Recherchen im Fall "Sachsensumpf": Pressefreiheit vor Gericht
Vor dem Amtsgericht Dresden sind zwei Journalisten wegen Verleumdung angeklagt. Sie hatten zu tief im "Sachsensumpf" gewühlt und einen Richter belastet.
Es ist ein verwirrender und verfahrener Prozess: Arndt Ginzel und Thomas Datt, zwei freie Journalisten, die für den Spiegel und Zeit Online recherchiert haben, stehen vor dem Dresdener Amtsgericht. Sie haben im so genannten Sachsensumpf recherchiert - eine Geschichte von Prostitution, Korruption und Filz. Sie hatten ehemalige Prostituierte befragt und aufgeschrieben, dass diese Jürgen Niemeyer, ehemaliger Vizepräsident des Leipziger Landgerichts, als regelmäßigen Freier identifiziert hatten. Den Richter, der 1994 das Urteil gegen den Betreiber des Bordells "Jasmin" sprach: milde vier Jahre Haft wegen Zwangsprostitution von Minderjährigen.
Staatsanwaltschaft und Niemeyer erhoben wegen Verleumdung und übler Nachrede Anklage gegen Ginzel und Datt. Am Mittwoch hielten die Kläger und die Verteidiger der Angeklagten ihre Plädoyers, nachdem ein Antrag auf weitere Beweisaufnahme seitens der Angeklagten vom Richter abgelehnt worden war.
Der kleine Gerichtssaal war gut besucht, aber dennoch erstaunt es, dass so wenige Medien den Prozess verfolgen. "Heute ist es noch voll, sonst sitzen wir hier zu fünft", sagt ein Fotograf.
In ihrem Plädoyer bot vor allem Sieglinde Buchner-Hohner, die Verteidigerin und Frau des Nebenklägers Niemeyer, einiges an gruseligem Unterhaltungswert: ein "innerer Reichsparteitag", den sie einem Zeugen zusprach; eindringliche Appelle an die anwesenden Journalisten, ihre Macht zu erkennen und nicht nur auf Geschäftemacherei aus zu sein; minderjährige Prostituierte, die nicht dazu gezwungen werden mussten, im Bordell zu arbeiten, waren Teil ihrer mit Pathos vorgetragenen Rede. Richter Hermann Hepp-Schwab vergewisserte sich nach dem Plädoyer, dass die Anwältin das mit dem inneren Reichsparteitag ja wohl nicht so gemeint haben könne und sagte, er müsse so was als Aussage eben hinnehmen.
Dass davon auszugehen sei, dass das Urteil bereits feststehe und sein Plädoyer eigentlich "wenig Sinn" mache, sagte Ulf Israel, Verteidiger eines der beiden Angeklagten. Seiner Meinung nach könne das Gericht nicht in der Lage sein, unbefangen zu einer Entscheidung zu kommen, da der Präsident des Amtsgerichts ebenfalls im Sachsensumpf stecke. Man könne nicht erwarten, dass ein ihm unterstellter Richter unvoreingenommen sei.
Steffen Soult, der zweite Anwalt der Angeklagten, verwies auf zahlreiche Ungereimtheiten im Prozessverlauf und darauf, dass die Angeklagten bereits mit ungewöhnlich vielen Prozesstagen bestraft worden seien. "Die Anklage der Staatsanwaltschaft ist bereits ein massiver Angriff auf die Pressefreiheit, und wenn dies durchkommt, bedeutet das, dass Journalisten nicht mehr in kritischen Themen recherchieren können", sagte Soult.
Er verwies darauf, dass Steffen Winter, Autor des betreffenden Artikels im Spiegel, ausgesagt hatte, den Text allein geschrieben zu haben und es keinerlei Hinweise auf eine gemeinsame Planung der Verleumdung gebe. Damit sei der Vorwurf der Mittäterschaft, wie ihn die Staatsanwaltschaft erhebt, hinfällig. Der Spiegel hatte bereits 6.500 Euro Strafe bezahlt und eine Korrektur gedruckt, Winter entging damit einer Klage.
Die Staatsanwaltschaft forderte für die beiden freien Journalisten Ginzel und Datt eine Geldstrafe von jeweils 60 Tagessätzen zu 40 Euro, die Nebenklägerin gar eine Freiheitsstrafe. Die Anwälte der beiden Journalisten forderten Freispruch. Israel kündigte bereits jetzt Berufung im Fall einer Verurteilung an.
Der Deutsche Journalistenverband und Reporter ohne Grenzen forderten ebenfalls einen Freispruch für Ginzel und Datt. Am 5. August können die beiden Journalisten noch einmal Stellung nehmen, am 13. August soll das Urteil verkündet werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?