Rapper Haftbefehl über das Böse: „Teufel im Kopf, Engel im Herzen“
Der Offenbacher Musiker Haftbefehl spricht über sein neues Album, das Böse in der Welt und den Konflikt der Kurden.
taz: Haftbefehl, auf Ihrem neuen Album „Russisch Roulette“ drehen sich einige Tracks um Dämonen, den Teufel und schmutziges Geld. Ist der Mensch böse?
Haftbefehl: Jeder Mensch trägt Böses in sich – und auch Gutes. Wenn man eine Vergangenheit hat, in der man häufig enttäuscht wurde, wird das Böse in einem schneller erweckt. Irgendwann, wenn man zu viel Böses in sich trägt, stirbt das Gute. Das Böse ist wie ein Virus.
Es ist Ihr erstes Album bei einem Majorlabel. Wie würden Sie den Sound des Albums beschreiben?
Es sollte sehr düster und dämonisch sein. Ich wollte die Atmosphäre rüberbringen, die man bei uns in Frankfurt hat, wenn man nachts durch die Gegend um den Hauptbahnhof fährt, wo das Rotlichtmilieu ist. Es ist ein bedrohliches Album, ein gefährliches Album. Die Musik ist nichts für kleine Kinder.
Die Song-Trilogie „1999“, Teil 1–3, hat einen ziemlich nostalgischen Sound und dreht sich inhaltlich auch um alte Zeiten. Was verbinden Sie mit dem Jahr 1999?
In der Zeit habe ich meinen Vater verloren. Ich hatte zwei oder drei Jahre eine sehr schwere Zeit und bin viel auf der Straße gewesen. Ich war 14, eigentlich noch ein Kind, da habe ich die Schule geschwänzt, sie praktisch abgebrochen. Ich habe Drogen konsumiert und Sachen gemacht, die ich heute sehr bereue. Ich hatte lange Zeit ein sehr schlechtes Gewissen. Mittlerweile habe ich wieder ein besseres Gewissen, weil ich viel Gutes getan habe.
Sie haben das Böse also besiegt, von dem wir am Anfang gesprochen haben?
Was heißt besiegt? Ich trage das Böse immer noch in mir, wie jeder Mensch. Das Böse kann ein Drogendealer sein, der seine Drogen mit Sachen streckt, die seinen Kunden schaden könnten, das könnte ein Boxer sein, der mit Bleiklumpen in seinen Handschuhen in den Ring steigt. Jeder Mensch hat einen Teufel im Kopf und einen Engel im Herzen. Man versucht die kaputten Gedanken irgendwie mit Gefühlen zu überwinden, um keine schlechten Sachen zu tun. Zumindest funktioniert mein Körper so, ich weiß nicht, wie das bei anderen ist. (Haftbefehl gibt ein deutliches Keuchen von sich.) Das war gerade ein Dämon, der musste raus.
Er heißt bürgerlich Aykut Anhan, geb. 1985 in Offenbach. Der deutsche Rapper ist zazaisch-kurdischer Abstammung. 2010 erschien sein Debütalbum „Azzlack Stereotyp“ über das Frankfurter Label Echte Musik. Nach dessen Schließung gründete er sein eigenes Label Azzlackz. Diesen Begriff hat Haftbefehl selbst geprägt, er steht abkürzend für „assoziale Kanacken“. Es folgten die Alben „Kanackis“ (2012) und „Blockplatin“ (2013), die ihn zu einen der bekanntesten Rapper in Deutschland machten.
Auch sein neues Album „Russisch Roulette“ (Urban/Universal Music) weist deutliche Einflüsse aus dem französischen HipHop auf. Für die Produktionen auf „Russisch Roulette“ ist Haftbefehls langjähriger Weggefährte Bazzazian (früher bekannt als Benny Blanco) verantwortlich, der auch schon für das Frankfurter Rapurgestein Azad gearbeitet hatte. Das satte Soundbild ist von nüchternen Stimmungen, harten Beats und Reminiszenzen an frühere Songs geprägt. Haftbefehl ist der erste Rapper, der arabische, türkische und kurdische Vokabeln in deutschen Texten verwendet. Inhaltlich behandelt er neben gängigen Themen des Gangsta-Rap wie Kriminalität und Drogen auch Diskriminierung und soziale Probleme in seiner Heimatstadt Offenbach. (fay)
1999, das war nun vor fünfzehn Jahren. Wie hat sich Ihre Heimatstadt Offenbach seither verändert?
Die offene Drogenszene auf dem Offenbacher Marktplatz, wo früher zwischen fünfzig und neunzig Dealer standen, existiert nicht mehr. Am Hafen gibt es viele Orte, wo man schön essen kann, ohne von Jugendlichen, die auf Abfuck sind, gestört zu werden. Aber das hat sich alles in die Seitenstraßen verlagert. Da wird es ekelhafter und die Jugendlichen haben kaum Respekt. Ich habe den Eindruck, dass sie härtere Drogen nehmen und Sachen machen, die wir früher nicht gemacht hätten.
Welchen Bezug haben Sie eigentlich zu der früheren Generation von Frankfurter Rappern?
Ich habe früher viel Azad gehört. Ich war stolz darauf, dass es endlich einen Kurden gab, der Rap macht. Tone und D-Flame habe ich auch gehört, am liebsten aber Jonesmann. Der hatte eine Crew, die Chabs hieß. Deren Sachen sind mir raptechnisch sehr im Kopf hängengeblieben.
Das kurdische Wort „Babo“ wurde aufgrund eines Songs von Ihnen zum Jugendwort des Jahres 2013 gewählt. Ehrt Sie das?
Natürlich, das ehrt mich sehr. Vor allem, weil ich der Erste war, der fremdsprachige Wörter im deutschen Rap benutzt hat. Deshalb hatte ich auch mein zweites Album „Kanackis“ (gesprochen: kanackisch) genannt. Es gibt Leute, die jetzt auf den Zug aufspringen und so tun, als würde das nicht von mir kommen. Klar gibt es immer Schwarzfahrer, aber die werden irgendwann rausfliegen. Ich kann nur sagen: Ich bin der Zug.
Einer dieser Schwarzfahrer war ja auch der CSU-Nachwuchspolitiker Fabian Giersdorf, auf dessen Wahlplakat stand: „Chabos wissen, wer der Babo ist“. So heißt Ihr bekanntester Song.
Also zuerst war da dieser Typ von der SPD (Anm. d. Red.: Herbert Woerlein), der hat das auch gemacht. Aber das fand ich gar nicht so schlimm, weil er mit seinen Plakaten eigentlich Werbung für mich gemacht hat und sich danach auch nicht komisch über mich geäußert hat. Der Typ von der CSU war hingegen ein sehr, sehr großer Idiot. Der hat ohne zu fragen meinen Satz benutzt, dann Kritik gefangen und sich schließlich von mir und meinen Inhalten distanziert. Aber wer hat dich denn an mich heran gelassen, dass du dich von mir distanzieren musst? Aus dem Grund hat sich mein Anwalt dann dazu geäußert.
Hätte Giersdorf Sie um Erlaubnis gefragt, Ihre Zeile als Wahlslogan zu benutzen, hätten Sie es ihm erlaubt?
Wenn er mir fünf- bis zehntausend Euro überwiesen hätte, dann hätte ich ihm das schon erlaubt. (Lacht.)
Im Internet kursiert das Gerücht, dass Sie der kurdischen Miliz YPG, die in Syrien aktiv ist, 500.000 Euro gespendet haben sollen. Stimmt das?
Das stimmt nicht. Ich habe keine solche Summe an meine kurdischen Landsleute gespendet. Auch wenn es so wäre, würde ich das bestimmt nicht in irgendeinem Interview sagen. Und ich würde direkt dorthin fliegen und selbst irgendetwas Gutes tun, bevor ich jemandem 500.000 Euro in die Hand drücke.
Auf dem Album finden sich vereinzelte Aussagen wie „Free Palestine“. Wollen Sie Ihre Musik nutzen, um sich auch politisch zu positionieren?
Ja, auf jeden Fall. Ich habe auch in meiner Jugend Tracks gemacht, in denen ich mich politisch äußern wollte, aber damals konnte ich mich noch nicht richtig ausdrücken. Deshalb habe ich Beleidigungen von mir gegeben, zu denen ich heute auf jeden Fall nicht mehr stehe. Aber Songs wie „Free Palestine“, zu denen stehe ich nach wie vor. Natürlich finde ich es traurig, dass das israelische Militär so viele arabische Zivilisten tötet. Aber ich habe nichts gegen den Staat Israel, ich habe etwas gegen das aktuelle Regime. Und ich habe nicht nur was gegen das aktuelle israelische Regime, sondern gegen diesen Kriegscheiß allgemein. Auch wir Kurden werden unterdrückt und getötet. Unser Problem heißt eben IS. Das ist eine Organisation, deren Ideologie vorne und hinten nicht stimmt. Sie geben an, „nur“ Aleviten und Schiiten zu töten, was auch schon krass ist, aber es stimmt nicht mal, sie töten auch Sunniten.
Warum kritisieren Sie die israelische Regierung und nicht zum Beispiel die türkische?
Ich meine, es stellt sich auch die Frage, was passiert, wenn diese Regierung weg ist. Werden die neuen Leute besser oder schlechter sein? Wenn Recep Tayyip Erdogan gestürzt würde, welcher Nachfolger hätte die Eier, diese Machtposition auszufüllen, die er sich erbaut hat?
Finden Sie es nicht problematisch, dass die türkische Regierung den Kurden in Syrien keinerlei Unterstützung gibt?
Natürlich, ich stehe total hinter dem kurdischen Widerstand in Syrien. Ich sehe auch, dass Erdogan das ganze völlig egal ist und er sich denkt: Ja, lass mal die Peschmerga durch die Grenze marschieren, damit die sich in Syrien alle gegenseitig umbringen und die kurdische Partei in der Türkei auch geschwächt wird. Das ist halt Politik.
Aber das ist nicht cool.
Natürlich ist es nicht cool, aber das ist Politik. Am Ende des Tages war Erdogan der erste Präsident in der türkischen Geschichte, der gesagt hat, in türkischen Schulen wird auch kurdisch gesprochen. Klar, 80 Prozent von dem, was er macht, sind total falsch, und zwar nicht nur, was die Kurden angeht. Aber 20 Prozent sind auch gut und wichtig. Zum Beispiel, dass er von diesem altmodischen Denken der Türken im Bezug auf den Staatsgründer Atatürk wegkommen will. Er hat recht, wenn er sagt: Ey, wir leben in einer ganz anderen Zeit, was fürn Atatürk, Alter? In den USA hängt doch auch nicht in jedem Hotel ein Foto George Washington.
Im Video zu Ihrem Song „Saudi Arabi Money Rich“ spielen Sie mit sehr kontroversen Bildern, da sind etwa eine Frau in Louis-Vuitton-Burka und Nike-Sneakers, und Rabbis, die kiffen und trinken. Woher kamen diese Ideen?
Eigentlich wollte ich das Video, passend zum Song, in Dubai drehen, einen Ferrari mieten und Geldscheine aus dem Fenster schmeißen. Neffi Temur von Universal meinte dann aber, dass wir den Fettsäcken nicht noch mehr Geld in den Rachen stopfen sollten und das mal lieber den Videoproduzenten überlassen. Die kamen eben auf die Idee mit den Rabbis und der Burka. Ich war da erst unsicher. Aber ich meine, so hardcore-orthodoxe Juden praktizieren ihre Religion genauso knallhart wie die Hardcore-Moslems. Deswegen fand ich diese Bilder nebeneinander eigentlich ganz gut. Als wir dieses Jahr einen muslimischen Feiertag hatten, war zufällig am selben Tag ein jüdischer Feiertag und ich habe das Video online gepostet mit dem Kommentar: „Schalom und Salam alaikum. Wir sind alle Brüder.“ Und dann ging es halt böse ab.
Wie war das Feedback darauf?
Sehr unterschiedlich. Die einen haben gemeint: „Guck mal, Haftbefehl hat seinen Arsch an Universal verkauft und hängt jetzt mit den Freimaurern rum.“ Unsere Jugend denkt halt, dass alle Juden Freimaurer sind, vollkommen schwachsinnig. Die Kurden meinten dann: „Ey, warum machst du nicht Videos mit deinen eigenen Landsleuten?“ Das war fast so ein Kriegszustand auf meiner Facebook-Seite. Ich habe nur geantwortet: Was soll das? Wozu schiebt ihr so einen Hass? Lasst mich mal mein eigenes Ding machen. Ich habe es einfach durchgezogen und ich glaube, ich habe ein gutes Produkt abgeliefert.
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