: Rap me, Amadeus
Frag nicht nach den Fugees: Mit dem Album „The Ecleftic“ will Wyclef Jean jetzt auch als Solokünstler den Respekt, den er als Produzent für Stars wie Michael Jackson und Whitney Houston längst genießt
von GEORG HERMENS
Es gibt eine Frage, die Wyclef Jean definitiv nicht mehr hören mag: Wann kommt eigentlich die nächste Fugees-Platte? „Fugees-Platte?“, könnte er mit Fug und Recht zurückfragen und sagen: „Junge, es geht hier um mein zweites Soloalbum.“ Und das beginnt mit einem fiktiv-absurden Telefongespräch zwischen Wyclef Jean und seiner Plattenfirma, die auch nur wissen will: Wo bleibt die nächste Fugees-Platte?
Im richtigen Leben sagt er geduldig: 2001, 2002 wäre es so weit. Die Fugees hätten schließlich noch einen Vertrag über drei weitere Alben zu erfüllen. Und überhaupt: „Wenn ich egoistisch gewesen wäre, hätte ich mein zweites Soloalbum „The Ecleftic“ schon vor ein, zwei Jahren aufgenommen und rausgebracht. Stattdessen hab ich gewartet. Aber Pras und Lauryn sind anscheinend noch nicht so weit.“ Warum, das sagt er nicht.
Nach einer langen Party-nacht hängt Wyclef Jean beim Interview übernächtigt und halb liegend im Sessel eines Kölner Hotels. Cool bis abgeschlafft, aber immer bereit zu erklären, mit wem die Welt es da zu tun hat: mit einem, der Spaß am Angeben hat. Aber auch einem, der sehr gut weiß, was er kann und wer er ist. Zum Beispiel hat er drei Tage lang für und mit Michael Jackson in seinem Studio gearbeitet. Andere hätten danach sicher das Gefühl, nun in Ruhe sterben zu dürfen. Wyclef Jean aber ist zu Tode beleidigt, weil Jackson kommentarlos gegangen ist, ohne ihn und sein Studio zu bezahlen. Nein, so geht man mit Wyclef Jean nicht um.
Wyclef vs. Lauryn Hill
Schließlich gilt Wyclef Jean als der Mann hinter dem bestverkauften HipHop-Album aller Zeiten: In 17 Millionen Haushalten weltweit steht seit 1996 ein Exemplar von „The Score“ von den Fugees. Danach ging Wyclef Jean erstmals solo. Sein „Carnival“ wurde zwar allseits gelobt und verkaufte sich passabel. Doch dann kam seine Fugees-Kollegin mit „The miseducation of Lauryn Hill“. 14 Songs, komplett von ihr geschrieben und produziert, die mit Lobeshymnen überschüttet wurden und mal eben fünf Grammies einfuhren. 14 Songs, die inhaltlich auch auf eine Liason zwischen Lauryn und Wyclef wiesen. Er aber war derweil zu seiner Frau zurückgekehrt und Lauryn Hill hatte in Bob Marleys Sohn Rohan den Mann fürs Leben gefunden. Seitdem herrscht eisiges Schweigen. Lauryn Hill verweigert jeden Kommentar – es heißt, das Ganze solle noch mal Thema auf ihrer nächsten Solo-Platte sein. Auf „Ecleftic“ sind jedenfalls weder sie noch der Dritte im Bunde, Pras, dabei: Dem ist Wyclef gram, weil er ihn nicht um Hilfe bei seinem Solo-Album gebeten hatte. Obwohl das Wyclefs Meinung nach die einzige Lösung war. Pras jedenfalls war beleidigt . . . und so weiter und so fort. Keine guten Voraussetzungen also für eine Re-Union.
HipHop fürs Theater
Dafür hat sich Wyclef Jean in der Zwischenzeit höchst erfolgreich ein zweites Standbein als Produzent aufgebaut – unter anderem stand er für Destiny’s Child, die Neville Brothers, Sinead O’Connor und Mary J. Blige an den Reglern und bescherte Whitney Houston zuletzt ein fulminantes Comeback. Sein neuestes Opus magnum erweitert und arbeitet Wyclef Jean – um schon mal im Vorfeld die Ambitionen des Werks zu klären – gerade zu einem Off-Broadway-HipHop-Stück um. Und es macht seinem Titel alle Ehre: „All music in one form“, wie sein Schöpfer meint, der sich selbst gerne zum „HipHop-Amadeus“ stilisiert: „Weil ich keine Angst habe, überall hinzugehen, alles auszuloten und alles Erdenkliche zu tun.“
Da denkt man bei „Perfect gentleman“ wegen der Synthie-Sequenz à la „Go west“ erst an die Pet Shop Boys, dann an prolligen Miami Bass. Und auf der ersten Singleauskopplung werden ein paar Soundschnipsel aus „This is ska“ von den Bad Manners recycelt, dann „Livin’ la vida loca“ angespielt und schließlich John Denvers Country-Heuler „Take me home, country roads“ abgerufen. Alles ist potenziell Material. Bei dem weit verbreiteten, oft ins Krampfige rutschenden Kampf um Credibility und Hipness, kurz, bei all diesen Jungs-Geschichten, macht Wyclef Jean jedenfalls nicht mit. Wohl auch deshalb, weil ein mehrfacher Grammy-Gewinner sich das leisten kann. Einer, der mal eben eingeladen wird, auf der Beerdigung von John F. Kennedy junior „Many rivers to cross“ zu singen.
Wyclefs Traumelf
So einer hat denn auch das Privileg, von Mary J. Blige über Youssou N’Dour bis zu Earth, Wind & Fire seine Traummannschaft für sein Album zu rekrutieren. Über die Vielfalt der Platte empfindet er jedenfalls eine fast kindlich anmutende Freude: „Da sind derartig viele interessante Geschichten drauf . . .“
Im Vergleich zu seinem Debüt „The Carnival“ sei „Ecleftic“ die Rückkehr zu seinen HipHop-Roots. Aber die Tracks sind andererseits auch geprägt von einem weißen Sound: Der 1980 mit seiner Familie aus Haiti nach Brooklyn gekommene Wyclef wuchs eben mit The Police, den Beatles und Van Halen auf – und das soll man auch hören. Um wirklich allen Wyclefs gesamte Welt zu erklären, findet sich als letztes Stück ein Cover von Pink Flyods „Wish you were here“. Wyclef erzählt, wie er und sein Toningenieur diesen Song aus seiner Jugendzeit durch pausenloses Hören des Originals Ton für Ton rekonstruiert haben. Und wie er sich bemüht hat, den persönlichen Ratschlag von Maestro Carlos Santana umzusetzen: „Spiele mehr mit dem Herzen“. Für diesen Tipp hat Wyclef Jean dem Kollegen und Vorbild Santana mit „Maria, Maria“ im Gegenzug einen weltweiten Hit geschenkt.
Im Herbst steht eine große „Ecleftic“-Tour an. Und die soll, klar, „The greatest show on earth“ werden. Was von seinem Solo-Album, trotz vieler guter Tracks, nicht zwingend gesagt werden kann. Der Black-Music-Vordenker Greg Tate hat die Platte im Rap-Zentralorgan „Vibe“ verrissen, nicht ohne beizusteuern: Das Größte, das wäre wohl doch ein weiteres Fugees-Album. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Wyclef Jean: „The Ecleftic“ (Columbia/Sony)
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