Ramsauer über Verkehr der Zukunft: "Am Ende gibt es Grenzen"
Wenn die Münchener Autobahn acht Spuren hat und der Frankfurter Flughafen vier Landebahnen, ist ein weiterer Ausbau unmöglich. Dann wird die Fortbewegung teurer, sagt Bundesminister Peter Ramsauer.
taz: Herr Ramsauer, als Verkehrs- und Bauminister sind Sie für rund 70 Prozent des deutschen Energieverbrauchs verantwortlich. Können Sie angesichts der Prognosen zur Erderwärmung noch ruhig schlafen?
Peter Ramsauer: Auf dem letzten Klimagipfel in Kopenhagen wurde zwar weniger erreicht, als ich erhofft hatte. Aber die Zielsetzungen fließen in die Arbeit meines Ministeriums ein. Ich habe zum Beispiel schon immer dafür geworben, den Anteil fossiler und nuklearer Energieträger zu verringern. Allerdings halte ich eine Reduktion auf null nicht für realistisch - anders als Hermann Scheer, mit dem ich im Übrigen seit vielen Jahren befreundet bin.
Dann sind also Sie der Klimaminister?
Diesen Titel würde ich Norbert Röttgen niemals streitig machen. Wir sind jedoch darin einer Meinung, dass mein Haus in Klimafragen ein großes Wort mitreden muss. Ich habe für dieses Thema deshalb eine eigene Unterabteilung gegründet. Klima und Umwelt sind wichtige Bereiche, für die ich meine Mitarbeiter begeistern will.
Ihre Vorgänger von der SPD haben sich für das Thema zu wenig interessiert?
Peter Ramsauer, 56, ist seit viereinhalb Monaten Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Der Politiker leitete zuvor die CSU-Landesgruppe im Bundestag und kandidierte bei der letzten Bundestagswahl, nach Querelen mit Parteichef Horst Seehofer, als Spitzenkandidat seiner Partei. Bislang vertrat er die CSU dienstags bei den Berliner Koalitionsrunden, künftig will Seehofer jedoch selbst anreisen.
Ramsauer absolvierte das Landschulheim Marquartstein, studierte in München Betriebswirtschaft und erlernte nebenher das Müllerhandwerk. Seine ererbte Mühle im oberbayerischen Traunwalchen stellte er 2001 auf Stromerzeugung um. Das Wasserkraftwerk spart nach Ramsauers eigenen Angaben pro Tag einen CO2-Ausstoß von 6 Tonnen ein.
Ich mache meinen Amtsvorgängern keine Vorwürfe. Jedes Thema braucht seine Zeit. Jetzt ist es so weit - und ich packe die Aufgaben beherzt an.
Die Ziele des Koalitionsvertrags sind gleichwohl sehr bescheiden. Zum Autoverkehr heißt es beispielsweise nur, bis 2020 sollen eine Million Elektroautos unterwegs sein. Das wären gerade mal 2 Prozent der Fahrzeugflotte.
Ich habe immer gesagt: Diese Anzahl an Elektroautos ist eigentlich zu wenig.
Wie viele sollten es denn sein?
Es wäre vermessen, jetzt schon eine konkrete Zahl zu nennen. Schließlich geht es nicht nur um einen neuen Motor, sondern um ein völlig neues Fahrzeug - mit anderen Materialien, mit einer anderen Kraftübertragung. Führende Automobilhersteller in Deutschland haben mir zugesichert, dass sie im Jahr 2014 mit kundentauglichen Elektroautos auf den Markt kommen werden. Das halte ich für anspruchsvoll, aber realistisch.
Warum fördern Sie das nicht stärker, zum Beispiel mit einer Prämie für Autokäufer?
Das ist eine typisch deutsche Diskussion. Ich kann doch keine Prämie ausloben für ein Auto, das noch gar nicht auf dem Markt ist. Deshalb fördern wir die Forschung und Entwicklung mit rund 2 Milliarden Euro.
Bei der Abwrackprämie waren Sie schneller.
In der damaligen Not war die Abwrackprämie vertretbar. Aber sie war ordnungspolitisch höchst bedenklich. Deshalb sollte sie für künftige Entscheidungen kein Vorbild sein. Hinzu kommt: Angesichts völlig überforderter Haushalte können wir derzeit keine Milliardenbeträge versprechen.
Sie könnten das Geld etwa beim Straßenbau abknapsen.
Dann würde ich an der falschen Stelle sparen. Die schönsten Elektroautos nützen mir nichts, wenn sie in Schlaglöchern Achsbrüche erleiden.
Wie werden wir uns in zwanzig Jahren fortbewegen? Genügt ein neuer Antrieb, oder müssen wir unser Leben umstellen?
Wir haben in den vergangenen zwanzig Jahren dieselben Verkehrsmittel benutzt wie heute. Sie sind allerdings sicherer und umweltschonender geworden. So wird es auch in den nächsten zwanzig Jahren sein. Am Ende gibt es aber Grenzen. Wenn die Autobahn im Norden von München acht Spuren hat und der Frankfurter Flughafen vier Landebahnen, dann ist das Ende der Durchsage erreicht. Mehr Kapazitäten sind nicht mehr möglich.
Und dann?
Dann wird das der Markt regeln. Zum Beispiel wird sich der Transport von Mineralwasser aus dem Chiemgau nach Japan einfach nicht mehr rechnen. Aber damit wir uns richtig verstehen: Wir reden hier über eine ferne Zukunft.
Wird ein Politikerleben, wie Sie es führen, dann noch möglich sein - werktags in Berlin arbeiten, am Wochenende in den Chiemgau fliegen?
Auf die Fliegerei würde ich gern verzichten, wenn mich ein anderes Verkehrsmittel in der gleichen Zeit nach Traunstein brächte. Frau Künast von den Grünen wirft mir immer vor, ich würde mich über die Bahn besoffen reden. Ja und? Auch die Grünen werden mich nicht davon abhalten, die Attraktivität der Schiene zu erhöhen. Auch nicht mit politischen Protesten gegen Großprojekte wie die Y-Trasse nach Hamburg und Bremen. Dieses Vorhaben ist für die Anbindung des Seeverkehrs von enormer Bedeutung.
Wollen Sie Gesetze ändern und Beteiligungsrechte einschränken, um den Bahnausbau zu beschleunigen?
Das haben wir bereits getan. Anders als beim Aufbau Ost funktioniert es im Westen aber nicht optimal. Da hilft nur eines: Wir müssen die Betroffenen zu Beteiligten machen - die Grundeigentümer, die Bürgermeister, die Anwohner. Auch den Umweltstandards kann ich mich nicht verschließen.
Da geraten Klimaschutz und Naturschutz in Konflikt?
Das sehe ich nicht. Es gibt einfach berechtigte Anliegen, die wir bei der Planung berücksichtigen müssen - auch wenn es Zeit erfordert.
Demnächst beginnen die Verhandlungen über den Sparhaushalt 2011. Welche Schienenprojekte werden Sie sich dann noch leisten können?
Als Chef der CSU-Landesgruppe habe ich die Schuldenbremse mitbeschlossen, da kann ich vor den Haushaltszwängen nicht einfach die Augen verschließen. Trotzdem: Wenn ich alle Projekte realisieren soll, die das Parlament von mir verlangt, müsste es mir auch das nötige Geld bewilligen. Das würde für die Schiene neue Spielräume bringen.
Und wenn das nicht klappt?
Langfristig werden wir auch auf private Mittel zurückgreifen müssen. Beim Autobahnbau tun wir das bereits vereinzelt - mit öffentlich-privaten Partnerschaften. Auch die Trassenentgelte könnten in die Schiene reinvestiert werden.
Oder kommt am Ende doch der Börsengang?
Die Privatisierung bleibt auf der Tagesordnung, nur müssen die äußeren Umstände stimmen. Bei den heutigen Börsenkursen würden wir volkswirtschaftliches Vermögen verschleudern.
Aber die Börsenorientierung hat die Bahn doch in das aktuelle Desaster geführt.
Die Bahn muss wirtschaftlich geführt werden. Zugleich hat sie sich an den Kunden auszurichten. Meine Stichworte lauten: Pünktlichkeit, Schnelligkeit, Sicherheit, Sauberkeit und Zuverlässigkeit. Diese Aspekte sind in den vergangenen Jahren vernachlässigt worden. In der Wirtschaftswissenschaft gibt es dafür den Begriff der Grenzmoral: Man fährt das Angebot so weit herunter, dass man gerade eben keine Sanktionen befürchten muss.
Für eine Privatisierung ist der Wettbewerb noch nicht weit genug gediehen?
Privatisierung ist das eine, Wettbewerb ist das andere. Wenn die Bahn nicht ein Quasimonopolist wäre, dann hätte der Wettbewerb bereits mehr Kundenorientierung erzwungen.
Welche Rolle spielt dabei die Industrie, die unsolide Züge liefert?
Wenn die Bahn Kosten sparen will und in ihrer Ausschreibung keine dauerfesten Züge verlangt, dann bekommt sie eben nur zeitfeste Züge geliefert.
Dann ist also die Bahn schuld, nicht die Industrie?
Das kann man so nicht sagen. Die Industrie hat der Bahn zum Beispiel zweistellige Millionenbeträge zugesagt - aus Kulanzgründen. Insofern ist die Wahrheit weder schwarz noch weiß. Die Bahn ist jedoch anderen Unternehmenszielen gefolgt. Aus meinem Studium der Betriebswirtschaft kenne ich dieses Denken. Das Thema "kurzfristige Erfolgsrechnung" hatte ich an der Münchener Universität gelehrt bekommen.
Die rot-grüne Bundesregierung war also zu sehr der neoliberalen Ideologie verfallen?
Da will ich keine einseitigen Vorwürfe erheben. Die Bahnreform wurde 1994 in der Hoffnung auf einen pluralistischen Wettbewerb beschlossen. Es hat sich seitdem sehr viel Positives getan. Das darf man bei allem Ärger nicht vergessen. Die Staatsbahn alter Prägung wünsche ich mir jedenfalls nicht zurück.
Der Berliner Senat erwägt nach dem Desaster bei der S-Bahn, das Unternehmen selbst zu kaufen. Sind Sie als Eigentümer dazu bereit?
Die Berliner S-Bahn wird nicht verkauft. Da bin ich mit Bahnchef Grube einer Meinung. Es gibt keinen politischen oder unternehmerischen Grund dafür, dass sich die Deutsche Bahn von ihrer Tochter trennen sollte. Jenseits der aktuellen Probleme hat das Unternehmen durchaus einen substanziellen Wert. Und der ist bei der Bahn in guten Händen.
Das alles klingt nach dem kuscheligen Mittekurs der Kanzlerin, nicht mehr nach der alten, rauflustigen CSU.
Was ich in meinem Ressort mache, ist eine ausgezeichnete Ausformung von CSU-Politik. Man muss nicht Konflikte heraufbeschwören nur um des Raufens willen, wie es beispielsweise Don Quichotte in der kastilischen Pampa getan hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen