Rap gegen Homos: Tourette-Selbsthilfegruppe im Tonstudio
Der Rapper G-Hot fordert in "Keine Toleranz" zum Mord an Schwulen auf. Bloß Pop? "Schwulen"-Bashing ist bei Jugendlichen längst guter Ton.
Auf der Onlineplattform YouTube tauchte vor kurzem der Videoclip des Berliner Rappers G-Hot (im richtigen Leben: Gökhan Sensan, 24) unter dem Titel "Keine Toleranz" auf, in dem er zum Mord an Schwulen aufrief: "Nie wieder freilaufende Gays"; "den Schwuchteln sollte man besser den Schwanz abschneiden"; "Mach mit, lass uns die Welt von AIDS befreien".
Eine Berliner Rapperin, die namentlich nicht genannt werden möchte, erstattete umgehend Anzeige, auch das schwule Berliner Antigewaltprojekt "Maneo" kontaktierte die Staatsanwaltschaft. Die Clips wurden gelöscht, "Maneo" lässt derzeit ein weiteres strafrechtliches Verfahren gegen die Urheber prüfen, "doch letztlich ist dies ein Kampf gegen Windmühlen. Wir können nicht jeden Tag das Internet auf homophobe und strafrechtlich relevante Inhalte durchforsten", sagt Bastian Finke von Maneo. Der Fall G-Hot hat nun Kreise gezogen: Das ansonsten auf Krawall setzende Label Aggro Berlin hat sich - erstaunlicher Weise - offiziell von seiner Nachwuchskraft Gökhan Sensan getrennt. Mittels Videobotschaft erklärt der Jungbarde nun im Netz, dass der Song "Keine Toleranz" gar nicht zur "Veröffentlichhung bestimmt war, Alter" und dass ihm "die Schwulen am Arsch vorbei gehen, Alter" und dass seine Karriere trotz des Protestes der "Schwulen-verbände weiter geht, Alter".
Das Verfahren ist bei der Berliner Staatsanwaltschaft anhängig, die nun überlegen muss, wie der Fall zu bewerten ist. Volksverhetzung? Aufruf zur Gewalt, Aufruf zum Mord? Im Gegensatz zu den USA gibt es in Deutschland keine Gesetzgebung, die auf "Hate Crimes" Bezug nimmt, trotz Antidiskriminierungsgesetz.
Doch unterdessen hat sich unter deutschen Jugendlichen ein Klima entwickelt, das Menschen, die sich dem Mittelschichts-Verdikt der Political Correctness verpflichtet fühlen, den Atem nimmt: Die Jugend von heute, gleich welcher sozialen Herkunft, macht Witze über Juden, Schwule und "Blondinen", also frauenfeindliche Witze. Im wesentlichen ist sie also genauso beschaffen, wie die Jugend von gestern: Sie möchte sich von der älteren Generation abgrenzen und springt daher auf deren Nervenkostüm herum, wie auf einem Trampolin.
Wer trägt nun die "Schuld" an dieser Entwicklung? Die Schule? Liegt es an den für soziale Kompetenz zuständigen Hirn-Frontallappen, die bei Pubertierenden noch nicht richtig zusammengewachsen sind? Oder die üblichen Verdächtigen, "die Medien", zu denen Musiklabels wie "Aggro Berlin", Radiosender und Video-Clip-Sender gehören - Medien, über die Hasstexte aus dem Hip-Hop und Rap-Genre verbreitet werden.
Bushido zum Beispiel, früher ebenfalls bei "Aggro" und jetzt bei Universal, findet Schwule ähnlich toll wie Golfspieler, nämlich "scheisse" - er singt auch gerne mal was zum Thema, zum Beispiel darüber, dass man "Tunten vergasen" müsse. Wenn umgekehrt jemand in der taz schreibt, dass es sich bei Bushido womöglich um eine "Dumpfbacke" und einen "furzlangweiligen Kacker" handeln könnte, schickt der sensible Künstler gleich einen Learjet mit Anwälten vorbei. Den Learjet mit Anwälten kann er sich leisten, weil er und seinesgleichen sich kommerziell erfolgreich als deutsche Trittbrettfahrer der US-Ghetto-Hip-Hop-Gangsta-Rap-Kultur haben etablieren können.
Zu den unverzichtbaren Bestandteilen dieser Kultur, die mal eine Subkultur war, gehört neben dem auf dicke Hose machen das Frauen erniedrigen und das Homo-Bashing. Wobei alle drei Komponenten zusammengehören. Traditionell verstandene Männlichkeit wird in Abgrenzung zu Weiblichkeit und zu als weiblich begriffenen Homosexuellen hergestellt. Im afroamerikanischen Verständnis wiederum gilt Homosexualität zudem als "weiße" Konstruktion, die dazu dient, den "schwarzen Mann" zu erniedrigen und zu zerstören. Unterstrichen wurden diese Affekte durch religiöse, genauer evangelikale Indokrination. Eine Glaubensrichtung, die traditionell und in jüngster Zeit geradezu fanatisch gegen Homosexualität agitiert.
Für junge Männer mit türkischen oder arabischen Wurzeln ist diese Haltung sowohl als Protaginisten sowie als Konsumenten zum Teil anschlussfähig, denn auch in ihren Herkunftsländern ist das moderne, westliche Konzept von Homosexualität nicht konsensfähig. Die Türkei zum Beispiel musste ihre Gesetzgegbung gegen Homosexualität liberalisieren, um in der EU aufgenommen zu werden. Was jedoch nicht bedeutet, dass diese Liberalisierung von allen Teilen der türkischen Gesellschaft nachvollzogen worden wäre, insbesondere nicht von der ländlichen Bevölkung, aus der sich der größte Teil der türkischen Migranten in Deutschland rekrutiert. In den meisten muslimisch geprägten Ländern ist Homosexualität weiterhin strafbar, bis hin zur Todestrafe. Je rigider die Auffassungen von den traditionellen Geschlechterrollen, desto weniger Freiheit und Lebenschancen für Homosexuelle. Ein Umstand, der alle jungen, pubertierenden Männer stark unter Druck setzt, gleich ob sie in der Stuttgarter Vorstadt oder in Berlin-Neukölln aufwachsen. Und bei der sie intelligente, also säkulare Unterstützung bräuchten.
Vor nicht allzu langer Zeit gabe es die im deutschen Hip-Hop und Rap: Die "Fantastischen Vier", der "Freundeskreis" oder "Fettes Brot" hatten mehrheitlich eine moderne Auffassung von hegemonialer Männlichkeit, nämlich eine gebrochene, ironische. Dann kamen "Aggro Berlin" & Co und mit ihnen der rauhe, gemeine Ton der sogenannten "Unterschicht" - man orientierte sich 1:1 am US-Vorbild: Arsch ficken, Hure, Schwuchtel - es ist, als ob sich eine Tourette-Selbsthilfegruppe ins Tonstudio begeben hätte. Und auch Mittelschichtskinder, die von ihren Eltern mit dem Geigenkasten bei Wind und Wetter zur Weiterbildung geschickt werden, finden so etwas faszinierend.
Tees Ullmann, Sänger der Hamburger Indie-Band Tomte kann sich noch gut an die Zeit erinnern, als die Stimmung kippte: "Sammy de Luxe und Ferris MC fingen irgendwann damit an: Dies ist schwul, das ist schwul. Plötzlich wurden in der Hamburger Szene Dinge, die vorher politisch korrekt eingehalten wurden, aufgebrochen." Vorher war "voll schwul" als Beschimpfungsformel nur in bildungsfernen Schichten gängig, "jetzt ist es Mainstream," sagt Ullmann. Auch wenn "voll schwul" in akademisierten Kreisen mit gedachten Anführungsstrichen benutzt wird. Ist ja nicht so gemeint und eigentlich nur Posertum: man wanzt sich habituell an die Umgangsformen der niederen Stände heran, um Authentizität vorzutäuschen. Diese "kulturelle Praxis" hat allerdings eine ganz unironische, gravierende Folge: Für junge Schwule ist es heute wieder schwieriger geworden, ein angstfreies Coming Out zu haben, als vor zehn Jahren.
Tragischerweise ist dieser Umstand auch der zunehmenden Emanzipation der Homosexuellen geschuldet, denn durch diesen Prozess sind sie sichtbarer geworden: Jeder weiß heute dank Funk und Fernsehen, was ein Schwuler ist und glaubt auch zu wissen, wie sie aussehen und wie sie sich benehmen. Und aller (noch jungen) europäischen Toleranz gegenüber sexuellen Minderheiten zum Tortz scheint die traditionelle Homophobie weiterhin ein integraler Bestandteil männlicher Adoleszenz zu sein. "Schwul", bzw. "schwule Sau" ist auf Deutschlands Schulhöfen laut GEW Schimpfwort Nummer Eins. Ein T-Shirt kann "schwul" sein, eine Klassenarbeit oder ein Radiergummi. Und natürlich weiterhin Männer, die nicht den derzeit geltenden Auffassungen hegemonialer Männlichkeit entsprechen. Schwul sein ist für junge Menschen, insbesondere junge Männer, immer noch oder schon wieder, das Allerletzte.
Die Ergebnisse einer jüngst veröffentlichten Umfrage von Maneo, an der sich bundesweit über 24.000 Menschen beteiligt haben, sind verstörend: Mehr als jeder Dritte (35 Prozent) gab an, in den letzten zwölf Monaten Gewalterfahrungen gemacht zu haben, in der Gruppe der unter-18-jährigen bekundeten sogar nahezu zwei Drittel (63 Prozent) in diesem Zeitraum Gewalt ausgesetzt gewesen zu sein: Sie wurden beschimpft, verhöhnt, bespuckt und körperlich attackiert. Gewalt im Verständnis von Maneo meint überwiegend verbale Gewalt: Du schwule Sau.
Die ZDF-Reportage "SOS Schule" hat das diebezügliche Szenario gut dokumentiert: An einer Gesamtschule in Berlin versuchen Lehrkräfte mit zu Hilfe gerufenen professionellen Psychologen wieder Herr der längst außer Kontrolle geratenen Lage im Klassenzimmer zu werden. Mitten darin der schwule Bernd, der "den Fehler " begangen hat, sich vor der Klasse zu outen. Am Ende muss er die Schule verlassen. Fazit des Pädagogen: "Bernd, das hast du selbst verschuldet". Seine Lieblingslehrerin sagt unter Tränen: "Pass Dich in Zukunft mehr an, dann mögen Dich die Menschen auch". Eine Kapitulationserklärung. Ulf Höpfner ist Mitglied der GEW-Gruppe "AG Homosexueller Lehrer" und unterrichtet Mathe und Physik an einem Gymasium in Berlin-Wedding. Er bestätigt, was die ZDF-Kameras festgehalten haben: "Die meisten Lehrer sind in einer solchen Situation überfordert, aus Unwissenheit und Überforderung versuchen sie das Thema Sexualität ganz auszuklammern". Trotz politischer Widerstände gibt es mittlerweile jede Menge Informationsmaterial zum Thema Homosexualität. Es kommt nur meistens nicht zur Anwendung. Ausschließlich in Berlin-Brandenburg ist die Berücksichtigung gleichgeschlechtlicher Lebensweisen in die Rahmenlehrpläne integriert, allerdings nur fakultativ. Schwule bleiben auf sich allein gestellt.
Viele entscheiden sich weiterhin dafür, zumindest während der Schulzeit "under cover" zu bleiben. Viele möchten oder können sich nicht mehr als "schwul" begreifen. Sie bezeichnen sich lieber als "bi" oder "queer". Vielleicht sind sie damit ihrer Zeit voraus. Vielleicht wollen sie sich auch nur vor ihr schützen. Die Suizidrate unter homosexuellen Jugendlichen ist jedenfalls noch immer sieben mal höher als unter Heterosexuellen. Daran hat sich nichts geändert. Was soll man ihnen raten? Dass sie sich bewaffnen sollen? Vielleicht. Bushido geht lieber zum Anwalt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid