Reaktionen in Ramallah: Gemischte Gefühle über Mubaraks Sturz
Der palästinensischen Führung ist mit Mubarak der wichtigste arabische Verbündete abhanden gekommen. In Ramallah erwartet aber niemand große Veränderungen.

RAMALLAH taz | "Der Sieg der Demokraten in Ägypten ist großartig", findet Ramses Darale. "Genauso sollte es hier auch sein." Der 27-jährige Palästinenser steht zusammen mit einem Freund am Platz der Löwen in Ramallah und wartet auf seine Mitfahrgelegenheit nach Hebron. Von dort aus will er illegal über die Grenze, um in Israel zu arbeiten. "Ich muss drei Kinder ernähren", erklärt er, warum er Festnahme und Gefängnishaft riskiert. In Ramallah gäbe es keine Arbeit für ihn.
Im Zentrum der Stadt hatte es seit Beginn des Volksaufstands in Ägypten vier Demonstrationen gegeben, von denen drei sofort unterbunden wurden.
Auf offizieller Ebene ist man alles andere als glücklich über den Abtritt Mubaraks. "Es kann gut sein, dass es mit der für September geplanten Ausrufung des Staates Palästina jetzt nichts mehr wird", vermutet der Journalist Mohammad Jaradat. Mit Mubarak falle der wichtigste Verbündete der palästinensischen Führung weg. "Mubarak und König Abdallah von Jordanien sind für unsere Führung so überlebenswichtig wie Luft und Wasser."
Während im Gazastreifen mit Feuerwerk und Freudenkundgebungen auf den Rücktritt Mubaraks reagiert wurde, empfinden die Leute im Westjordanland eher gemischte Gefühle. Viele freuen sich mit den Ägyptern, allerdings nicht ohne Neid. Andere fürchten sich vor dem Erstarken der Muslimbrüder. "Es könnte ein Chaos geben, so wie im Irak", fürchtet Mohammed Ghadschar, der sich und seine Familie mit Geldwechseln über Wasser hält.
Trotz seiner Skepsis wünscht sich Ghadschar auch für die Palästinenser mehr Demokratie und Freiheit. Dass die von der Palästinensischen Autonomiebehörde am Wochenende angekündigten Wahlen etwas ändern werden, glaubt der Devisenhändler nicht. "Das System bleibt doch dasselbe, auch wenn die Köpfe ausgetauscht werden."
Mit den Veröffentlichungen der Protokolle der Friedensverhandlungen hatte die palästinensische Führung einen Tiefpunkt des Vertrauens im Volk erreicht. Saeb Erikat, der Chefunterhändler bei den Verhandlungen, zog am Wochenende die Konsequenzen für den Diebstahl der Dokumente aus seinem Büro und trat von seinem Amt zurück. Erikat hatte die Verhandlungsmitschriften zunächst als Fälschungen bezeichnet.
Trotz des großen Misstrauens der eigenen "korrupten" Führung gegenüber hat der junge Arbeiter Ramses Darale die Fatah gewählt und wird ihr wieder seine Stimme geben, wenn es im September zu Neuwahlen kommt. Darale macht sich keinerlei Illusionen darüber, dass eine neue Führung seine Probleme lösen könnte.
Ähnlich wie in Ägypten sind Armut und hohe Arbeitslosenraten die großen Probleme vor allem der jungen Palästinenser. Dennoch kann das Lösungsschema für die beiden Völker nicht dasselbe sein. Solange die Besetzung andauert, ist ein Wirtschaftswachstum nur sehr begrenzt möglich.
Außerdem lähmt der seit dem Jahr 2007 andauernde innerpalästinensische Zwist zwischen der Hamas im Gazastreifen und der Fatah jede Entwicklung. Schon kündigte die Hamas an, die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im September zu boykottieren, obschon die Islamisten wiederholt betont hatten, dass Abbas längst jede Legitimation verloren habe. Seine offizielle Amtszeit ist vor gut zwei Jahren abgelaufen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Wahlentscheidung
Mit dem Wahl-O-Mat auf Weltrettung