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Rechtsanwältin über Abstammungsrecht„Die Reform ist seit Jahren überfällig“

Die Ungleichbehandlung lesbischer Mütter sei nicht hinnehmbar, sagt Anwältin Lucy Chebout. Das Bundesverfassungsgericht müsse endlich entscheiden.

Müssen um ihr Recht kämpfen: Zwei-Mütter-Familien Foto: westend61/getty images
Patricia Hecht
Interview von Patricia Hecht

taz: Frau Chebout, die Ampel wollte die Stiefkindadoption für lesbische Paare beenden – also den Umstand, dass Mütter ihre eigenen Kinder durch langwierige Verfahren adoptieren müssen. Im neuen Koalitionsvertrag kommt das Vorhaben nicht mehr vor. Ist das Projekt gescheitert?

Lucy Chebout: Der Koalitionsvertrag kündigt familienrechtliche Reformen an. Zudem enthält er einen Passus, in dem es heißt, queeres Leben solle vor Diskriminierung geschützt werden. Ich interpretierte also wohlwollend, dass die künftige Regierung das Thema auf dem Schirm hat.

Im Interview: Lucy Chebout

ist Fachanwältin für Familienrecht bei der Kanzlei Raue, Richterin des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin und Vizepräsidentin des Deutschen Juristinnenbunds djb. Sie vertritt mehrere Familien der Initiative Nodoption.

taz: Bei den familienrechtlichen Reformen geht es um den Gewaltschutz. Das ist gut, hat aber mit der Stiefkindadoption nichts zu tun. Und das queere Leben bekommt nur den einen Satz, den Sie zitieren. Das Projekt findet im Koalitionsvertrag nicht statt.

Chebout: Wörtlich kommt das Abstammungsrecht nicht vor. Aber wer ein Familienrecht will, das am Kindeswohl orientiert ist, muss zwingend das Abstammungsrecht reformieren. Dass die Ungleichbehandlung lesbischer Mütter auch acht Jahre nach Einführung der „Ehe für alle“ noch nicht beseitigt ist, ist nicht hinnehmbar. Kinder queerer Eltern sind rechtlich dadurch nur unzureichend abgesichert. Im Bundesjustizministerium liegen fertige Entwürfe, die diese Diskriminierung beenden können. Es muss in dieser Legislaturperiode etwas kommen.

taz: Die Initiative Nodoption, für die Sie einige Familien als Anwältin vertreten, ist seit ihrer Gründung 2020 zweigleisig gefahren: Daneben, dass die Initiative auf eine politische Lösung hinarbeitet, wurden einige Fälle vor Gericht gebracht. Wie viele Fälle liegen derzeit beim Bundesverfassungsgericht?

Chebout: Insgesamt sechs. Seit 2021 haben fünf Gerichte, darunter das Kammergericht Berlin und das Oberlandesgericht Celle, Verfahren von Zwei-Mütter-Familien ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht sogenannte konkrete Normenkontrollen vorgelegt. Die Gerichte sind überzeugt, dass die aktuelle Rechtslage diskriminierend und nicht mit der Verfassung vereinbar ist. All diese Fälle betreffen anonyme Samenspenden. Einen weiteren Fall mit privater Samenspende haben wir in Form einer Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht gebracht.

taz: Bei Nodoption sind rund 200 Familien zusammengeschlossen. Rechnen Sie mit weiteren Fällen in Karlsruhe?

Chebout: Es laufen rund 15 weitere familiengerichtliche Verfahren. Die meisten haben die Gerichte aber ausgesetzt. Es gibt in der Familiengerichtsbarkeit seit Jahren die Erwartung, dass das Bundesverfassungsgericht bald entscheiden wird.

taz: Ist absehbar, wann das passiert?

Chebout: Bei den ersten Vorlagen 2021 dachten wir noch, es sei nur eine Frage der Zeit, bis das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber zuvorkommen und entscheiden würde. Aber die großen Hoffnungen auf Gerechtigkeit, die insbesondere die betroffenen Familien in das Bundesverfassungsgericht gesetzt haben, wurden bitter enttäuscht. Es passiert seit vier Jahren einfach gar nichts in Karlsruhe. Wir haben deshalb im Herbst 2024 die Verzögerung der Verfahren gerügt. Für die Eltern und ihre Kinder geht es schließlich um gravierende Rechtsunsicherheit und schwerwiegend fehlende rechtliche Absicherung.

taz: Wie alt waren die Kinder, als die ersten Verfahren in Karlsruhe vorgelegt wurden?

Chebout: Wir haben alle Verfahren gestartet, kurz nachdem die Kinder zur Welt gekommen waren. Nächstes Jahr kommen nun die ersten von ihnen in die Schule. Das ist eine unendlich lange Zeit, gerade im Leben von kleinen Kindern. Und obwohl die Kinder von Anfang an mit zwei fürsorgenden Eltern aufwachsen, haben sie noch immer keine vollständige Geburtsurkunde und gelten rechtlich weiterhin als die Kinder alleinerziehender Mütter. Die zweiten Elternteile sind rechtlich nicht existent.

taz: Hätten die Eltern nicht irgendwann aus einem Verantwortungsbewusstsein heraus ihr Kind adoptieren müssen, um diese Rechtsunsicherheit zu vermeiden?

Chebout: Man darf diesen Vorwurf nicht den Familien machen. Für die rechtliche Misere ist allein der Gesetzgeber verantwortlich, der Kindern queerer Eltern die automatische Zuordnung eines zweiten Elternteils verwehrt – allein weil der zweite Elternteil kein Mann ist. Man muss sich klarmachen: Wären die Kinder in heterosexuelle Ehen hineingeboren, hätten sie von Anfang einen zweiten rechtlichen Elternteil, auch wenn sie mittels Samenspende eines Dritten gezeugt worden wären. Da geht es also nicht um leibliche Abstammung. Queeren Familien sagt der Staat hingegen: „Ihr seid keine richtigen Familien“ und zwingt sie in das Verfahren der Stiefkindadoption, das im Übrigen selbst anfällig ist für allerlei weitere Diskriminierungen. Wenn sich queere Eltern in dieser Situation entscheiden, den Weg der Stiefkindadoption nicht zu gehen, ist das kein Ausdruck eines mangelnden Verantwortungsbewusstseins für ihre Kinder. Die Familien wehren sich gegen staatliches Unrecht, weil sie eben keine Adoptivfamilien, sondern originäre Herkunftsfamilien sind.

taz: Warum dauert es in Karlsruhe so lange?

Chebout: Die Frage müssen Sie dem zuständigen Bundesverfassungsrichter, Henning Radtke, stellen. Aus Sicht der Familien lässt er die Verfahren liegen, während er andere Verfahren vorzieht, um etwa die Rechte von leiblichen Vätern zu stärken. Er hat sich auch in einer Weise öffentlich zu den Verfahren geäußert, die bei den Familien die Besorgnis begründet, dass er in der Sache befangen, also voreingenommen, sein könnte.

taz: Was hat er gesagt?

Chebout: Es ist schon ungewöhnlich, dass ein Verfassungsrichter überhaupt öffentlich über laufende Verfahren spricht. Herr Radtke äußerte sinngemäß, dass er in der Sache nicht entscheiden wolle, bis der Gesetzgeber das Abstammungsrecht reformiert hat. Erst die neue Regelung wolle er dann überprüfen.

taz: Kann man Radtkes Aussage wie folgt verstehen: Sobald der Gesetzgeber tätig wird, muss das Bundesverfassungsgericht es nicht mehr tun?

Chebout: Selbstverständlich ist es die Aufgabe des Gesetzgebers, das Abstammungsrecht diskriminierungsfrei zu regeln. Nur: Solange das nicht passiert, müssen Menschen die Möglichkeit haben, gegenwärtige Grundrechtsverletzungen gerichtlich geltend zu machen und sie dadurch zu beseitigen. Das Bundesverfassungsgericht darf die Frage nicht einfach offenlassen, ob das geltende Abstammungsrecht verfassungsgemäß ist oder nicht.

taz: Karlsruhe hat allerdings kürzlich angekündigt, 2025 über die vorgelegten Fälle zu entscheiden. Kommt jetzt Bewegung in die Sache?

Chebout: Sie sprechen die Jahresvorschau an, eine Liste, die das Bundesverfassungsgericht jedes Jahr veröffentlicht. Es kündigt damit für die Öffentlichkeit an, mit welchen Fällen es sich in diesem Jahr beschäftigen will. Für die Familien war das ein wichtiges Signal, dass die Fälle nun endlich gesehen werden. Aber die Liste hat keinerlei Bindungswirkung – es gibt Fälle, die schon vier oder fünf Mal angekündigt und trotzdem nicht behandelt wurden.

taz: Es gibt keinerlei Deadline für Karlsruhe?

Chebout: Nein.

taz: Wie machen Sie in nächster Zeit weiter?

Initiative Nodoption

■ Nodoption ist eine Initiative von Regenbogenfamilien aus ganz Deutschland. Diese werden im Abstammungsrecht diskriminiert: Bei gemischtgeschlechtlichen verheirateten cis-Paaren wird der Ehemann automatisch als Elternteil in die Geburtsurkunde eingetragen – unabhängig davon, ob er auch der leibliche Vater ist oder nicht. Bei unverheirateten gemischt-geschlechtlichen cis-Paaren können Männer die Vaterschaft unkompliziert anerkennen – auch hier wieder, ohne biologisch Vater des Kindes sein zu müssen. Wird ein Kind hingegen in eine Partnerschaft geboren, die nicht aus einem cis-Mann und einer cis-Frau besteht, wird die Person, die das Kind nicht geboren hat, nicht automatisch als Elternteil eingetragen und hat – wenn keine Ehe besteht – auch nicht die Möglichkeit, die Elternschaft anzuerkennen. Stattdessen wird in diesen Familien nur die Person, die das Kind zur Welt bringt, als Mutter eingetragen und gilt rechtlich als alleinerziehend. Das Kind ist damit rechtlich wesentlich schlechter abgesichert als Kinder, die in gemischt-geschlechtliche cis-Partnerschaften geboren werden.

■ Am 4. Mai, dem internationalen Family Equality Day, sind die Regenbogenfamilien von 14 bis 16 Uhr an verschiedenen Orten in Deutschland – etwa auf der hinteren Wiese des Bundestags in Berlin – zum politischen Picknick verabredet. Der Slogan: „Wir lassen uns nicht abspeisen – Neues Abstammungsrecht jetzt!“ Mehr Infos unter: https://big-regenbogenfamilien.de/wer-wir-sind/

Chebout: Wir werden rechtspolitisch alles versuchen, um die Abstammungsrechtsreform im Sinne von Zwei-Mütter-Familien voranzubringen. Wir sprechen hier schließlich von einem seit Jahren überfälligen Reformprojekt. In Karlsruhe werden wir den letzten noch verfügbaren Hebel in Bewegung setzen und nach den Verzögerungsrügen nun noch Verzögerungsbeschwerden einreichen. Auch beim Bundesverfassungsgericht muss endlich ankommen: Es ist höchste Zeit, zu entscheiden.

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4 Kommentare

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  • Wer nicht genetisch Elternteil ist, muss adoptieren. Das ist ein sachlicher Unterscheidungsgrund, also geht der Vorwurf der Diskriminierung fehl. Da es hier um Kinderrechte geht, kommt es auf die Meinung von Frauen oder Männern nicht an. Auch diese Kinder werden, wie alle adoptierten Kinder, in der Pubertät die Frage nach ihrer Abstammung stellen. Ich rate davon ab, gegenüber 15jährigen die Regenbogenflagge zu schwenken.

  • Ich bin schon ziemlich verwundert. Ich hatte es bisher so verstanden, dass das Gericht die Beschwerden nicht weiter verhandelt hat, weil es Vorhaben der Bundesregierung wurde, das Abstammungsrecht eben zu reformieren, also darin das Recht dem einer Hetero-Ehe gleichzusetzen. Das macht das Gericht doch allgemein so in Verfahren, um einen Arbeitsaufwand zu ersparen. Die Äußerung des Richters, das verabschiedete Gesetz selbst zu überprüfen, paßt aber nun gar nicht, denn das ist wiederum anlaßlos nicht üblich und klingt tatsächlich nach einer Befangenheit des Richters. Wiederum verwundert bin ich über die Äußerung der Anwältin, die da jetzt noch gerade irgendwelche Hoffnung in die neue Bundesregierung setzt. Die ist eben überhaupt nicht mehr gegeben, weshalb das Bundesverfassungsgericht eben jetzt begründet aufgefordert ist, unverzüglich in der Sache zu entscheiden. Und das ist auch ruck-zuck, sozusagen mit einem Federstrich, vorerst ohne Verabschiedung eines Gesetzes getan. Denn das Gericht braucht bloß allgemein formuliert zu entscheiden, wird ein Kind in eine Ehe hinein geboren, sind beide Eheleute unabhängig einer Geschlechterkonstellation automatisch rechtlich Eltern des Kindes.

  • Eine gesetzgeberische Entscheidung wäre vorzuziehen.



    Die vorhandene Gesetzgebung beruht indes auf einer gewissen Wahrscheinlichkeit, dass der Ehemann auch der leibliche Vater ist, vermutlich in >95% der Fälle, in denen das nicht angezweifelt wird. Aus der Zeit vor der Erfindung von Gentests stammend, diente es nicht zuletzt der Verwaltungsvereinfachung, dass die Ehemänner auch automatisch Väter wurden.

    Bei Frauen-Paaren ist das ja gerade nicht der Fall. Man muss sich auch darüber im Klaren sein, dass eine automatische Doppel-Mutterschaft keinen Raum für eine Anfechtung einer "Mutterschaftsvermutung" liessen, die der gehörnte Ehemann nach genetischen Maßstäben vornehmen kann.

    • @meerwind7:

      Eine "Mutterschaftsvermutung" kann es bei einer Zwei-Mütter-Familie nicht geben, es braucht demnach auch keinen Raum für Anfechtungen...