piwik no script img

Rechtsexperte über Impfpflicht„Indirekter Zwang ist möglich“

Medizinanwalt Rudolf Ratzel hält eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen für umsetzbar. Es komme auf den Arbeitsbereich der Beschäftigten an.

Impfpflicht für Berufsgruppen ist rechtlich möglich Foto: picture alliance/dpa
Interview von Kathrin Becker

Herr Ratzel, in den USA haben Unternehmen wie Google, Facebook und Uber eine Impfpflicht für ihre Angestellten eingeführt. Wäre das theoretisch auch in Deutschland möglich?

Rudolf Ratzel: Das muss man differenziert beantworten. Wenn Sie die Frage stellen: Darf der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer zwingen, sich impfen zu lassen? Dann lautet die Antwort: Nein, das darf er natürlich nicht. Aber es darf ein indirekter Zwang ausgeübt werden. Insofern, dass in Berufen, die in Gefährdungsbereichen liegen, wie zum Beispiel Pflegeheime, Krankenhäuser oder Kindergärten, die Beschäftigung an diesem Platz davon abhängig gemacht werden kann, dass sich der oder die Betroffene entsprechenden Impfungen unterzieht.

Eine solche Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen gibt es bereits bei der Masern-Schutz-Impfung. Hier gibt es auch schon eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der entsprechende Verpflichtungen der Arbeitnehmenden als nicht gegen die europäische Menschenrechtskonvention verstoßend eingestuft hat.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit Unternehmen eine Covid-19-Impfung voraussetzen dürfen?

Das kommt auf jeden Fall auf den Bereich an, in dem die Beschäftigten tätig sind. Bei Google zum Beispiel kann ich mir nur schwer vorstellen, dass Bedienstete in Problemzonen tätig sind. Da wäre es sicherlich schwierig, den Vergütungsanspruch von einer Impfung abhängig zu machen, zumindest in Deutschland. Bei Uber würde ich es differenzierter betrachten. Das ist ja ein Personenbeförderer. Da wäre es durchaus möglich zu sagen: Du kannst nur Vertragspartner bleiben, wenn du dich einer Impfung unterziehst.

Halten Sie eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen für ein geeignetes Mittel, um die Impfbereitschaft zu erhöhen?

Das ist weniger eine rechtliche als eine gesellschaftspolitische Frage. Meine persönliche Meinung ist: Ja, für bestimmte Berufe wie im Pflegebereich würde ich das sogar begrüßen.

An verschiedener Stelle wurde öffentlich behauptet, eine allgemeine Impfpflicht sei verfassungswidrig. Stimmt das?

Nein, das zu behaupgten ist vermessen. Oft wird vergessen, dass es in Deutschland schon einmal eine Impfpflicht gab – und zwar gegen die Pocken. Das ist ab Mitte der 70er Jahre nicht mehr relevant gewesen, weil die WHO die Pocken als ausgestorben eingestuft hat. Aber das ist damals vom Verfassungsgericht durchgewunken worden. Nun kann man sagen, dass sich die Sensibiität vielleicht geändert hat. Allerdings sind auch ganz aktuell Anträge gegen die Masern-Schutz-Pflichtimpfung vom Verfassungsgericht abgelehnt worden.

Unter welchen Voraussetzungen könnte die Politik eine allgemeine Impfpflicht einführen?

Der Vorteil für die Allgemeinheit muss die Risiken für das Individuum deutlich überwiegen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Wer im Krankenhaus oder im Pflegedienst arbeitet und sich nicht impfen lässt, ist dort fehl am Platze.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    .....................................Berufe(n), die in Gefährdungsbereichen liegen, wie zum Beispiel Pflegeheime, Krankenhäuser oder Kindergärten, ......



    ==



    Was ist mit Rettungssanitätern, Polizei, Feuerwehr, sonstigen Retungskräften wie Technisches Hilfswerk, Einwohnermeldeämter, Jobcenter, Lehrer, Mitarbeiter von Beratungsstellen, Mitarbeiter von Flüchtlingsheimen und Ämter/n Firmen mit Publikumsverkehr in Fällen bei Anliegen sich nicht per Internet erledigen lassen?



    (Liste lässt sich beliebeig erweitern)

    Zum hundersten Mal die Frage:



    Wie schützen Impfgegner andere davor das sie selbst andere anstecken?



    Warum gibt es darauf keine Antworten?