Räume für Flüchtlinge: Kiel beschlagnahmt, Lübeck besetzt
Während Kiel ein leeres Kaufhaus beschlagnahmt, nehmen Lübecker Flüchtlingsunterstützer Gebäude des Gartenamtes symbolisch in Betrieb.
Die Transitflüchtlinge auf dem Weg nach Schweden, die täglich zu Hunderten nach Lübeck strömen, bräuchten die Häuser dringender, meinen die Ehrenamtlichen des Forums, die mit ihrer Aktion am Samstag auf die Notlage hinweisen wollten.
„Wir können Kinder bei diesem Wetter nicht auf der Straße spielen lassen und Familien, die nachts ankommen, brauchen Schlafplätze“, sagt Jana Schneider, eine der Sprecherinnen des Helferkreises. Doch die Stadt erteilte ihrem Vorhaben eine Absage, unternahm aber auch nichts, um die symbolische Übernahme der Häuser zu verhindern. Die Initiative will weiter verhandeln.
Zeitgleich ließ der Oberbürgermeister von Kiel, Ulf Kämpfer, ein leerstehendes ehemaliges Kaufhaus in der Innenstadt beschlagnahmen: Feuerwehrleute stellten im Auftrag der Stadt Betten auf, um Schlafplätze für 300 Flüchtlinge auf der Durchreise zu schaffen.
Lübecks „Alternative Tagungsstätte“, kurz „Alternative“ oder – wegen ihrer Lage auf der Wallhalbinsel – „Walli“, gibt es seit 1978.
Untergebracht ist sie in städtischen Gebäuden, um den Standort gab es immer wieder Streit. Zuetzt im Jahr 2003 forderte die CDU, dass der Trägerverein ein ortsübliches „Nutzungsentgelt“ zu zahlen hat. Es folgten zwei Jahre Kampagne – die Walli blieb.
Seit Anfang September bringt das Lübecker Flüchtlingsforum Menschen auf dem Walli-Gelände unter. Aus Spenden und Eigenmitteln werden Fährtickets nach Schweden bezahlt.
Für die Transitpassagiere ist die Stadt offiziell nicht zuständig, daher besteht keine Verpflichtung, ihnen Obdach, Nahrung oder Schutz zu bieten.
„Wir wollen sicherstellen, dass die Leute keine Nacht draußen campieren müssen“, sagte Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) den Kieler Nachrichten. Sein Lübecker Amtskollege und Parteifreund Bernd Saxe und dessen Senatoren haben solche Bedenken offenbar nicht. Auf die Bitte des Forums, die Häuser auf der Wallhalbinsel freizugeben, erwiderte Bausenator Franz-Peter Boden (SPD), es gebe „keine Ersatzräumlichkeiten“ für den achtköpfigen Arbeitstrupp des Grünflächenamtes.
Schließlich lagere hier Gerät, die Räume würden gebraucht, grummelte ein Mitarbeiter des Amtes, der unter den Zuschauern stand, während Ehrenamtliche des Forums das Gebäude von Weinranken befreiten und einen Riesenteddy in ein Fenster setzten. Die Stadt verweist unter anderem darauf, dass ein Arbeitsraum für den Vorarbeiter, sowie eine zweite Dusche für die Frauen im Bautrupp gebraucht würden.
Tatsächlich gibt es in dem Backsteinhaus, das das Forum gern für die Flüchtlinge nutzen will, zwei Duschen – in Betrieb ist aber sichtlich nur eine. Weil in der anderen Kabine, die nachträglich in die Küche eingebaut wurde, Putzmaterial liegt, hält Forumssprecherin Schneider den Hinweis für „vorgeschoben“.
Sie betont aber, dass das Gebäude keineswegs besetzt oder beschlagnahmt wurde: „Wir wollen nur klar machen, dass es so nicht weitergeht. Unsere anderen Räume platzen aus allen Nähten.“
Das Forum ist an die „Alternative“ angegliedert, deren Grundstück an die Häuser des Grünflächenamtes angrenzt. Dort haben die Ehrenamtlichen Schlafplätze, Essensausgabe und Anlaufstellen für die Flüchtlinge geschaffen, bezahlt aus eigenen Mitteln und Spenden (taz berichtete).
Von der Stadt erhoffen sich die Aktiven nun Entgegenkommen, um zumindest die räumliche Not lindern zu können: „Die Häuser des Grünflächenamtes wären ideal, weil sie beheizbar sind“, sagt Schneider. „Wir sind weiter verhandlungsbereit und hoffen auf eine gute Lösung.“
Hinter den Kulissen finden Gespräche statt, an denen allerdings nur VertreterInnen des Forums und der SPD, Mehrheitspartei in der Stadt, beteiligt sind, kritisiert Antje Jansen, Bürgerschaftsabgeordnete der Linken.
Sie rechnet damit, dass die Stadtverwaltung in den nächsten Tagen einlenkt und das Gebäude freigibt: „Die Flüchtlinge und das Forum erhalten in Lübeck viel Unterstützung.“ Der Bürgermeister könne es sich gar nicht leisten, massiv dagegen vorzugehen, sagt sie.
Bisher aber blieben die Verantwortlichen zögerlich: Wirtschafts- und Sozialsenator Sven Schindler (SPD) war zwar bei der symbolischen Übernahme der Gebäude dabei, wollte sich aber auf Medienanfragen nicht äußern. Nur soviel: Er „glaube und hoffe“, dass eine Lösung gefunden werde.
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