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ReaktorsicherheitGeheimakte Krümmel

Die Atomaufsicht in Schleswig-Holstein verweigert dem Oberverwaltungsgericht in Schleswig Unterlagen zur Sicherheit des AKW Krümmel. Das Argument: Das Staatswohl steht über der Wahrheitsfindung.

Geheimhaltungsbedürftig: Sicherheit des AKW Krümmel. Bild: dpa

Die Übersendung der angeforderten Unterlagen "kommt weitgehend nicht in Betracht", teilt die Kieler Anwaltskanzlei Weissleder & Ewer mit. Aus Gründen der "Geheimhaltungsbedürftigkeit" könnten dem Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgericht (OVG) in Schleswig keine Akten über die Sicherheitsmaßnahmen im Atomkraftwerk Krümmel vorgelegt werden, schreibt der bundesweit renommierte Verwaltungsrechtler Wolfgang Ewer im Auftrag seines Mandanten.

Sein Mandant ist das Ministerium für Justiz, Gleichstellung und Integration des Landes Schleswig-Holstein. Das vom parteilosen Richter Emil Schmalfuß geführte Ressort hat nach der Regierungsneubildung in Kiel vom ehemaligen SPD-geführten Sozialministerium die Atomaufsicht übernommen - transparenter aber wird diese dadurch nicht.

Das OVG verhandelt über eine Klage des ehemaligen grünen Abgeordneten im Niedersächsischen Landtag, Andreas Meihsies, auf Widerruf der Betriebserlaubnis für Krümmel. Er bezweifelt, dass der Meiler den - zufälligen oder gezielten - Absturz eines Flugzeugs unbeschadet überstehen könne. Im Sommer vorigen Jahres forderte deshalb das OVG die Atomaufsicht auf, eine Reihe von Unterlagen über die Sicherheitsvorkehrungen vorzulegen. Von wenigen Ausnahmen - wie ohnehin öffentlich zugänglichen EU-Verordnungen - abgesehen, wird dies nun ein Dreivierteljahr später verweigert.

"Das öffentliche Interesse an der Wahrheitsfindung und an einer lückenlosen Sachverhaltsaufklärung durch das Gericht muss hier zurückstehen", heißt es in Ewers Stellungnahme an das OVG, die der taz vorliegt. Denn als "VS-NfD" ("Verschlusssache - Nur für den Dienstgebrauch") eingestuft seien unter anderem ein Gutachten des TÜV Nord vom November 2005 über den "Schutzzustand" des Atommeilers, ebenso das Konzept des Betreibers Vattenfall "bezüglich des Schutzes gegen einen Angriff mit Verkehrsflugzeugen" oder auch eine Expertise über den etwaigen Schutz von AKWs "durch Tarnung mit künstlichem Nebel".

Ein Bekanntwerden dieser Unterlagen sei nicht vertretbar, argumentiert Ewer. "Potenzielle Täter könnten die Kenntnis nutzen, um das von ihnen angestrebte Ziel einer möglichst treffergenauen Erreichung eines Kernkraftwerks" zu verwirklichen. Zwar sei das "vom Kläger selbst nicht zu erwarten", es könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass brisante Unterlagen "in die Hände von Unbefugten geraten".

"Das ist eine geradezu böswillige Unterstellung", kommentiert Meihsies. Dass er Unterlagen aus dem Gerichtsverfahren an potenzielle Terroristen weiterreichen könnte, sei "ja wohl ein starkes Stück". Meihsies kündigt schon mal an, "mit meinem Rechtsanwalt über rechtliche Schritte zu sprechen".

Der 17 Kilometer vom Reaktor entfernt in Lüneburg wohnende Postbeamte bezweifelt, dass der Atommeiler einen terroristischen Anschlag mit einem Passagierjet überstehen könne. Deshalb beantragte er 2008 bei der schleswig-holsteinischen Atomaufsicht, Krümmel stillzulegen. Diese Bitte wurde im Januar 2009 abgelehnt. Erstaunlich war die Begründung. Danach sei "der (terroristische) Flugzeugabsturz kein Störfall im Sinne der Vorschriften", teilte ihm das Referat Reaktorsicherheit und Strahlenschutz mit. Und gegen einen nicht vorgesehenen Fall gebe es keine Handlungsgrundlage. Ohnehin aber sei eine Stilllegung des Meilers nicht vertretbar, weil "ein absoluter Schutz letztlich nicht erreichbar ist".

Gegen diese "Verweigerungshaltung" reichte Meihsies Klage vor dem OVG ein. Das forderte vom Ministerium die Unterlagen an, die es nun nicht erhalten soll. "Die erzählen einem das Blaue vom Himmel, und niemand kann es überprüfen", wundert sich Meihsies.

Einen Weg aber gibt es wohl. Der Kläger könne ein so genanntes "In-camera-Verfahren" beantragen, erklärt OVG-Sprecherin Marion Koll. Dann würde ein anderer Senat des OVG hinter verschlossenen Türen sich selbst ein Bild davon machen, welche Akten als vertraulich zu gelten habe und welche offen gelegt werden müssen. Auf Grundlage dieser Entscheidung könne dann das Hauptsacheverfahren weitergeführt werden.

Miehsies und seine Anwälte werden über diesen Weg beraten. Krümmel soll, so die aktuelle Rechtslage, 2016 stillgelegt werden. Ob der Rechtsweg vorher zu einem Ende gekommen sein wird, ist offen.

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4 Kommentare

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  • CV
    Christian Völker

    Diese Begründung hat die gleiche Qualität wie die Doktrin päpstlicher Unfehlbarkeit. Sicherheitskonzepte, die im Kern auf Geheimhaltung beruhen, gelten heute in allen wesentlichen Industrien als unhaltbar. Nur solche Konzepte, die bewiesen werden können (genauer: nicht widerlegt werden können) sind akzeptabel. Im Computerbereich gilt "security through obfuscation" (Sicherheit durch Verdunkelung) allein bereits als Ablehungsgrund für ein Sicherheitskonzept.

     

    Algorithmen für neue Verschlüsselungsmethoden werden generell offen gelegt und die besten Methoden werden in Wettbewerben von Mathematikern ermittelt. Fortlaufend werden in der Praxis eingesetzte Methoden Penetrationstests unterzogen, d.h. es wird versucht, sie zu brechen, um zu belegen, daß sie sicher sind. Wer würde sich eine Alarmanlage einbauen lassen, deren Funktionsprinzip er nicht versteht? Würden wir einer Feuerwehr trauen, die nicht erklären kann, wie sie ein Feuer löschen will? Ein neues Medikament zulassen, daß nicht zuvor getestet wurde?

     

    Gerade in einem Bereich, in dem auch ein einziges Versagen des Sicherheitskonzeptes katastrophal wäre, kann dieses nicht ungeprüft bleiben. Eine Begründung für Geheimhaltung wäre lediglich, wenn es bekannte Mängel in diesem Konzept gibt. Dann aber muß die Geheimhaltung angemessen befristet werden. Können die Mängel innerhalb der Frist nicht behoben werden, so muß die Betriebserlaubnis automatisch erlöschen.

     

    Im Bereich der Computertechnik läuft die entsprechende Diskussion unter dem Stichwort "responsible disclosure". Experten berichten, daß die von ihnen erkannten und den Herstellern mitgeteilten Sicherheitslücken regelmäßig nicht geschlossen werden, bis eine passende Schadsoftware im Umlauf ist oder sie die Lücke bekannt machen. Eine Freigabe verringert also die Sicherheit nicht, sondern erhöht diese, weil der Druck steigt, eine Lösung zu finden. Je länger erkannte Lücken verschwiegen werden, um so länger hat ein möglicher Angreifer Zeit, diese zu nutzen.

     

    Kein Beamter kann allein die Verantwortung dafür übernehmen, daß Sichereheitskonzepte und Katastrophenpläne funktionieren, selbst wenn er dies in maßloser Selbstüberschätzung von sich behauptet. Wie sollte denn die Übernahme der Verantwortung im Fehlerfalle auch aussehen? Harakiri bei Störfall? Das passt nicht ganz in unsere Kultur. Außerdem hilft es niemandem.

  • KB
    Käpt'n Bär

    Mit der Sache sind wir mitten in dem Atomstaat, wie ihn Robert Jungk schon 1977 in dem gleichnahnimgem Buch beschrieben hat.

     

    Im realexistierenden Atomstaat steht die Atomindustrie über den Gesetzen und verweigert diesen- immer mit Hinweis auf die großen Gefahren der Atomenergie- den Gehorsam.

    Ein weiterer Grund für die sofortige Stillegung aller Atomananlagen.

     

    Und wenn in Bezug auf andere Industriezweige beklagt wird, daß die interessierte Industrie massiven Einfluß auf Gesetze nimmt, die sie betreffen, so sei hier -bei der Atomindustrie- nochmals darauf hingewiesen, daß diese Industrie nicht Einfluß auf das Atomgenommen hat: Nein sie hat das gesamte Atomgesetz komplett selber formuliert.

     

    Das Atomgesetz, auch in der aktuellen "Ausstiegs"Version, ist ein Gesetz, an dem nachweislich kein Parlamentarier auch nur den unbedeutendsten Nebensatz formulierte.

     

    Deshalb muss und wird jede Initiative scheitern, der Atomindustrie auf dem Rechtswege beizukommen.

     

    Atomausstieg bleibt Handarbeit!

    Den Atomaussstieg müssen und werden wir auf den Straßen, Schienen Plätzen, in den Wäldern und auf Wiesen und Feldern, durch unsere persönliche Anwesenheit voranbringen.

  • G
    Geheimnis-ErfragerIn

    Es geht um unsere Sicherheit, und da dürfen wir nicht mal besorgt sein (@Geheimnisträger)?

    Die Sicherheit des sehr alten AKWs ist anscheinend so lückenhaft, dass die Mängel tief verborgen gehalten werden müssen. Aber der Betrieb geht weiter, ohne dass irgendeine Nachrüstung stattfindet.

    Atomkraft wird nie sicher sein. Die Menschen in Europa der Gefahr einer Wiederholung von Tschernobyl auszusetzen, nur um Profit zu machen, empfinde ich als menschenverachtend und -feindlich! Gegen einen misanthropischen Atomstaat, für einen weltweiten Ausstieg aus der Atomkraft!

  • G
    Geheimnisträger

    Nur weil irgendein Verrückter sich bedroht fühlt, geben wir demnächst auch noch die Startcodes für unsere Raketensysteme an die Öffentlichkeit.

    Spinner gibt es...