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Reaktionen auf niederländische WahlKein Freifahrtschein für Europagegner

Europäische Politiker äußern sich zum niederländischen Wahlausgang. Der Front National spricht von Erfolg, die AfD hätte sich ein besseres Ergebnis gewünscht.

Die Wahl in den Niederlanden am Mittwoch war der Auftakt des europäischen Superwahljahres 2017 Foto: ap

Den Haag/Berlin/Brüssel dpa/rtr | Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner sieht im Abschneiden der rechtsliberalen Partei von Ministerpräsident Mark Rutte bei der Parlamentswahl in den Niederlanden „ein ermutigendes Signal“ für Europa. Lindner sagte am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin: „Unser Parteifreund Mark Rutte hat Deutschland eine Lehre für dem Umgang mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und der Alternative für Deutschland (AfD) erteilt.“

In den Niederlanden habe sich eine marktwirtschaftliche, weltoffene und liberale Politik durchgesetzt. „Kein Zurückweichen vor Gegnern der Liberalität, aber zugleich mutige Lösung von Problemen“, sagte Lindner, dessen Partei seit 2013 nicht mehr im Bundestag sitzt, aber derzeit gute Chancen auf einen Wiedereinzug hat.

Bundeskanzlerin Angela Merkel beglückwünschte Rutte telefonisch, wie Regierungssprecher Steffen Seibert auf Twitter schrieb. Er zitierte Merkel mit den Worten: „Ich freue mich auf weiter gute Zusammenarbeit als Freunde, Nachbarn, Europäer.“ Sie habe sich sehr gefreut, „dass eine hohe Wahlbeteiligung zu einem sehr proeuropäischen Ergebnis geführt hat“, sagte die CDU-Vorsitzende am Donnerstag in Berlin bei einer Veranstaltung zur Bevölkerungsentwicklung in Deutschland.

Merkel sprach von einem klaren Signal, „und das nach Tagen, in denen die Niederlande Anwürfe und Vorwürfe zu ertragen hatten, die aus der Türkei kamen, die völlig inakzeptabel sind“. Sie zog das Fazit: „Ich glaube, das war ein guter Tag für die Demokratie.“

„Bollwerk gegen Populismus und Extremismus“

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) äußerte sich glücklich und optimistisch über den „klar pro-europäischen Wahlausgang“. 80 Prozent hätten gegen Europa- und Islamfeinde gestimmt. „Ich bin sicher, dass sich das bei der französischen Präsidentschaftswahl wiederholen wird.“

Der französische Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron sieht die Niederlande-Wahl als Signal, dass ein Erfolg von Rechtsaußen-Parteien nicht unabwendbar ist. „Die Niederlande zeigen uns, dass der Durchbruch der extremen Rechten keine Fatalität ist und dass die europäischen Progressisten stärker werden“, schrieb der 39-Jährige am Donnerstag auf seinem Twitter-Account.

Der durch eine Affäre belastete französische Präsidentschaftskandidat François Fillon hat den Wahlausgang in den Niederlanden begrüßt. Wenn die politische Rechte und die Mitte ein klares Programm hätten und ihre Werte verteidigten, seien sie „das beste Bollwerk gegen den Populismus und den Extremismus“. Das teilte der konservative Spitzenkandidat am Donnerstag auf dem Kurznachrichtendienst Twitter mit.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sieht in dem Wahlergebnis eine Inspiration für viele Menschen. Die Niederländer hätten mit überwältigender Mehrheit für die europäischen Werte gestimmt, nämlich für eine freie und tolerante Gesellschaft in einem erfolgreichen Europa, schreibt Juncker in einem auf Twitter veröffentlichten Brief an Rutte.

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn sieht den Ausgang der Niederlande-Wahl als Schlappe auch für Rechtspopulisten in Deutschland und Frankreich. „Das zeigt, dass es keinen Freifahrtschein für die gibt, die Europa kaputt machen wollen“, sagte Asselborn am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur. „Die Menschen wollen nicht in den Schlamassel des 20. Jahrhunderts zurückgeführt werden.“

AfD nicht glücklich

Die AfD ist über das Wahlergebnis in den Niederlanden nicht glücklich. „Ich mache keinen Hehl daraus, dass wir der PVV und Geert Wilders ein besseres Ergebnis gewünscht hätten“, sagte Parteichefin Frauke Petry am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur.

Wilders habe im Wahlkampf zwar die richtigen Themen angesprochen und dadurch auch die anderen Parteien ein Stück weit vor sich hergetrieben. Er habe aber vielleicht nicht immer den richtigen Ton getroffen. „Die Bürger wollen eine klare Ansage, aber sie fürchten sich vor einem harten Ton“, sagte Petry.

Dass die rechtsliberale Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) von Ministerpräsident Mark Rutte deutlich mehr Stimmen erhielt als Wilders' Partei, hat aus Sicht der AfD-Chefin auch mit der Eskalation des Streits mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan zu tun. „Ich glaube schon, dass Rutte Rückenwind aus Ankara bekommen hat“, sagte Petry. Sein konsequentes Handeln sei von den Bürgern honoriert worden.

Der Generalsekretär des französischen Front National, Nicolas Bay, zeigt sich ermutigt von Wilders‘ Wahlergebnis. Wilders habe Sitze dazugewonnen und dies sein „wirklich ein Erfolg“, sagte er im Rundfunk.

Endergebnis verzögert

In den Niederlanden zeichnet sich nun eine schwierige Regierungsbildung ab. Der Partei von Ministerpräsident Mark Rutte gelang es nach Auszählung von rund 95 Prozent der Stimmen zwar, den rechtspopulistischen Herausforderer Geert Wilders klar abzuwehren. Seine bisherige Koalition mit den Sozialdemokraten kann der seit 2010 amtierende Premier allerdings nicht fortsetzen. Der Bündnispartner wurde massiv abgestraft und erlitt eine in der niederländischen Parlamentsgeschichte beispiellose Niederlage.

Das Endergebnis der Wahl, bei der knapp 13 Millionen Niederländer stimmberechtigt waren, verzögerte sich am Donnerstag noch. Die Auszählung der Reststimmen könne sich möglicherweise bis Freitag hinziehen, berichtete die Nachrichtenagentur ANP.

Nach dem Brexit-Referendum und dem Wahlsieg von US-Präsident Donald Trump war die Abstimmung in den Niederlanden der Auftakt des europäischen Superwahljahrs 2017 – ein großer Erfolg von Wilders wäre als weiterer Rückschlag für die Europäische Union gewertet worden. Ein Wilders-Effekt hätte außerdem populistischen Parteien und Bewegungen vor den kommenden Wahlen Aufwind gegeben. Weitere Etappen sind jetzt die Präsidentschaftswahlen in Frankreich im April/Mai und die Bundestagswahl im September.

Dass Wilders den zeitweise für möglich gehaltenen Wahlsieg nicht schaffte, lag nach Angaben von Wahlforschern auch an der hohen Wahlbeteiligung. Sie lag nach letzten Angaben bei knapp 78 Prozent.

Als großer Gewinner gingen die Grünen aus dem Wahlabend hervor. Sie konnten ihr Ergebnis im Vergleich zu 2012 vervierfachen und wurden in der Hauptstadt Amsterdam sogar stärkste Partei.

Koalition aus vier Parteien

Da Rutte eine Koalition mit der PVV von Wilders ausgeschlossen hat, wird die niederländische Regierung künftig aus einem Bündnis von mindestens vier Parteien bestehen. Rutte könnte beispielsweise mit den Christdemokraten (CDA), der linksliberalen D66 und dem bisherigen Partner PvdA zusammenarbeiten.

Alternativ könnte er statt der Sozialdemokraten auch die Grünen oder die ChristenUnion (CU) mit ins Boot holen. Notwendig für die Regierungsbildung sind 76 der 150 Parlamentssitze. Ruttes Partei hat wohl 33 Sitze.

Auf der Grundlage von 95 Prozent der Stimmen ergab sich am Morgen folgendes Bild: Die Rechtsliberalen liegen mit 21,3 Prozent klar vorn, obwohl sie im Vergleich zur vorigen Wahl 2012 deutlich verloren. Danach folgt die Partei des Rechtspopulisten Geert Wilders mit 13,1 Prozent.

Auf dem dritten Platz liegen mit 12,4 Prozent die Christdemokraten (CDA). Knapp dahinter kommen die linksliberalen D66 mit 12,1 Prozent sowie die Sozialisten (SP) mit 9,1 Prozent und GroenLinks mit 9,0 Prozent. Die ChristenUnion (CU) lag zuletzt bei 3,4 Prozent.

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