hier natürlich schon immer Nazis. Aber das, was am Wochenende passiert ist, hat keine Anbindung an die alten Strukturen“, sagt Meshut Cakar, Sprecher des Bündnisses, das den Gegenprotest organisiert hat. Er sieht Parallelen zu den Aufmärschen junger Neonazis 2024, die sich vor allem gegen CSDs in Ostdeutschland gerichtet haben. „Was letztes Jahr im Osten passiert ist, kommt jetzt rüber. Das war nur eine Frage der Zeit“, sagt er.
„Sind Neonazis anwesend?“
„Wir beobachten seit mehreren Jahren eine deutliche Zunahme rechter Aktivitäten. Besonders auffällig ist dabei die Entstehung rechtsextremer Jugendkulturen“, sagt Marc Jacobsen von der MBR in Herford. Erst vor wenigen Monaten habe sich beispielsweise ein „Active Club Ostwestfalen“ gegründet. In Active Clubs vernetzen sich junge Neonazis über Kampfsport. Auch im Zusammenhang mit CSD-Veranstaltungen kam es zu gezielten Störungen.
Daniel Kokott war Anmelder der Nazi-Demo in Herford und versucht seit geraumer Zeit die Rechtsextremisten in der Region zu organisieren. Er ist Kopf der „Freischar Westfalen“, die Gruppe ist bislang vor allem durch Propagandaaktionen aufgefallen. Auch sein minderjähriger Sohn soll laut dem Recherchekollektiv Ostwestfalen Teil der Vereinigung sein.
Kokott soll zudem Admin des örtlichen Querdenken-Ablegers „Bielefeld steht auf“ gewesen sein. Seine „Freischar“ putzte gemeinsam mit dem neuen „Active Club“ ein Soldatengrab in Kokotts Heimatdorf Leopoldshöhe. Auch die Sicherheitsbehörden haben ihn auf dem Schirm. Schon 2024 wurde er im „Lagebild Rechtsextremismus“ des NRW-Innenministeriums erwähnt. Demnach habe Kokott seine Rolle bei „Bielefeld steht auf“ genutzt, um rassistische Beiträge zu verbreiten und die „Normalisierung von rechtsextremer Ideologie innerhalb der Gruppierung“ zu fördern.
Zudem leitet Kokott eine Bürgerinitiative samt WhatsApp-Gruppe, um gegen eine Geflüchtetenunterkunft zu hetzen. In seinem Dorf gibt er sich bürgerlicher: Als Kokott in einem WDR-Beitrag als Rechtsextremist bezeichnet wurde, gab es Solidaritätsbekundungen in der WhatsApp-Gruppe: Jeder der ihn kenne, wisse, dass das gar nicht stimme, meinte eine Userin.
In Herford gab sich Kokott sehr viel offener: „Sind Neonazis anwesend? Wahrscheinlich! Warum sind sie anwesend? Weil ich sie eingeladen habe“, sagte er auf dem Marktplatz in Herford. Alle „die sich für Deutschland einsetzen“ seien willkommen, die wahren Extremisten seien Menschen wie Linken-Politikerin Heidi Reichinnek, „wir sind einfach normale Leute“, sagte er. Die Neonazis riefen „Jawoll“ und applaudierten. Später wurde im Sprechchor „Frei, Sozial und National“, „Remigration“, „Alle Zecken sind Schweine“ oder „West-West-Westdeutschland“ gebrüllt. ]]]
Kokotts Aufruf zur Provinzdemo folgten Neonazis aus verschiedenen Regionen: Es kamen Mitglieder der Jungnazi-Gruppe „Jung & Stark“ aus dem Ruhrgebiet, vereinzelt auch ältere Rechtsextreme wie der Dortmunder Die Heimat-Chef Sascha Krolzig. Optisch prägend und wohl am stärksten vertreten war „Der Störtrupp“ (DST), dessen Mitglieder teils aus Süddeutschland anreisten. Die DST-Mitglieder stellten auch die Ordner der Versammlung.
Warum Herford?
Kokott hat die Kontakte wohl auf seinen Besuchen bei Neonazi-Demos im ganzen Land geknüpft: In Aschaffenburg und Aachen nahm er an Demonstrationen teil und heizte der Menge per Megaphon ein. Beim neonazistischen „Trauermarsch“ am 15. Februar in Dresden lief er mit. Ende März beteiligte er sich an der „Gemeinsam für Deutschland“-Demonstration in Stuttgart, die ebenfalls stark von DST geprägt war. In Stuttgart waren schon mehrere Neonazis dabei, die wenige Wochen später nach Herford kamen.
Bleibt die Frage, weshalb sich Kokott diese Stadt als Treffpunkt für seine neonazistischen Reisefreund:innen ausgesucht hat: Es ist weder sein Heimatort, noch die größte Stadt in der Region. „Kokott hat Herford als Hort des Linksextremismus ausgemacht – was massiver Quatsch ist“, erklärt Bündnissprecher Cakar. Vor einigen Wochen entleerten mutmaßlich Antifaschist:innen einen Eimer weißer Farbe vor Kokotts Haustür, seitdem wähnt er sich im Fadenkreuz vermeintlichen linken Terrors. Im Fokus des rechtsextremen Netzwerkers vom Dorf steht nun das linke Soziale Zentrum FlaFla in Herford.
Vor einiger Zeit gab es schon mal eine Auseinandersetzung mit rechten Jugendlichen, berichtet Judith, die im FlaFla arbeitet und ihren Nachnamen aus Sicherheitsgründen nicht nennen will. Dabei sei auch ein Böller in den Hof des linken Zentrums geschmissen worden.
Cakar macht sich Sorgen, dass das linke Zentrum weiter als Feindbild herhalten könnte. Das Feindbild „Antifa“, das letztlich alle umfasst, die nicht ins Weltbild der Neonazis passen, trage dazu bei: „Die Antifa hat ja kein Büro, erst Recht nicht in Herford. Also werden die zum Fla gehen“, befürchtet er. Die Bedrohung sei durch die Demo gestiegen.
Junge Linke in Herford würden nun unter anderen, schwierigeren Bedingungen sozialisiert als die Generationen vor ihnen: „Ich konnte hier in Herford in Ruhe aufwachsen, ohne dass es Nazis gab, von denen ich mich bedroht gefühlt hätte“, sagt Judith.
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