piwik no script img

Räumungsklage gegen WGsImmobilienhai schnappt Fabriketage

In einem Hinterhof in Hamburg-Ottensen haben zwei WGs aus alternativen Urzeiten überlebt. Der neue Eigentümer will damit Schluss machen.

WG Wilde 13 in der Fabriketage: An der Decke hängt noch der Antrieb für die Maschinen Foto: Miguel Ferraz

Hamburg taz | Am Nachmittag des Tages, an dem die Drohne kam, ist die WG in der Großen Brunnenstraße in heller Aufregung. Sie sitzen um den großen Tisch in der Wohnküche und reden durcheinander: Um 10.15 Uhr hätten sie die Drohnengeräusche gehört, doch vorher habe es im dritten Stock, bei der oberen WG, geklingelt. „Nein, das war danach!“

Jedenfalls stand da ein junger Mann im Anzug, begleitet von zwei weiteren, und sagte, er komme vom Besitzer und müsse aufs Flachdach, um Aufnahmen zu machen. „Was für ein Flachdach, wir haben doch gar keins!“ – „Na oben, das ist doch ein Flachdach.“

Die WG im dritten Stock verweigerte den Einlass, aber die Drohne war ja schon unterwegs. Eine Bewohnerin der WG im zweiten Stock sagt, sie sei gerade im Badezimmer gewesen und habe sich vor der Drohne versteckt. Als sie aus dem Fenster sah, seien die Männer in Anzügen noch unten im Hof gewesen. Die Drohne sei dann immer auf gleicher Höhe geflogen, einmal auch übers Dach. In der WG im dritten Stock will man sie aber auch vor den Fenstern gesehen haben.

Als die von den WGs herbeigerufene Polizei nach der Genehmigung für die Aufnahmen fragte, hatten die Abgesandten des Besitzers keine vorzuweisen, der Fotograf war inzwischen verschwunden. Im Hof hatten sich immer mehr Be­woh­ne­r*in­nen und Nachbarn versammelt. Die Stimmung war gereizt. Es fiel der Satz, von den jungen Männern im Anzug in Richtung WGs: „Wenn man keine Arbeit hat und sonst nichts zu tun, dann hat man ja Zeit für so was.“

Im Reich der Wilden 13

Die beiden WGs in der Großen Brunnenstraße 63a gehören zu den Restbeständen der alternativen Kultur, die in dem schwer unter Gentrifizerungsdruck stehenden Hamburger Stadtteil Ottensen noch übrig sind. Die Altbauten zur Straße hin mussten schon vor Jahren einem Neubau weichen, aber es gibt noch einen Durchgang zum Hinterhof, in dem alte Fabrikgebäude stehen.

In einem Nebengebäude rechts ist das Frauenmusikzentrum untergebracht, 2013 von der Lawaetz-Stiftung vor dem Rauswurf gerettet. Ein dreigeschossiges Backsteingebäude links steht leer. Im Hauptgebäude mit der Nummer 63a residieren Produktionsfirmen und Event-Agenturen, seitdem dem alten Mieter, einem Fotoatelier, gekündigt wurde.

Zu den beiden WGs im zweiten und dritten Stock geht es durch ein hallendes Treppenhaus, vorbei an einem Plakat zur Rettung der Elbe, bis zu einer Feuerschutztür, hinter der sich das Reich der „Wilden 13“ auftut – so der Name der WG, die den zweiten Stock bewohnt. Neben der Tür steht ein meterhohes Regal mit Schuhen, es stehen Sofas im Raum, in den Fluren parken Fahrräder.

Seit Ende der 80er-Jahre wohnt, in wechselnder Besetzung, die WG in diesen Räumen, doch wie lange sie noch da sein wird, ist ungewiss, denn das Verhältnis zum Besitzer ist nicht erst seit dem Drohnenvorfall getrübt.

2018 versucht der Vorbesitzer zum ersten Mal zu verkaufen, doch die Stadt intervenierte

Seit 27. Juni haben sie die Kündigung, nach einem nicht rechtskräftigen ersten Versuch im Dezember. Eine Räumungsklage läuft. Der Vorwurf: Vertragsbruch. Der Mietvertrag von 1984 schreibe für die Fabriketage eine „Mischnutzung“ aus Wohnen und Gewerbe vor, das Gewerbe sei bei der Wilden 13 aber nicht zu finden, so die Anwältin des Vermieters.

Tatsächlich habe es ganz am Anfang die Idee einer Mischnutzung gegeben, bestätigen die Be­woh­ne­r*in­nen der Wilden 13. Seit den 90er-Jahren sei aber klar gewesen, dass auf ihrer Etage ausschließlich gewohnt werde. Auch der langjährige Vorbesitzer habe das gewusst.

Auch die WG im dritten Stock, in der vor allem Kreative und Künst­le­r*in­nen leben und die sich ironisch „F91“ nennt (F90 ist eine Feuerschutzverordnung, und sie setzen da noch eins drauf), hat eine Räumungsklage erhalten. Dort zielt der Vorwurf in eine ähnliche Richtung: Es gebe keine Ateliers, die seien im Mietvertrag aber vorgeschrieben. Das erste allerdings, was man sieht, wenn man im dritten Stock eintritt, sind die großen Werkstätten direkt hinter dem Eingangsbereich.

Etwas über sechs Euro bezahlen die WGs für den Quadratmeter: In Ottensen, das bei Neuvermietungen mittlerweile zu den teuersten Stadtteilen in Hamburg gehört, ist das aus Vermietersicht lächerlich, auch wenn im Mietvertrag steht, dass die Be­woh­ne­r*in­nen sich selbst um Dinge wie Heizung oder Fenster kümmern müssen.

Vorkaufsrecht gekippt

2018 versuchte der Vorbesitzer zum ersten Mal, das Fabrikgebäude Große Brunnenstraße 63a zu verkaufen, doch die Stadt intervenierte und drohte, von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch zu machen, sollte es keine bindenden Vereinbarungen über das Weiterbestehen der Mietverträge der beiden WGs geben.

Raum für Kreativität: Bühne und Werkstatt der WG F91 Foto: Miguel Ferraz

Erst 2021, der Bundesgerichtshof hatte gerade das städtische Verkaufsrecht gekippt, kam es zum Verkauf an den jetzigen Eigentümer, die in Hamburg ansässige Unternehmensgruppe Lapis Real Estate. Auf ihrer Homepage bezeichnet sie sich als „inhabergeführte Norddeutsche Investment- und Management-Boutique“.

Da Lagen wie Hamburg oder Sylt weitgehend erschlossen seien und kaum Neubaupotenziale böten, ermöglichten „die gezielte Investition in Bestandsobjekte und deren energetische Sanierung eine größtmögliche Sicherheit für Werterhalt und Steigerungspotenziale“, so heißt es auf der Homepage unter dem Stichpunkt „Mission“.

Offenbar stören die WGs in der Großen Brunnenstraße 63a bei diesem Vorhaben – so wie auch die Mie­te­r*in­nen des leer stehenden Backsteingebäudes im selben Innenhof auf der anderen Seite gestört haben, wo sich ebenfalls zwei WGs befanden.

Bereits 2015 ist das Haus Große Brunnenstraße 61a vom Vorbesitzer an die Hamburg Berlin Grundbesitz GmbH verkauft worden. Einer der geschäftsführenden Gesellschafter von Lapis Real Estate taucht dort zeitweise als Prokurist auf, wie ein Blick ins Handelsregister zeigt. „Ich bin der neue Besitzer und will sie alle raus haben“, so habe sich der neue Eigentümer vorgestellt, erzählt einer, der damals dort gewohnt hat.

So leicht seien sie damals allerdings nicht rauszukriegen gewesen. Der alte Mietvertrag, der auch Mischnutzungen von Ateliers und Wohnungen vorsah, sei ausgelaufen und noch unter dem Vorbesitzer in einen reinen Wohnmietvertrag umgewandelt worden.

50.000 Euro für den Auszug

Trotzdem hätten sie nach Jahren des Kampfes mit immer wieder neuen Anwaltsschreiben im Briefkasten irgendwann genug gehabt, sagt der ehemalige Bewohner. Sie nahmen die Abfindung, die ihnen geboten wurde: 50.000 Euro pro Person bei Auszug. In den beiden WGs hatten elf Leute gelebt. 2019 zogen die letzten aus.

Seitdem steht das Gebäude leer. Eine Anzeige, die es als „Fabrik-Gebäude-Unikat mit großzügigen Loftflächen und beeindruckenden Deckenhöhen in beliebtester Szenelage“ für 6.135.000 Euro anpreist, ist als „inaktiv“ markiert. Auf einer Immobilienseite wird das Erdgeschoss des Gebäudes mit seinem 287 Quadratmetern für 2.800 Euro kalt angeboten, was nicht viel ist für Ottenser Verhältnisse. Aber noch sind keine Mieter gesehen worden.

Dem Bauausschuss des Bezirks Altona liegt ein Umnutzungsantrag des Eigentümers vor. Denn obwohl der Mietvertrag der ausgezogenen Be­woh­ne­r*in­nen am Ende ein Wohnmietvertrag war, ist die Fläche immer noch als Gewerbefläche ausgewiesen, was der Eigentümer ändern möchte: Dort, wo die beiden WGs waren, sollen vier „Wohneinheiten“ samt einer „Terrassen- und Balkonanlage“ entstehen. Das Treppenhaus soll umgebaut und in die Mitte verlegt werden.

Die Pläne kursieren schon eine Weile. Der ehemalige Bewohner der WG hatte bereits 2016 ein entsprechendes computergeneriertes Foto auf der Homepage einer Designfirma entdeckt, die mit der Hamburg Berlin Grundbesitz zusammenarbeitete. Der Trick sei, so zu tun, als ob man die Gewerbeflächen nicht vermietet bekommt, und dann eine Umnutzung zu beantragen, heißt es aus der Lokalpolitik von jemandem, der mit dem Vorgang vertraut ist.

Zur Zukunft der Brunnenstraße 63a schreibt die Lapis Real Estate, in seinem jetzigen Zustand habe das Fabrikgebäude keine Zukunft. Ziel sei es, „sukzessive für eine bestmögliche Energieeffizienz mit zukunftsfähiger Gebäudestruktur zu sorgen“. Man wolle die Stadt Hamburg bei der Erreichung ihrer Klimaziele unterstützen. Die künftige Nutzung stehe noch nicht fest, aber man sei offen.

Zunächst aber treffen sich die Wilde 13 und die Lapis Real Estate, vertreten durch ihre Anwält*innen, am kommenden Dienstag vor dem Amtsgericht Altona. Denn, so viel ist klar: Freiwillig räumen wird die WG ihre Fabriketage nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!