Razzia in Hamburger Hafenstraße: Cops mit Maschinenpistole
Wegen eines vagen Verdachts auf Drogenhandel: Die Polizei stürmt ein Wohnprojekt in der Hamburger Hafenstraße. Und findet nichts.
Denn fast zur gleichen Zeit stürmen am oberen Hafenrand in der Bernhard-Nocht-Straße mehrere Dutzend vermummte, mit Maschinenpistolen bewaffnete Spezialkräfte einer Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) das Wohnprojekt „Plan B“. Sie brechen dessen Tür auf, obwohl eine Bewohnerin anbietet bei Vorlage eines Durchsuchungsbeschlusses die Tür aufzuschließen. Mit vorgehaltenen Schusswaffen werden die in den unteren Wohnungen anwesenden Bewohner aufgefordert, ihre Hände hoch zu nehmen.
Parallel dazu reißen Polizisten im Hinterhof der „Hafenvokü“ zwischen Hafenstraße und „Plan B“ das unverschlossene Tor zum Hof nieder. Bei dem massiven Polizeieinsatz werden 34 dunkelhäutige Afrikaner festgenommen und in Handschellen abgeführt.
Die Federführung dieses martialischen Spektakels liegt in der Hand des Einsatzführers der im April eingerichteten „Task Force Drogen“. Der Anlass ist ein vor zwei Monaten erwirkter Durchsuchungsbeschluss des Ermittlungsrichters am Amtsgericht.
Hat die Polizei wirklich nach Drogen gesucht?
Dieser lautete vage auf „Beihilfe zum unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln“ gegen einen „noch nicht identifizierten Wohnungsinhaber“ in der Bernhard-Nocht-Straße. „Unbestimmter geht’s nicht mehr“, kommentiert die zur Hausdurchsuchung herbeigeeilte Rechtsanwältin Fenna Bußmann den obskuren Durchsuchungsbeschluss.
Der Razzia in den ehemals besetzten Häusern in der Hamburger St. Pauli Hafenstraße lag ein sehr vager Verdacht zugrunde, dort könnte dealenden Flüchtlingen geholfen werden.
Bei dem Bagatell-Einsatz lief die Polizei mit 260 BeamtInnen der Spezialkräfte mit Maschinenpistolen im Anschlag und der Bereitschaftspolizei auf.
Im Hinterhof der „Hafenvokü“ wurden laut Polizei 37 Flüchtlinge kontrolliert, von denen 34 vorübergehend festgenommen wurden. Alle befinden sich wieder auf freiem Fuß.
Beschlagnahmt wurden 50 Tütchen Marihuana mit insgesamt 91 Gramm, neun Kügelchen Kokain und zwölf Handys.
„Die Fahnder hatten Erkenntnisse darüber, dass mutmaßliche Händler von Betäubungsmitteln sich Kontrollen entziehen und dafür eine Wohnung in der Bernhard-Nocht-Straße sowie einen angrenzenden Hinterhof als Rückzugsort nutzen“, begründet Polizeisprecher Holger Vehren die Aktion.
Bei der eigentlichen Plan-B-Razzia wird nichts gefunden, lediglich ein Stromkabel beschlagnahmt. Dass die eingesetzten Polizisten bei der Durchsuchung relativ behutsam vorgehen – im Gegensatz zu dem Auftaktspektakel – ist aus Sicht der Bewohner ein Zeichen dafür, dass die Aktion eigentlich andere Ziele verfolgt habe. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die ernsthaft nach Betäubungsmitteln gesucht haben“, sagt die Anwältin Bußmann.
So sehen es auch die BewohnerInnen von Plan B: „Angesichts des vagen Vorwurfes und der Tatsache, dass nichts Relevantes gefunden wurde, wird klar, dass diese Durchsuchung einzig und allein der Einschüchterung der Bewohner_innen des Hausprojektes diente“, heißt in einer Erklärung. Der Polizeieinsatz stelle den bisherigen Höhepunkt einer Militarisierung des Stadtteils dar. Noch am Abend demonstrierten 400 Menschen in St Pauli gegen die Razzia.
Stellungnahme von Innensenator Grote gefordert
„Das war eine „drastische unverhältnismäßige ethnische Säuberungsaktion“, kommentiert ein Sprecher der Anwohner-Initiative Balduintreppe die Razzia. Am Drogenhandel werde sie nichts ändern. „Nur weil wir zu den Verkäufern ein nachbarschaftliches Verhältnis pflegen und sie als Menschen behandeln, eine geschäftliche Beziehung zu konstruieren, ist ein Skandal“, findet der Sprecher.
So sieht es auch die innenpolitische Sprecherin der Linken in der Bürgerschaft, Christiane Schneider. Sie verlangte vom neuen Innensenator Andy Grote (SPD) eine Stellungnahme zum „bürgerkriegsähnlichen Polizeieinsatz“, wofür Grote keinen Anlass sieht, wie sein Sprecher Frank Reschreiter der taz sagte.
„Der Innensenator muss sich fragen lassen, ob er der linken Szene mit dieser Demonstration der Stärke und Eskalationsbereitschaft zeigen will, wo im Vorfeld des G20-Gipfels der Hammer hängt“, findet Schneider. Sie erwägt, trotz der Sommerpause eine Sondersitzung des Innenausschusses der Bürgerschaft zu beantragen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku