: Ragga-Dienstleister
■ Beenie Man zur Hanfparade: Zwischen Kommerz und Experimentierfreudigkeit
Man kann ihn kaum fassen: Wie viele jamaikanische Dancehallstars bekennt sich Beenie Man zur Religion des Rastafarianismus und doch ist er kein Fundamentalist. Zugleich gehört er zu den Großverdienern unter Jamaikas Musikern, dessen größter Hit bezeichnenderweise von verlorenen BMW-Schlüsseln handelte, doch zielen seine Stücke nicht auf weichgespülte Cabriotauglichkeit. Und obwohl Beenie Man ein äußerst leidenschaftlicher Sänger ist, ist er zugleich das Gegenteil einer exzentrischen Diva, eher sieht er sich nüchtern als Dienstleister. Auch seine aktuelle Platte Art & Life sucht nach einem eigenen Kurs, um den Sprung von Jamaika zu den devisenstarken Märkten in Europa und Amerika halbwegs integer zu überstehen.
Interessant ist in diesem Zusammenhang der Zeitpunkt der Veröffentlichung: Als gälte es ein Rennen zwischen den ganz Großen der jamaikanischen Musik auszufechten, steht die Platte im Neuheitenfach neben Buju Bantons aktueller Platte Unchained Spirit und Capletons More Fire.
Während sich Buju Banton dem Gefühl religiöser Innerlichkeit folgend schon mal ins sentimentale Flachwasser verirrt, wirft Capleton einen exzellenten, aber auch kompromisslosen Hardcore-Ragga auf den Markt. Art & Life verfügt derweil über massenwirksame Anklänge eines Buju Banton und bedient sich doch auf eine sehr souveräne, ja experimentierfreudige Weise der Stile Jamaikas und rückt das Werk so in die Nähe der Capleton-Ästhetik.
Da er mit diesem Kurs zu neuen Ufern vordringt, ohne alte Ideale über Bord zu werfen, muss sein Werk als gelungen gelten. So sticht ein Stück wie „Original Tune“ mit seinen kargen und doch spannungvollen Rhythmen und Samples hervor. Beenies Gesangstechnik experimentiert derweil mit Binnenreimen und bewegt sich im unbetretenen Niemandsland zwischen Gesang und traditionellem Toasting. Während dann das Titelstück „Art & Life“ an afrikanische Gesangsstile erinnert, ist mit der Calypsonummer „Tumble“ der jamaikanische Formenkanon zwischenzeitlich endgültig verlassen. „Love Me Now“ reicht dem HipHop des Fugees-Sängers Wyclef Jean die Hand. Über den alten Naughty By Nature Hit „O.P.D“ gesungen, endet das Stück ausgerechnet in der sentimentalen Bürgerrechtshymne „We Shall Overcome“. Das mag den Charakter des Brückenschlages unterstreichen, erinnert hierzulande aber doch zu sehr an den Gefühlshaushalt vergangener Alternativkulturen, als dass man hier aus vollem Halse mitsingen wollte.
Vor rund zehn Jahren begann sich in Deutschland ein Untergrundnetz kleiner Plattenläden und Vertriebe aufzubauen, das seit ungefähr drei Jahren ein verstärktes Interesse neuer Fans registriert: Eine bessere Einstiegsdroge als Art & Life können sich die neuen Hörer kaum wünschen.
Nils Michaelis
Freitag, 21 Uhr, Große Freiheit
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