Rechter Wahlkampf mit England-Unruhen: Das Geschäft mit der Angst
Die Krawalle von England nimmt die extreme Rechte in Deutschland zum Anlass, einmal mehr vor Verhältnissen zu warnen, die sie als "Rassenunruhen" denunzieren.
BOITZENBURG taz | Malerisch nimmt sich der Boitzenburger Marktplatz aus. Im Hintergrund die Kirche, an den Verkaufsständen herrscht betrieb. Mittenmang Udo Pastörs. Aus dem mecklenburg-vorpommerischen Landtagswahlkampf meldet sich der Spitzenkandidat der NPD, um vor englischen Verhältnisse hierzulande zu warnen.
Das "multikulturelle Projekt" sei dort Schuld an den Krawallen. Und nun fragen sich die Menschen, weiß der vermeintliche Anwalt des 'kleinen Mannes' zu berichten, ob derartiges in hiesigen Großstädten geschehen könnte: "Berlin, Hamburg, Stuttgart, Frankfurt am Main, aber auch München, mit dem höchsten Ausländeranteil in der ganzen Bundesrepublik lassen befürchten, dass diese Rassenunruhen auch auf zentraleuropäische kontinentale Städte überspringen können".
Und wie schon Nick Griffin, Vorsitzender der "British National Party" (BNP), in einer Ansprache diese Woche betont auch Pastörs, dass sie von der NPD schon immer davor gewarnt hätten. Mit den üblichen rassistischen Forderungen seiner Partei versucht er vom Geschäft mit der Angst zu profitieren. Sein Anreiz, der Wiedereinzug ins Schweriner Schloss.
Die britische extreme Rechte scheint aber auch jenseits der NPD Stichwortgeber für die Berichterstattung über die Krawalle zu sein. Die Ansprache von Griffin, ebenfalls in Form eines Videos, beginnt mit einem kurzen Auszug aus einer berühmt-berüchtigten Rede des erzkonservativen britischen Politiker Enoch Powell.
Der warnte 1968 vor dem Untergang Großbritanniens durch Einwanderung. "Wenn ich nach vorne sehe, bin ich mit einem Gefühl der Vorahnung erfüllt. Wie der Römer, ich scheine ‚den Fluß Tiber mit viel Blut schäumen‘ zu sehen", versuchte sich Powell als Seher. Dafür bediente er sich bei Virgils "Aeneis", in dem eine Apollopriesterin dem Aeneas prophezeit: "Entsetzliche Kriege sehe ich toben, den Thybris vom Blut der Gefallenen schäumen".
Doch nicht nur Griffin klagt, dass Powell überhört worden sei, sondern auch die deutsche Wochenzeitung Junge Freiheit (JF). "Die aktuellen Unruhen bestätigen die Befürchtungen des 1998 verstorbenen Politikers", schreibt sie. Zum 'Beweis' stellt sie seine Rede auf Deutsch online.
White Trash
Im Übrigen, die Deutung der Krawalle als "Rassenunruhen" scheint in dem Milieu rechts von der Union mehr oder weniger verbindlich, auch wenn der Nordheimer Gymnasiallehrer Dr. Karlheinz Weißmann im JF-Interview etwas einschränkend formuliert: "es sind auch Rassenunruhen".
Die anderen gehörten, will der spiritus rectus des neu-rechten Think-Tank "Institut für Staatspolitik" (IfS) wissen, zum "'white trash', der jederzeit bereit ist, sich am Krawall zu beteiligen und Beute zu machen".
Hier gilt es vor allem die Ausschreitungen als Vorboten zu interpretieren. Die JF verweist gen Ende des Gesprächs mit ihrem Stammautoren auf eine frühere "Studie" des IfS, die im Nachgang zu den französischen Unruhen 2005 erschienen war.
Den drohenden "Bürgerkrieg" auch da schon vor Augen, trug die Schrift den bezeichnenden Titel "'Das hier ist Krieg!' Die Rassenunruhen in Frankreich und die Zukunft der multikulturellen Gesellschaft". Die kleine Schrift, die nun auch von der JF-Homepage heruntergeladen werden kann, endet mit einem Maßnahmenkatalog.
Dort heißt, es müsse offensiv über die "neuen Vielvölkerstaaten" debattiert und die dafür Verantwortlichen benannt werden. Kritiker der Warner müssen eine "unmißverständliche Antwort" erhalten. Und es müsse Lobbyarbeit betrieben und eine starke Organisation aufgebaut werden.
Parallel solle das "Anwachsen ethnischer Minoritäten" und ein weiterer "Rückgang der einheimischen Bevölkerung verhindern" werden.
Und, wie üblich beim Geschäft mit der Angst, heißt es schwarzmalerisch: im Falle des Scheiterns würde "letztlich keine Alternative zu einer Segregationspolitik bestehen". Na dann gute Nacht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe