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Rechtsextreme Demos in NiedersachsenAls Spaziergang getarnt

Viele kleine Aktionen statt einer zentralen Demo: In der Telegram-Gruppe „Freie Niedersachsen“ rufen Unbekannte zum Protest gegen die Coronamaßnahmen.

Sie trauen den Medien nicht: Protest vor der niedersächsischen Staatskanzlei Foto: Michael Trammer

Hannover taz | Der Vollmond scheint auf das Anzeiger-Hochhaus in Hannover. Eine Gruppe Menschen steht mit Grablichtern und Kerzen in den Händen auf dem Platz davor. Einzelne stellen die Lichter vor einem „Radio Hannover“-Schild auf den Boden.

Etwa dreißig Verschwörungs­ideolog*innen sind am Sonntagabend einem Aufruf gefolgt, der im Messengerdienst Telegram geteilt wurde. Die dritte Woche in Folge rief unter anderem die Gruppe „Freie Niedersachsen“ dazu auf, Grablichter „gegen Spaltung“ abzustellen. In Hannover geschieht das zum zweiten Mal an einem Ort, der für die lokale Medienlandschaft steht: Nach einer Aktion mit 400 Menschen am Landesfunkhaus des NDR am Sonntag der vorangegangenen Wochegibt es nun Kerzen an dem historischen Hochhaus, in dem Spiegel und Stern gegründet wurden.

Mehrere Medien haben dort auch heute ihre Büros. „Natürlich ist der Ort kein Zufall“, sagt eine Frau mittleren Alters, die eine OP-Maske trägt und sich im Gegensatz zu vielen anderen an diesem Abend auf ein Gespräch mit Jour­na­­lis­t*in­­nen einlässt. Es werde zu einseitig berichtet, alle Zeitungen seien inhaltlich gleich, meint sie. Eine ältere Dame mit dickem Stirnband sagt: Deutschland sei nicht souverän, sondern besetzt. Die Situation gerade gehe in Richtung Diktatur, habe 1933 genauso begonnen. Sie dürfe ja nicht sagen, was sie denke – sagt sie dem Reporter.

Seit mehreren Wochen machen Ver­schwö­rungs­ideo­lo­g*in­nen im Zuge der Diskussion um eine allgemeine Impfpflicht in Deutschland mobil. Rechtsextreme Gruppen versuchen, die neue Mobilisierungswelle für sich zu nutzen.

Besonders krasse Gewaltandrohungen

Am Samstagmittag sind das Who-is-who der niedersächischen AfD, der Jungen Alternative, einzelne HAGIDA-Akteur*innen und bekannte Verschwörungs­ideolog*innen bei einer Kundgebung vor dem niedersächsischen Landtag. Am Rand steht ein Mann, auf dessen Maske eine Grimasse und eine SPD-Fahne abgebildet sind. Er sei hier, weil niemand sich gegen eine Impfpflicht stelle, sagt er der taz. Die SPD habe ihm als Mitglied verbieten wollen, zur AfD-Demonstration zu gehen. Für seine Kinder wolle er aber alles tun. Das schließe eine Kooperation mit der AfD und möglichen Rechts­ex­tre­mis­t*in­nen ein, sagt er. Mehrere hundert Menschen ziehen weiter zu einer von einer Privatperson angemeldeten Kundgebung mit bis zu fünfhundert Personen auf dem hannoverschen Opernplatz.

Seit mehreren Wochen machen Ver­schwö­rungs­ideo­lo­g*in­nen im Zuge der Diskussion um eine allgemeine Impfpflicht in Deutschland mobil

Eine neu initiierte Sammelbewegung bekommt immer weiter Zuwachs: Die „Freien Niedersachsen“ haben mittlerweile knapp 14.000 Fol­lo­wer*­in­nen auf Telegram. Nach dem Vorbild der von rechtsextremen Kadern initiierten „Freien Sachsen“ ist seit Anfang Dezember eine Mobilisierungs- und Informationsplattform entstanden, die mit eigenen Beiträgen auch inhaltliche Spitzen setzt. Der NDR etwa sei eine „Propagandamedienanstalt“, der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) ein „Möchtegern-Kaiser“ und „Despot“. Nach Darstellung der „Freien Niedersachsen“ selbst folgen Tausende ihren Aufrufen zum Protest.

Bis zum 15. Dezember gab es von den „Freien Niedersachsen“ auch eine Telegram-Chatgruppe zum Austausch und für Bilder und Videos. Hier freute sich einer, der sich „Detlef“ nennt, auf den „Nürnberger Prozess 2.0“ für den niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius (SPD). „Also immer schön vorsichtig bleiben Herr Pistorius“, schrieb Detlef. Eine, die sich „Marlies“ nennt, war sich sicher: Friedliche Proteste hätten bisher nichts erreicht, man müsse andere Wege gehen. Eine „Tina“ wollte an den Privatadressen von Po­li­ti­ke­r*in­nen aufschlagen.

Passiert ist das schon bei der Landesgesundheitsministerin in Sachsen. Aber auch in Hannover gab es bereits eine Mobilisierung vor Stephan Weils Wohnhaus. Immer wieder wurden Beiträge in dem Chat wegmoderiert und gelöscht – besonders krasse Gewaltandrohungen zum Beispiel. Die Chatgruppe ist inzwischen geschlossen, nun ist eine Interaktion nur noch in den Kommentaren unter den Beiträgen möglich.

Erneut bis zu 120 Aktionen

Der niedersächsische Verfassungsschutz ordnet die „Freien Niedersachsen“ dem Verdachtsobjekt „Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates“ zu. Die Gruppierung orientiere sich zwar inhaltlich und in ihrem Auftreten an den „Freien Sachsen“, allerdings nach bisher vorliegenden Erkenntnissen ohne organisatorische Bezüge, so der niedersächsische Verfassungsschutz auf taz-Anfrage. In den vergangenen Wochen habe sich gezeigt, dass esbei den Protestzügen immer mehr Teil­neh­me­r*in­nen gebe. Rechts­ex­tre­mis­t*in­nen und Reichs­bür­ge­r*in­nen seien zwar darunter, organisierten sie aber nicht selbst. „Radikale Teile der Coronaleugner sehen Gewalt als legitimes Mittel und machen staatliche Repräsentanten verächtlich“, so der Verfassungsschutz.

Was gerade in Niedersachsen passiert, ist eine Regionalisierung der Proteste. Zuvor gab es vor allem zentrale Protestaktionen in den Großstädten, jetzt sollen kleinere Aktionen in Wohnortnähe mehr Menschen mobilisieren. Durch den bewussten Verzicht auf Banner und Plakate schaffen es die als Spaziergänge getarnten Demonstrationen, nach außen harmlos und beinahe unpolitisch zu wirken.

Am Samstag eskalierte eine dieser Aktionen in Hildesheim. Laut Polizeibericht wurde ein Medienvertreter geschubst und massiv beleidigt. Als Be­am­t*in­nen die Identität der mutmaßlichen Versammlungsleiterin feststellen wollten, sei es zu Solidarisierungsaktionen gekommen. „Die Polizeikräfte wurden umringt und beschimpft“, schreibt die Polizei Hildesheim. Daraufhin habe man die Versammlung aufgelöst und Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet.

Für den Montagabend riefen die „Freien Niedersachsen“ erneut zu bis zu 120 Aktionen in ganz Niedersachsen auf.

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1 Kommentar

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  • Ich hätte mal einen Vorschlag. Wie wäre es damit: Mal eine Woche lang "Spaziergänge", kleinere Demos medial komplett ignorieren oder nur in einer kleinen bundesweiten Meldung zusammenfassend berichten. Trotz des Hasses gegen "die" Medien der immer häufiger auch gewalttätig gezeigt wird, profitiert die Minderheit der prinzipiellen Gegner aller Coronamaßnahmen von den vollen medialen Scheinwerfern, die auf jede ihrer Veranstaltung auf sie gerichtet wird und sie so viel größer und wichtiger machen, als sie sind. Stattdessen: Eine Woche lang ausführliche Berichterstattung über all jene zivilen Initiativen, die das beste aus der besch ... Pandemiesituation machen und (oft ehrenamtlich) weiter Menschen in sozialen Notlagen vor Ort beraten, in Präsenzkursen deutsch unterrichten, Angebote für Kinder aus prekären Familien bieten und mehr um die Folgen der Pandemie für diejenigen die am meisten darunter leiden abzufedern. Da gibts ja auch international zivilgesellschaftliche Initiativen, die sogar ganz ohne oder gegen staatlichen Willen das Überleben, Gesundheitsschutz und soziale Infrastruktur in der Pandemie aufrecht erhalten (z.B. in syrischen Flüchtlingslagern). Ich weiß sie kommen in der taz schon sehr viel mehr zur Beachtung als in anderen Medien, genau deshalb schlage ich es der taz Redaktion vor, sie mal ganz nach vorne zu bringen in den Schlagzeilen.