Debatte: Rapper haften für ihre Texte
Sexistischer und Gewalt verherrlichender Hiphop kann Jugendliche in ihrer Entwicklung stören. Deshalb gehört er auf den Index gesetzt.
Warum wollen Sie eigentlich Hiphop-Musik verbieten?". Fast immer, wenn ich mit Schulklassen diskutiere, wartet diese Frage auf mich. Ich kann es den Schülerinnen und Schülern kaum verübeln: Da ich die Medien, die sich die Mühe gemacht haben, meinen tatsächlichen Standpunkt zu schildern, leider an einer Hand abzählen kann, ergreife ich gern die Chance, meine Position in Diskussionen oder Antwortmails zu erläutern. Ich erkläre dann, dass ich nichts gegen Hiphop-Musik habe und mir nicht in den Sinn käme, diese zu verbieten. Im Gegenteil: Ich freue mich über den Erfolg des Hiphop in Deutschland und persönlich ganz besonders über Bands wie die Fantastischen Vier, Fettes Brot oder Absolute Beginner.
Monika Griefahn ist SPD-Abgeordnete im Bundestag und Sprecherin für Kultur und Medien ihrer Fraktion. Ihr Beitrag bildet den Auftakt einer Debatten-Reihe zum Umgang mit Sexismus, Rassismus und Homophobie in der Popkultur
Ich habe allerdings etwas dagegen, wenn pornografische, Gewalt verherrlichende, frauenfeindliche und rassistische Texte erstens unwidersprochen hingenommen und zweitens Kindern und Jugendlichen ständig zugemutet werden. Bei Letzterem erfahre ich selbst von Fans Zustimmung. "Dass es für kleine Kinder nicht wirklich geeignet ist, die Videos und Raps im TV zu sehen bzw. zu hören, verstehe ich ja! Aber die Verbote sollten sich im Rahmen halten", schreibt mir etwa ein weiblicher Hiphop-Fan namens Ronja. Weiter schreibt sie, dass sie und ihre Freunde zwar mit so etwas umgehen könnten, aber sie auch glaube, dass nicht jeder diese Voraussetzungen mitbrächte.
Wissenschaftliche Untersuchungen wie die von Olaf Kessler bestätigen diese Aussage. Sie zeigen, dass Kinder und Jugendliche, die nicht in einem sicheren sozialen Umfeld und in einer intakten Familie aufwachsen, ein viel höheres Aggressionspotenzial haben, wenn sie 15-mal am Tag Textzeilen wie "Ich fick dich in die Urinblase" hören. Solche Inhalte gehören eindeutig nicht ins Tagesprogramm von Radio- und Fernsehsendern.
Meine Bitte an die Landesmedienanstalten und Musiksender, ihre Sendelisten noch besser auf solche Inhalte hin zu überprüfen, stieß auf ein erfreulich großes Echo. MTV und Viva kündigten beispielsweise an, ein internes "Jugendschutz-Gremium" bilden zu wollen, das die Videos bewerte. Ich habe nichts dagegen, wenn jugendgefährdende CDs mit einer Altersfreigabe verkauft und solche Videos und Songs erst ab einer Zeit in den Medien gespielt werden, zu der sie keine Kinder und Jugendlichen mehr gefährden können. Damit muss eine demokratische Gesellschaft, in der das Grundgesetz die Meinungs- und die Kunstfreiheit sichert, umgehen können. Doch womit eine demokratische Gesellschaft nicht umgehen kann, das sind die Ignoranz und das Wegschauen bei Sexismus, Schwulenfeindlichkeit, Fremdenfeindlichkeit und Gewaltverherrlichung.
So, wie ich mit meinen Kindern Medieninhalte und den Umgang damit thematisiere und problematisiere, erwarte ich das auch von der Öffentlichkeit - vor allem aber von Fans, Lehrern, Eltern, Künstlern und Plattenlabels. Rechtliche Regelungen können vielleicht eine Richtschnur bieten für das, was in unserer Gesellschaft nicht in die Hände von Kindern und Jugendlichen gehört. Aber sie ersetzen nicht die kontinuierliche Debatte darüber.
In seinem sogenannten "Arschficksong" rappt Sido: "Katrin hat geschrien vor Schmerz, aber mir hat es gefallen", "ihr Arsch hat geblutet, doch ich bin gekommen". In einem Bravo-Gespräch bekannte er, er würde es seinem eigenen Sohn nicht erlauben, diesen Titel zu hören. Gleichzeitig bestreitet er, dass seine Texte Jugendliche in ihrer Entwicklung stören könnten. Sozialpädagogen wie Werner Meyer-Deters sehen das anders. Im Gespräch mit jugendlichen Sexualstraftätern fand er heraus, dass 11- bis 15-Jährigen die Unterscheidung zwischen Song und Realität schwerfalle.
Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Ein 13-jähriges Mädchen erzählte mir, dass sie und ihre Freundinnen in der Schule mit Begriffen wie "Huren", "Schlampen" und "Scheißnutten" angesprochen würden und nicht wüssten, was sie dagegen tun sollten, wenn dies in Hiphop-Texten doch als "cool" gälte. Hier beginnt der Einfluss von sexistischen und frauenfeindlichen Songs zu wirken. Er kann, wie in Hamburg, in tatsächlicher Gewalt enden, wo zwei 15-Jährige ein 12 und ein 13 Jahre altes Mädchen vergewaltigten. Experten stellten hier ebenfalls einen Zusammenhang zwischen Gewalt verherrlichender Musik und sexueller Verrohung her.
Wenn ein Rapper wie Bushido sogar bei Johannes B. Kerner seine fragwürdige Unterscheidung zwischen "verachtenswerten Schlampen" und "seiner eigenen Freundin" unwidersprochen vertreten darf, ist zu bezweifeln, dass seine Fans diese scheinheiligen Differenzierungen nachvollziehen können. Und auch wenn Fler sagt, er sei kein Nazi, so kaufen diese doch mit Begeisterung seine Alben.
Ich würde mir wünschen, dass sich Künstler und Labels nicht nur gegenüber ihren eigenen Kindern, sondern auch gegenüber ihren Fans verantwortlich fühlen. Viele verstecken sich gerne hinter der Behauptung, dass Gewalt verherrlichende, pornografische oder rechtsradikale Songtexte nur ihren Alltag spiegeln würden. Doch, wie es ein Hiphop-Fan namens David in einer E-Mail ausdrückt: "Das Ghetto ist doch nur in den Köpfen der Leute." Der Rekurs auf Verhältnisse wie in amerikanischen Großstädten dient lediglich als Rechtfertigung für einen geborgten Ghetto-Slang. Und Begriffe wie "primitive Neger", "schwule Zigeuner", "geldgeile Schlampen" oder "Ostnigger" sind schlicht menschenverachtend, frauenfeindlich und rechtsradikal - egal wer sie äußert und aus welchem Stadtteil er stammt.
Die Schutzbehauptungen der Künstler werden ohnehin in dem Moment zweifelhaft, in dem die Provokation nur noch der besseren Vermarktung der Alben dient. An dieser Stelle müssen noch mehr Menschen aufstehen und "Nein" sagen. Seit ich das getan habe, muss ich damit leben, dass mich manche Hiphopper in ihren Kanon von Feindbildern integriert haben. Beruhigend daran ist wohl nur, dass wir in einem Land zu leben scheinen, in dem das Zusammenleben so verhältnismäßig sicher und harmonisch abläuft, dass Politikerinnen, die nur ihre Meinung äußern, aus Not an realen Feinden zu solchen stilisiert werden.
Die Debatte über Sexismus und Rassismus in der Rap-Kultur, die nun endlich in Gang gekommen ist, finde ich erfreulich - ebenso wie die zunehmende Sensibilität, nicht zuletzt in der Szene selbst. So haben sich nicht nur vereinzelte Rapperinnen bereits gegen die Frauenfeindlichkeit im Hiphop gewandt. Auch die Initiative "Brothers Keepers", mit der unter anderem Künstler wie Smudo, Xavier Naidoo oder Afrob ein Zeichen gegen Rassismus im Hiphop gesetzt haben, meldete sich erst kürzlich in dieser Hinsicht zu Wort.
Wichtiger als gesetzliche Verbote ist in einer Demokratie die gesellschaftliche Diskussion über Werte und Normen. Und die liegt auch im Interesse der Hiphop-Szene, die nicht wegen der Eskapaden einiger Publizitätsbesessener in eine Schublade gesteckt werden will.
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