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Rassismus in BelgradEnglisch gesprochen – angeschossen

In Belgrad werden Ausländer immer häufiger Opfer von Angriffen rechtsradikaler Schlägertrupps. Die werden von Nationalisten und der Kirche unterstützt, die Staatsmacht kapituliert.

Die Polizei kann die Sicherheit für Ausländer in Belgrad kaum durchsetzen. Bild: ap

BELGRAD taz | In den vergangenen zehn Tagen wurden in Belgrad ein Brite angeschossen und ein Australier verprügelt. Zudem überfielen serbische Hooligans eine Gruppe französischer Fußballfans, die in der City friedlich in einem Café saßen. Ein junger Franzose liegt im Koma.

Der jüngste Ausbruch der organisierten Gewalt in der serbischen Hauptstadt erregte großes Aufsehen, weil es sich um ausländische Staatsbürger handelte. Sie wurden angegriffen, weil sie nicht Serbisch sprachen. Die Botschaften der Opfer protestierten, das serbische Außenministerium entschuldigte sich ebenso wie die Belgrader Behörden.

Die Schläger fielen über die Ausländer tagsüber und mitten im Zentrum her. Besonders besorgniserregend für die Staatsorgane ist, wie wenig Respekt die Gewalttäter vor der Staatsgewalt zeigen. 2008 steckte ein Hooligan bei einem Fußballspiel einem Polizisten eine brennende Fackel in den Mund. Als ein junger Mann bei einer Fahrprüfung durchfiel, verprügelte er einen teilnehmenden Polizisten vor dessen Kollegen.

Die öffentliche Polemik, ob der Staat die Kontrolle über rechtsextreme Gruppen und Hooligans verloren hat, erreichte ihren Höhepunkt, als am vergangenen Sonntag die Homo-Parade in Belgrad wegen Drohungen abgesagt wurde. Man habe "Zehntausende" gewaltbereiter Menschen erwartet, erklärte Polizeigeneral Mladen Kuribak. Viele sprachen von einer Kapitulation des Staates vor rechtextremen Gruppen. Die OSZE, die Delegation der Europäischen Kommission und das Büro des Europarats in Belgrad äußerten ihr "Bedauern" über den Vorfall.

Serbische Hooligans sind eng mit rechtsextremen Gruppen wie "Nationale Kolonne", "1389", oder "Obraz" verbunden. Sie sind gut organisiert, preisen das orthodoxe Christen- und Serbentum und tragen Kruzifixe. Sie hassen alles, was aus dem Westen kommt, und lieben Russland.

"Sie leben von einem ausgeprägten Hass, der gegen den Staat und andere Volksgruppen gerichtet ist", sagt Aleksandra Jugovic, Uni-Dozentin für die Rehabilitierung jugendlicher Krimineller. Ihnen stehen nicht nur nationalistische Parteien, sondern auch die orthodoxe Kirche wohlwollend gegenüber. Serbiens Minister für Menschenrechte, Svetozar Ciplic, sprach von einer "Wertekorrelation" zwischen rechtsextremen Gruppen und einzelnen politischen Parteien. Im Klartext: serbische Hooligans haben eine ideologische Basis, werden als Schlägertrupps von Parteien benutzt, die die Gewaltausbrüche als "jugendlichen Leichtsinn" abtun.

Es handelt sich vorwiegend um arbeitslose Zwanzigjährige, die in Kriegen und internationaler Isolation aufwuchsen und vom Staat vernachlässigt worden sind. Eine Frage bleibt: Wie stark sind diese Gruppen, wenn der Staat vor ihnen zurückweicht? Ein serbischer Journalist erinnerte in diesem Zusammenhang an junge deutsche Männer, die in den 1930er-Jahren in München in Bierlokalen hockten.

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8 Kommentare

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  • J
    Jovopop

    ...gestern erlag der im Belgrader Stadtzentrum verprügelte Franzose seinen Verletzungen. Das ganze Land ist nun bestürzt. Tausende Menschen sind Serbienweit auf die Straßen gegangen, um das Entsetzen offenzutragen. Heute gibt es eine Großdemo in Belgrad. Hoffentlich wird die Politik nun endlich handeln.

    UND DIE DEUTSCHE PRESSE NIMMT WIEDER KEINE KENNTNISS DAVON, EINFACH UNGLAUBLICH!

  • J
    Jovopop

    Es ist mal wieder interessant zu lesen, was hier der taz alles vorgeworfen wird..

    Es ist nun mal eine Tatsache, dass die im Artikel genannten Opfer nur wegen ihrer Sprache angegriffen worden sind. Und nicht nur sie werden angegriffen. Auch einheimische Minderheiten sind betroffen, sei es wegen ethnischer Herkunft (Ungarn, Albaner, Roma usw.) oder wegen politischer Besinnung bzw. sexueller Orientierung. Ich verfolge die serbische Presse fast täglich, und es stimmt einfach. Es ist nach wie vor ein ernstzunehmendes Problem in Serbien, man spürt sogar eine erschreckende Steigerung der Vorfälle. Solche Überfälle kommen einfach zu häufig vor. Es hat mich auch ehrlich gesagt gewundert, dass bis jetzt kaum jemand von der deutschen Presse davon Kenntniss genommen hat. Danke TAZ, für den Artikel!

  • IB
    IBogdan Basaric

    Herr Inanji schreibt Minimum zwei große Lügen. 1. "Sie hassen alles, was aus dem Westen kommt und lieben Russland". 2. Die serbisch-orthodoxe Kirche trifft hier keine Schuld.

  • N
    Nenad

    Deutsches Volk - Feiges Volk?

     

    Mit großer Bestürzung haben sicherlich viele den Vorfall an einem münchener S-Bahnhof zur Kenntnis genommen.

    Ein beherzter Mann beschützt Kinder vor einem Pärchen gewaltbereiter jugendlicher und bezahlt dafür mit seinem Leben.

    Auf ihn wird am Bahnsteig solange eingeschlagen bis er letztendlich erliegt, am hellichten Tage.

    Viel erschreckender, als diese blanke und vorallem sinnlose Brutalität, ist vielmehr, dass diesem Mann niemand geholfen hat während er am Boden lag.

    Sind die deutschen deshalb alle samt feige, definitiv nicht.

    Die genauen Umstände warum keiner eingriff kenne ich nicht, klar ist auch, dass das Ereignis für sich steht und nicht ein Abbild des deutschen Charakters ist.

    Das beste Beispiel dafür ist dieser tapfere Mensch.

     

    Der Aufmacher der taz birgt eine Geschmacklosigkeit in sich genauso wie er pauschalisiert, als wäre man äußerst intolerant, so habe ich mir mal erlaubt ein Gegenbeispiel zu bringen.

    Ich hoffe insgeheim, dass mehr Bedacht bei einigen Themen an den Tag gelegt wird, denn wer Leuten bei der Meinungsbildung hilft...trägt schließlich auch Verantwortung.

  • P
    Paul

    Kuhl, jeder erntet was seine Herrscher in anderen Nationen säen, Hass und Gewalt. Wer hat damit begonnen? Die Jungen im Volk wehren sich, gut so. Das ist erst der Anfang. Hört auf zu jammern schaut lieber in den Spiegel und verwechselt nicht schon wieder Wirkung mit Ursache, ihr Pappnasen.

  • HG
    Huli Genizam

    Jungendliche haben ne lange tradition mit

    das "Viertel sucht den Stem(m)er". Hegemonie der Etablierten aller Couleur schmeissen sich seit langem an sie ran, wohl anfangs um Stadiongewalt einzudämmen zum anderen um nicht bei gewaltätigen Gruppen und dem organisierten Verbrechen anzuecken,

    und zum Ziel zu werden. Serben stehen als Bewarer Yugoslaviens und als Antifaschisten bei politischen Strömungen hoch im Kurs, auch nur weil der Blick auf

    ihre Tagespolitik dadurch verklärt bleibt.

  • HN
    Herr Neno

    Am Bericht aus Belgrad ist einiges wahr. Leider.

    Hier muss mal ein/e Bürgermeister/in richtig aufräumen.

     

    Aber Herr Ivanji schreibt wie in den 90ern. Und das ist nicht ok.

    Besonders die Überschrift ist irreführend.

     

    Das Satiremagazin, welches nach einem Schiff benannt ist würde schreiben:

    "Englisch gesprochen- angeschossen! Belgrad im Chaos! Bürger wünschen sich Franz Böhme zurück!"

     

    Nein, die Überschrift ist nicht in Ordnung.

  • K
    Klami

    Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der jüngeren Vergangenheit hat in Serbien nie stattgefunden und auch nicht begonnen. Rassistische Einstellungen gegenüber Roma und Albanern sind bis in gesellschaftlichen Eliten weit verbreitet. Damit einher geht ein unsäglicher Antijudaismus ganz plumper Art. Die Juden seien verantwortlich für den Zerfall Jugoslawiens und unterstützten Serbiens Feinde.

    Serbien bleibt weiterhin ein Opfer mangelnder Emanzipation gegenüber dem brutalen Nationalismus vergangener Tage. Der Preis den das Land zahlt ist enorm. Das größte petrochemische Unternehmen wurde weit unter seinem Ertragswert an Russland verkauft, als Gegenleistung für Russlands Unterstützung Serbiens in der Kosovo-Frage. Mit den Chinesen wurde jüngst eine Verpflichtung zur strategischen Zusammenarbeit unterschrieben. Dabei spielt Serbien aus ökonomischen Erwägungen, für China kaum eine Rolle. Die wirtschaftlichen Kriterien sind für ein Transformationsland nicht unbedingt schlecht. Weil man den wegen Kriegsverbrechen angeklagten General Mladic nicht ausgelifert hat, stockt allerdings der Annäherungsprozess gegenüber der EU. Das Bevölkerung bleibt bedauerlicherweise ein Geisel, zumal Serbian durchaus Potenzial hat sich zu einem wirtschaftlichem und kulturelle Motor für die ganze Region zu entwickeln.