Reaktion auf McChrystal-Rauswurf: Erleichterung und Zweifel
Präsident Karsai setzte sich noch für McChrystal ein, doch mit der Ernennung von David Petraeus ist man zufrieden. Die Bevölkerung bleibt skeptisch.
BERLIN/KABUL taz | Afghanistans Regierung bedauert den Rauswurf Stanley McChrystals, ist aber über die Ernennung von David Petraeus als Nachfolger erleichtert. "General McChrystal war ein feiner Soldat und ein Partner des afghanischen Volkes", sagte Waheed Omar, der Sprecher von Präsident Hamid Karsai, der Nachrichtenagentur AP. "Aber wir glauben, General Petraeus wird auch ein vertrauenswürdiger Partner sein."
Vergeblich hatte sich Karsai bei Barack Obama für McChrystal eingesetzt. Ein Wechsel sei in dieser kritischen Zeit nicht hilfreich, so Sprecher Omar. Karsai hatte zu McChrystal ein viel besseres Verhältnis als zum US-Botschafter Karl Eikenberry oder zu US-Sonderbotschafter Richard Holbrooke. Diese halten Karsai für unfähig und korrupt und setzten ihn wiederholt unter Druck, was zu Streit führte. McChrystal dagegen stand öffentlich immer loyal zu Karsai.
Zudem war McChrystal in den Augen der afghanischen Führung der erste Isaf-Chef, der sich ernsthaft bemühte, die Zahl ziviler Opfer zu verringern. Dafür änderte er die Einsatzregeln. McChrystal entschuldigte sich auch deutlicher und schneller als seine Vorgänger, wenn doch Zivilisten umkamen. Gemeinsam mit Karsai besuchte McChrystal umkämpfte Provinzen. Dass verlieh dem eher machtlosen Präsidenten dort eine gewisse Statur. "Er hat immer mit uns gesprochen und hörte uns zu", sagte Khalid Pashtoon, Mitglied im Sicherheitsausschuss des afghanischen Parlaments.
Nato-Soldaten: Mit 79 getöteten Nato-Soldaten ist der Juni 2010 der verlustreichste Monat für das Bündnis. Zuletzt starben am Mittwoch vier britische Soldaten bei einem Unfall in der Provinz Helmand. Bis dahin war laut iscasualties.org der August 2009 mit 76 Getöteten am verlustreichsten. Seit Beginn des Einsatzes 2001 starben 1.867 ausländische Militärangehörige, davon 1.133 aus den USA, 307 aus Großbritannien, 148 aus Kanada, 42 aus Deutschland. 2009 starben 521 Nato-Soldaten, in diesem Jahr bereits 299. Insgesamt sind rund 145.000 ausländische Soldaten im Einsatz.
Einheimische: Die Zahl der bei den Kämpfen getöteten Afghanen ist weitaus höher, genaue Zahlen sind schwer zu ermitteln. In der afghanischen Armee und der Polizei sind die Verluste hoch. Auch unter den Zivilisten gibt es immer wieder Tote und Verletzte - durch Taliban, aber auch durch Isaf-Truppen.
"Wir kennen General Petraeus", gab sich am Donnerstag Karsais Sprecher Omar jedoch zuversichtlich. "Er kennt das Land. Er kennt die Strategie. Er ist die am besten informierte Person." Dass die Wahl auf den Chef des US Central Command gefallen sei, bezeuge das Bekenntnis für Afghanistan. Der Sprecher des afghanischen Verteidigungsministeriums, General Zaher Azimi, nannte laut Reuters folgende Erwartungen an Petraeus: "Wir erwarten von ihm, dass er McChrystals Analyse folgt, die zu einer Reduzierung ziviler Opfer geführt hat, die Zahl der Festnahmen und Hausdurchsuchungen reduzierte und auf einer Absprache der Operationen beruhte."
Die Kabuler Tageszeitung Hasht-e Sobh, die zivilgesellschaftlichen Gruppen nahe steht, zeigte sich am Donnerstag besorgt über die "tiefen Differenzen in der US-Führung". Das könne "Probleme im Krieg gegen den Terror" hervorrufen. Die ebenfalls unabhängige Zeitung Daily Afghanistan schreibt, "McChrystal ist gegen Aufständische und Terroristen vorgegangen und hat gleichzeitig die afghanische Regierung zufriedengestellt - obwohl Terrorangriffe zugenommen haben."
In der Bevölkerung ist man skeptisch. Ein Kabuler Einwohner sagte, in seiner Heimatprovinz, wo unter McChrystal eine neue Militärbasis errichtet wurde, sei dessen neue Strategie nicht zu erkennen. "Die Hausdurchsuchungen sind weitergegangen. Dabei gibt es bei uns keine Waffen." Seit dem Bau des Stützpunktes habe die Gewalt sogar zugenommen.
Wenig überraschend kündigten die Taliban eine Fortsetzung ihres Kampfes an: "Es ist uns egal, ob es McChrystal oder Petraeus ist," sagte Taliban-Sprecher Jusuf Ahmadi am Donnerstag der Agentur AFP. "Unsere Position ist klar: Wir werden die Eindringlinge bekämpfen, bis sie das Land verlassen."
Nader Nadery von der unabhängigen afghanischen Menschenrechtskommission fürchtet psychologische Folgen. Denn es entstehe der Eindruck, die Nato-Mission werde nicht von einem geeinten Team geführt, sondern von einem, das sich bekämpfe. "Die Taliban werden versuchen den Eindruck zu erwecken, dass dieses Team gar nicht gewinnen kann, weil es zerstritten ist."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen