Real Madrid in der Krise: Dead Man Walking
Real Madrid steckt in einer Negativserie. Julen Lopetegui ist nur deshalb noch Trainer, weil sich der Klub wohl auf keinen Nachfolger einigen kann.
Einig sind sich alle bloß in einem: Der Mann, der sich Montagmittag zur Pressekonferenz vor dem Champions-League-Spiel gegen Viktoria Pilsen setzte, wird solche Funktionen nicht mehr lange ausüben. Julen Lopetegui ist der Dead Man Walking des europäischen Fußballs. Bereits bei einem trauten Abendessen nach der Niederlage bei ZSKA Moskau vor drei Wochen sprach Klubpräsident Florentino Pérez seinem Übungsleiter das Unbehagen aus.
Seither wurde gegen das Fußvolk aus Alavés und Levante verloren, insgesamt kommt der aktuell Tabellensiebte auf ein Remis und vier Niederlagen in den letzten fünf Spielen, während außerdem der Vereinsrekord von Minuten ohne Tor auf 481 geschraubt wurde. Gäbe es nicht gegen Conte wie Solari vereinsintern auch Bedenken, hätte es Lopetegui wohl schon an einem quälenden Sonntag erwischt, an dem diverse Medien mehrmals bereits von Vollzug wissen wollten.
„Wenn ihr einen niedergeschlagenen oder erledigten Trainer sehen wollt, schaut nicht hierher“, sagte Lopetegui gestern zwar kampfstark, konnte aber auf die zahllosen Nachfragen nicht bestätigen, vom Verein noch irgendeine Rückendeckung zu spüren. „Ich kann versichern, jetzt hier zu sein“, antwortete er auf die Frage, ob er auch am Sonntag beim Clásico in Barcelona noch auf der Bank sitzen werde.
Zum zweiten Mal nach seiner fulminanten Entlassung als spanischer Nationaltrainer zwei Tage vor Beginn der Weltmeisterschaft in Russland steht der 52-jährige Baske im Zentrum eines Sturms, der beim urdemokratischen FC Bayern längst zur Anrufung des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte geführt hätte. Wie im Sommer ist Lopetegui daran freilich alles andere als unschuldig.
Seit andauernder Substazverlust
Sein Hauptfehler besteht jeweils darin, die Realität verleugnet zu haben. Ignorierte er in Russland, wie hintergangen sich der spanische Verband durch seine heimlichen Kontakte zu Real fühlen musste, redete er sich in puncto neuen Job alle Bedenken schön, die seinen Vorgänger Zinédine Zidane zum Abgang veranlasst hatten: den seit Jahren andauernde Substanzverlust, den unterbliebenen Umbruch bei einer zunehmend satten und nur noch punktuell in der Champions League zu Höchstleistungen fähigen, in der Liga aber bereits letzte Saison um 17 Punkte abgehängten Mannschaft. Und vor allem: den Verlust von Cristiano Ronaldo, gleichbedeutend mit dem von 50 Toren pro Saison (450 in neun Spielzeiten bei Real), kompensiert nur durch den Transfer des Stoßstürmers Mariano Díaz aus Lyon.
„Man kann die Sonne nicht mit einem Finger zudecken“, umschrieb Torwart Keylor Navas vor einigen Wochen die Nostalgie nach dem Alttorjäger. Unfreiwillig, aber nicht weniger deutlich verriet diese gestern auch ein genervter Isco. Er erklärte: „Wir können nicht dauernd um jemanden weinen, der nicht mehr hier sein wollte.“ Der Mittelfeldspieler, seit gemeinsamen Tagen bei Spaniens U21-Nationalmannschaft ein Lieblingsschüler Lopeteguis, befand außerdem: „Wenn sie den Trainer rauswerfen, müssen sie uns alle rauswerfen.“
Tatsächlich gehört die Unterstützung insbesondere durch Kapitän Sergio Ramos („Es wäre verrückt, ihn zu feuern“) zu den Argumenten, die wohl Lopetegui noch am seidenen Faden im Amt halten. Außerdem ist die Tabellenspitze (Barcelona) angesichts einer bisher sehr ausgeglichenen Liga bloß vier Punkte entfernt. Drittens plagt Pérez ein Hauch von schlechtem Gewissen wegen seines Abwerbemanövers vom Sommer sowie wegen seiner eigenen Fehler bei der Kaderplanung. Und dann sind da eben noch die Unklarheiten im Hinblick auf die Alternative. Die entsprechenden Kandidaten müssen ja zudem auch erst mal überzeugt werden. Wo Ronaldo und Zidane freiwillig gegangen sind, wo Luka Modrić im Sommer zu Inter Mailand wollte und Marcelo weiter mit Juventus Turin flirtet, da präsentiert sich das große Real Madrid derzeit eher als sinkendes Schiff.
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