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„Rätseln führt uns zueinander“

Was fasziniert so sehr an Rätseln – vor allem an hochkomplizierten Ratepuzzles mit womöglich monatelangem Suchen nach vergrabenen Schatztruhen? Der Münchener Rätselmacher CUS gilt unbestritten als gemeinster Fragensteller Deutschlands. Ein Interview über seine Lust am Quälen und über die Motivation von akademisch hochqualifizierten Menschen, sich in vertracktesten Ratemarathons verzweifelt grübelnd wochenlang selbst die Zeit zu stehlen  ■ Von Bernd Müllender

taz: CUS steht für die Kunst, Rätsler „in fiebriger Hektik“ zur „Vorstufe des Wahnsinns“ zu treiben, wie einmal die Zürcher „Weltwoche“ schrieb. Wie wird man professioneller Menschenquäler?

CUS: So schlimm bin ich nicht. Angefangen hat es in den Achtzigerjahren ganz simpel mit privaten Rateralleys. Dann hab ich dieses kleine Hobby zum Beruf gemacht. Man muss sich zunächst über Sachen wundern, die anderen nicht auffallen. Bei jedem Film, den ich sehe, gleicht das Hirn immer ab, sucht Kuriositäten und Doppeldeutigkeiten. Und da haben wir schon eine andere Spezialität: Oft gibt es eine offensichtliche Lösung und eine schwere versteckte. Aber vielleicht ist am Ende doch die einfache die richtige? Da muss man eben dran knacken.

Braucht man eine sadistische Ader?

Ach was. Auch wenn das viele annehmen. Nein. Mir macht kein Rätsel Spaß, wo jemand sofort draufkommt. Und auch keines, das zu schwer ist. Und wenn ich vor Jahren mal als scheinbar argloser Mitrater in Bibliotheken unter richtige Rater gemischt habe, dann nicht, um mich an deren Leid zu weiden. Ich wollte halt wissen, wie das klappt. Was ist schwer? Woran haperts? Sicher, das macht auch Spaß, sich als Unwissender zu stellen. Aber nicht aus Sadismus.

Welche Rätselarten bringen denn Zehntausende zur „epidemischen Raserei“, wie die „Süddeutsche“ schrieb?

Intuitionsfragen zum Beispiel, da haben mein Kollege MZ und ich mal ein berühmtes Zimmer in allen Details beschrieben. Alle kannten das, haben aber nie auf Kerzen, Bilder, Kaminuhr und Dekoration geachtet und sich den Kopf zerbrochen: das Wohnzimmer von Miss Sophie aus „Dinner for one“. Oder die Kategorie Denksportaufgaben: „Welches ist der längste Monat des Jahres 1999?“

Die Schaltsekunde? Dezember!

Jaja, da denken die meisten dran – ist aber falsch. Oktober ist richtig. Der hat 31 Tage, und die Uhr wird eine Stunde zurückgestellt. Dann gibt es die komplizierten Rechercheaufgaben und den Typ Rätsel hinter dem Rätsel, das sind die schönsten Fragen. Einfaches Beispiel: „Rainer Frust wurde am 29. 2. 1956 geboren. Wann wurde er volljährig?“ – Da denkt man erst mal ...

Wie geht das juristisch sauber mit dem Schaltjahr?

Richtig. Also Anwälte fragen. Da gibt es kluge Antworten: „Mit Ablauf des Lebensjahres“ wäre entscheidend, also 28. Februar, 24 Uhr. Ist aber falsch. Denn am 1. 1. 1975 wurde das Volljährigkeitsalter von 21 auf 18 gesenkt. In einem Gesamträtsel müssen dann alle Antworten so kombiniert werden, dass die Einzellösungen wie ein Uhrwerk zusammenpassen; so dass ein winziger Fehler unweigerlich zum falschen Endergebnis führt. Das ist dann tückisch.

Und so schön gemein. Wie sähe denn bei einem Ausbildungsberuf Rätselmacher eine Lehre, ein Curriculum aus?

Mindestens fünfzig Prozent ist Handwerk. Universale Halbbildung ist wichtig. Den Sinn schärfen für das Absurde, die kleinen Seltsamkeiten im Leben. Formulierungskunst auch, und Genauigkeit bei der Recherche. Und man braucht Menschenkenntnis und Feingefühl, wie jemand denkt, wie man ihn auf die falsche Fährte lockt, dass er einen Tipp für eine getarnte Falle hält und umgekehrt.

Was treibt denn so viele Menschen zum Rätsellösen, wo wir doch angeblich alle keine Zeit haben?

Ein Spielpsychologe sagte mal: „Der Drang zur Auflösung von denkerischen Konflikten ist dem Menschen als Überlebensstrategie angeboren.“ Und: In Rätseln gebe es, anders als im richtigen Leben, immer eine richtige Lösung und damit ein Stück Sicherheit. Im richtigen Leben gibt es auch immer eine Lösung, aber eben keine Auflösung, ob das auch die richtige war.

Meinen Sie den rätseltypischen Ahaeffekt: Ja, das ist es!?

Ja, aber dazu kommt noch die Herausforderung: Jeder kann ja mitmachen; ich brauch kein Professor sein, Wissen schadet nicht, aber wacher Sinn und Kreativität sind wichtiger.

Typische Rater sitzen doch einsam und verbissen im Kämmerlein an den bösen Fragen ...

Nein, es sind fast immer hochkommunikative Leute: Sie machen Kontakte im Internet, treffen sich in Gruppen zum Brainstorming in Bibliotheken oder im Biergarten, um sich langsam zur Lösung vorzuarbeiten. Rätseln führt zueinander, und das ist ja genau so von mir angelegt: Dass man Nachbarn fragt, Kollegen, im Bekanntenkreis herumforscht ...

... vielleicht einen alten Schulfreund wieder anruft, den man zehn Jahre nicht gesehen hat ...

... weil der sich doch so gut auskannte mit Physik oder Basketball oder Tiefseeforschung. Gelegentlich trifft es auch Unbeteiligte: Einmal war es die Oma, die zufällig eine gesuchte Person erkannt hat, als das Rätselheft auf dem Küchentisch lag. Dafür hat sie dann im nächsten Jahr Urlaubssperre gekriegt.

Es sollen aber auch schon Ehen in die Brüche gegangen sein!

Ach, ich glaube, da wird gern kokettiert. Ein Schweizer hat mir mal die Kosten für seine Scheidung auferlegen wollen. Aber es gibt ja Gott sei Dank auch Partnerschaften, die überhaupt erst durch das Rätsel entstanden sind.

Und dennoch kann der Preis hoch sein, schon bei einem dreiwöchigen Rätsel: Der Frust über sich selbst, weil man zu blöd ist, Nervereien im Freundeskreis. Leute lassen Klausuren sausen, feiern krank. Eine Illustrierte berichtete sogar, ein Physiker lag Wochen in einer Nervenklinik, weil er sich bis zur Psychose in ein Rätsel verbissen hatte. Tragen Sie denn gar keine Verantwortung?

(Lacht) Ja, man kann es wirklich zu wüst treiben. Als Rater und als Rätselmacher. Da hab ich auch gelernt: Nichts Gigantisches mehr und maximal drei Monate Länge. Sonst bleiben am Ende nur noch ganz wenige übrig. Oder du kriegst wirklich ne Macke.

Für viele Leser werden trotzdem die Rätsler das große Rätsel bleiben. Langenscheidt hatte geworben: „Der Deutsche quält sich eben gern.“ Warum tun Leute sich das an?

Raten macht Spaß. Die richtigen Profis interessiert das gelöste Rätsel gar nicht, nur das schrittweise Lösen selbst. Insofern ist der Weg das Ziel. Mit Verbissenheit, mit Krampf, mit Sucht kommt man nicht weit. Typisch deutsch ist es wohl nicht, die Engländer tun so was noch viel lieber. Da gibt es eine ganz andere Rätselkultur, insofern hätten die einen viel masochistischeren Zug. Der Ehrgeiz reizt sicher, es den anderen zu zeigen. Auch dem Rätselmacher.

Vor allem CUS kleinste Fehler nachweisen! Ein Extrasport für manche ...

Naja, Fehler werden gern behauptet. Meistens von Leuten, die die Frage der Lösung anzupassen versuchen statt umgekehrt. Dann wird rumgebogen und gemacht. Aber natürlich sind schon Fehler passiert ...

Allerdings, beispielsweise damals die uneindeutige Zugroute beim Langenscheidträtsel.

Moment, Moment ...

... das doppelte Postleitzahlenbuch ..., das peinliche Naturschutzgebiet bei „Geo“ ...

(Es entsteht ein längerer Internzwist um Details ...)

Könnten Sie eigentlich Rätsel eigener Art lösen?

Nö, ich bin im Lösen ne Niete, auch wenn ich weiß, wie Rätselmacher denken. Macht mir auch nicht so einen Spaß. In der Zeit könnte ich schon wieder neue Fragen austüfteln.

Warum die Geheimnistuerei um den wirklichen Namen? Ist das Image oder Vorsicht?

Beides. Als die großen Schatzsuchen liefen, da wollte ich ja nicht, dass morgens um vier einer anruft. Es gab auch schon wüste Drohungen: Wir kennen deine Adresse, morgen kommen wir. Man weiß ja nie, wie ernst man das nehmen muss. Und zu einem Rätsel gehört, dass der Rätselmacher ein Rätsel bleibt. So wie bei Eckstein in der „Zeit“. Oder schon Torquemada zu Zeiten der Inquisition, ein wirklicher Folterknecht.

Aha, das ist also das Vorbild. Hat sich eigentlich das Rätselmachen in Zeiten der Online-Recherche und der Internet-Foren sehr verändert?

Allerdings. Internet kills Rätselmachen, könnte man sagen. Das Fragenbasteln wird sehr viel schwerer, vor allem durch die Suchmaschinen. Früher konnte man mal ein schönes saftiges Zitat bringen. Heute geht das selbst bei Literatur kaum noch. Auch für die Rater macht ja keinen Spaß, wenn man mit einem cleveren Klick zu einer Frage alles findet. Ich muss jetzt alle Fragen darauf abklopfen, ob sie einigermaßen internetsicher sind, das heißt nicht per Knopfdruck recherchierbar. Dass die Leute im Netz kommunizieren, ist schön.

Es gibt auch unfreiwillige Opfer: diejenigen, die von hunderten Leuten hilfesuchend angegangen werden – seien es Verlage, Zeitungsarchive oder einmal RTL, als es um den Vornamen von Inspektor Columbo ging. Suchen Sie die manchmal gezielt aus, um sie zu ärgern?

Nein. Mit Absicht war es vielleicht ein- oder zweimal: Die Zeitschrift Werben und Verkaufen“ hatte mal einen sehr schnodderigen Artikel über das Rätselrennen geschrieben, und dann habe ich später in einer Aufgabe das Stichwort W & V“ fallenlassen, dass da viele anriefen. Aber Pressestellen, Bibliothekare und Buchhändler sind Informationbroker – das ist nun wirklich deren Job, Auskunft zu geben.

Oder die arme Nasa, die von hunderten angerufen oder angefaxt wurde, als Neil Armstrongs Schrittezahl auf dem Mond herauszukriegen war.

Genau. Das war richtig gut. Da haben die bei der Nasa eben lernen müssen, etwas nicht zu wissen.

Bernd Müllender, 42, taz-Autor seit 1984 und in Aachen lebend, scheitert chronisch an den Aufgaben, die CUS mit Genuss formuliert

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