: Raus aus dem Keller
Die Quoten sind im Keller, die Zuschauer laufen weg, vertrieben von einem TV-Angebot, das sterbenslangweilig ist. Das hat der Südwestrundfunk (SWR) gemerkt und versucht jetzt gegenzusteuern. Mit einer Neuausrichtung des Programms. Von 2014 an soll es richtigen Journalismus geben
von Josef-Otto Freudenreich
Daniela Katzenberger, laut Eigenwerbung Deutschlands „erfolgreichste Kult-Blondine“, auf dem Tablett serviert – da wird der Rundfunkrat munter. Von Tisch zu Tisch wandert die elektronische Nachricht in Baden-Baden, wo sich die Aufseher des SWR vorvergangener Woche versammelt haben, und mit jedem Tisch wird die Empörung größer. Die Dame, die einst bei RTL („Alarm für Cobra 11 – Die Autobahnpolizei“) als Tierpflegerin zu sehen war, soll Ermittlerin im Regionalkrimi „Frauchen“ des öffentlich-rechtlichen Senders werden, melden die Agenturen.
Die Nachricht kommt zur Unzeit. Eben noch begründet SWR-Intendant Peter Boudgoust (CDU) das Aus für „2+Leif“, ein Talkformat mit politischem Anspruch, sagt, dass das nicht schlimm sei, weil Frank Elsner auch Information sei, und dann platzt die Silikon-Aktrice in den Raum. Nun sind die Räte, ob schwarz, rot, grün oder grau, normalerweise eine brave Truppe, nicken ab, was die SWR-Granden vortragen. Aber diesmal ist es eine Front, parteiübergreifend. Boudgoust solle sie „nicht für dumm verkaufen“, poltert Karl Geibel, der für die Journalisten im Rundfunkrat sitzt. Die Entgegnung, dass Frau Katzenberger nur eine „Nebenrolle“ einnehme, klingt etwas lahm. Zumal Boudgousts Pressestelle den Scoop schon feiert. Mit ihrem „eigenen Glamour“ sei der „kapriziöse Fremdkörper“ als Hauptfigur prädestiniert.
„Frauchen“ ermittelt bald beim SWR
Blond, Busen, Boulevard – ist das die neue Zeit in der zweitgrößten ARD-Anstalt? Selbstverständlich nicht, sagt der neue Fernsehdirektor Christoph Hauser und verweist auf seine Vergangenheit bei arte. Dort war er, von 2005 bis 2012, fürs Programm verantwortlich, und das hat sich eher an anspruchsvoller Kultur orientiert. Hauser will mehr Relevanz, Akzeptanz und Aktualität. Die Krimikomödie „Frauchen“, betont er im Kontext-Interview, sei eine Degeto-Produktion für das Erste und habe mit der Reform des SWR Fernsehens „erst mal nichts zu tun“. Die Degeto wiederum ist eine ARD-Tochtergesellschaft, deren Geschäftsführerin Christine Strobl ist, die Tochter von Finanzminister Wolfgang Schäuble und Gattin von CDU-Landeschef Thomas Strobl.
Hauser, 1,95 Meter groß, ist für die „Neuausrichtung des SWR Fernsehens“ verantwortlich. Seit Dezember 2012 schafft er daran. Eine ambitionierte Aufgabe, wenn man nicht weiß, wie eigentlich die alte Richtung ausgesehen hat. Außer, dass jeder irgendwas gemacht hat, der eine weniger, der andere mehr und dass die Wurstelei erfolglos war.
Früher, zu Erwin Teufels und Stefan Mappus' Zeiten, wusste man wenigstens, wie kurz der Weg von der Villa Reitzenstein in die Neckarstraße war. Aber heute? Heute freut sich die Staatskanzlei, wenn ihr grüner Chef Kretschmann einen O-Ton kriegt, und der Zuschauer wundert sich, wenn die „Landesschau“ darüber berichtet, wie ein Mops auf Marathon trainiert.
Fakt ist, dass der Sender dringend eine Generalüberholung braucht. Das TV-Programm hat kein Gesicht, kaum Gesichter, kaum Geschichten, die in Erinnerung bleiben, stattdessen den Charme einer Stadthalle, in der das Bemühen um Unbeschwertheit selbst Spaßvögel verschreckt. Die Folgen sind dramatisch, die Kennziffern dafür stammen aus dem eigenen Haus:
– Die zweitgrößte ARD-Anstalt mit dem zweitgrößten Sendegebiet (15,5 Millionen) kämpft mit dem Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) um den letzten Platz bei den Zuschauerzahlen.
– Der Trend zeigt nach unten. 2013 wird der SWR voraussichtlich wieder Letzter, „wenn nichts passiert …“
– Der SWR war 2012 der einzige ARD-Sender, der Zuschauerverluste hinnehmen musste.
– Bei den Zuschauern unter 65 hat der SWR die niedrigsten Werte aller Dritten. – Im eigenen Sendegebiet droht der SWR (6,5 Prozent) noch hinter den Spartenkanal Vox (6,1 Prozent) zurückzufallen.
Krachend in sich zusammengestürzt ist damit das Gebäude, das vor drei Jahren mit dem hübschen Namen „bürgerliche Mitte“, wahlweise „Mitte der Gesellschaft“ versehen wurde. Der damalige TV-Direktor Bernhard Nellessen hatte sich von seinen Medienforschern erzählen lassen, dass diese Spezies politikverachtend sei, ergo nach einem Programm verlange, das einen „Information-Overload“ und „zu hohe Komplexität“ vermeidet.
Deshalb müsse auf Infotainment und unterhaltsame Formen gesetzt werden, was dazu geführt hat, dass gestandene Nachrichtenredakteure angewiesen wurden, gefälligst auch Boulevardthemen vorzulesen. Anvisiert hatte Nellessen, ein Katholik guten Glaubens, einen Marktanteil von zehn Prozent.
Das Ergebnis ist bekannt. Inhaltlich wie quotenmäßig. Eine Debatte darüber, warum der Zuschauer für etwas Gebühren zahlen musste, was er bei RTL oder Pro Sieben gratis erhält, fand nicht statt.
Öffentlich-rechtlich: ein wahres Paradies
Nachfolger Hauser mag darüber nicht sprechen. „Alte Wunden lecken“, sagt er, sei seine Sache nicht. Lieber berichtet er von seinem Plan, wieder Journalismus zu machen. „Dreh- und Angelpunkt“ sei die Information, sagt der 57-Jährige, dem das Aufwachsen in Radolfzell mit sechs Geschwistern wohl gutgetan hat. Was den Blick für die Realität anbelangt.
Das könnte auch, nebenbei bemerkt, der Berichterstattung über Stuttgart 21 dienen. Dann soll er mal seine Reporter loslassen, ausschicken zur Recherche, und sie stützen, wenn hasenfüßige Haupt- und Unterabteilungsleiter das Muffensausen kriegen oder eine Landessenderdirektorin staats- und bahntragendes Fernsehen wünscht. Er habe ein „breites Kreuz“, versichert Hauser gegenüber Kontext. Was zu beweisen wäre.
Der Platz ist da. Im Vorabendprogramm (von 18 bis 20 Uhr), das so darniederliegt, soll es Nachrichten satt geben. „Kleine Tagesthemen“, von 19.30 Uhr an bis zur „Tagesschau“, ein reizvoller Gedanke. Das SWR-Fernsehen muss 25 Prozent seines Budgets einsparen und Fernsehdirektor Hauser eine Antwort darauf finden, wie er seinen Anspruch „mehr Journalismus“ finanziert. Der ist teuer und der entscheidende Indikator dafür, wie ernst er es mit seinen Ansagen meint. Siehe auch nebenstehendes Interview! Tipp 1: Den dritten SWR-Artikel in dieser Kontext-Ausgabe finden Sie in der online unter www.kontextwochenzeitung.de. Peter Freytag zeigt, was der Sender gern ausblendet. Kritische Berichte zu Stuttgart 21 beispielsweise. Selbst über das inzwischen unzumutbare S-Bahn-Chaos in der Region Stuttgart werde nicht hintergründig und kritisch berichtet.
Tipp 1: „Zwischen Boulevard und Ratgeber-TV“. So der Titel einer neuen Studie, die Joachim Trebbe für die Otto-Brenner-Stiftung erstellt hat. Der Berliner FU-Professor stellt dabei das Fernsehprogramm des SWR und des NDR gegenüber.