Rätselhafte Rinderkrankheit: Blutende "Jesuskälbchen"
Eine tödliche Krankheit, die junge Kälber befällt, versetzt Landwirte in Schrecken. Neun von zehn Tiere sterben daran - über den Krankheitsauslöser ist bislang nichts bekannt.
BERLIN taz Allein in Bayern starben in den letzten Monaten über 90 Kälber an einer rätselhaften Krankheit, dem sogenannten "Blutschwitzen". Die toten Tiere werden in der Klinik für Wiederkäuer in Oberschleißheim und beim Tiergesundheitsdienst (TGD) in Grub, bei München, untersucht.
Bisher wissen die Experten jedoch nicht, was die Krankheit auslöst und wie man sie bekämpft. Sie sprechen von einer krankhaft gesteigerten Blutungsneigung mit dem medizinischen Namen "hämorrhagische Diathese".
Die Symptome sind erschreckend. Urplötzlich sickert Blut aus unverletzter Haut oder Körperöffnungen eines wenige Wochen alten Kälbchens. Auch unter der Haut breiten sich die plötzlichen Blutungen aus. Einige Bauern berichteten, dass es nach dem Einzug der Ohrmarke oder nach einer Injektion gar nicht mehr aufhörte nachzubluten. Viele Bauern nennen die Tiere deswegen "Jesuskälbchen".
Die Kleinen litten unter hohem Fieber, circa 41 Grad Celsius, was laut Experten auf eine Infektion hindeute. Blutiger Kot, Lungenentzündung und Durchfall seien weitere Nebenwirkungen. Von den bekannten Fällen starben 90 Prozent nach zwei bis drei Tagen.
Wieviele Kälber tatsächlich schon gestorben sind, weiß niemand, denn eine bundesweite Erfassung gibt es nicht - obwohl bereits 2007 erste Fälle von Blutschwitzen in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Bayern auftraten.
Die Bauern haben Angst, dass sich die Krankheit ausbreitet. "Es besteht keine Ansteckungsgefahr, weder für Menschen noch für Tiere", beruhigt die Pathologin Eva Kappe vom TGD. Es habe sich stets um Einzelfälle in verschiedenen Ställen gehandelt.
"Wir konnten bei allen Tieren eine Schädigung des Knochenmarks feststellen", erklärt sie Details. Eine auffällig verringerte Zahl weißer Blutplättchen sei verantwortlich für die gestörte Blutgerinnung. Wie es dazu kommt, weiß auch sie nicht.
Professor Wolfgang Klee von der Klinik für Wiederkäuer in Oberschleißheim hält aber eine Vererbung für unwahrscheinlich: "Wir kennen Fälle bei drei verschiedenen Rassen und Kreuzungen." Einige Befunde sprächen jedoch für die Theorie, dass bestimmte Kühe den Auslöser auf ihre Kälber übertragen. Aber auch dafür fehlen eindeutige Beweise.
In Fachmedien äußern der britische Tierarzt Richard Brown und der australische Tierarzt Jim Taylor die Vermutung, es handele sich um eine Farn-Vergiftung. Brown berichtet von 20 Jahre zurückliegenden Fällen im mittelamerikanischen Belize.
Nachdem die Tiere den Farn gefressen hatten, reagierten sie nach seinen Angaben mit den gleichen Symptomen wie die deutschen Kälber, denn das Pflanzengift greife das Knochenmark an. Auch der australische Tierarzt Jim Taylor kennt ähnlich verlaufende Farn-Vergiftungen auf seinem Kontinent.
Dass der hiesige Adlerfarn oder bestimmtes Futter Schuld am Blutschwitzen sind, glauben die deutschen Experten nicht. Die meisten Kälber werden noch mit Milch gefüttert, wenn die Krankheit bei ihnen ausbricht, wie Eva Kappe ausführt.
Professor Wolfgang Klee hat Blutuntersuchungen beim Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit veranlasst. "Wir haben alle Kälber, die bei uns in der Klinik waren und die uns aus Tierarztpraxen zugesandten Blutproben auf zwei verdächtige Viren, das Virus der Bovinen Virusdiarrhoe und das Virus der Blauzungenkrankheit, untersuchen lassen - immer mit negativem Ergebnis", sagt er.
Immerhin verzeichnet er einen kleinen Erfolg: "Zehn Prozent der bei uns eingelieferten Kälber haben nach intensiver Behandlung und Blutübertragungen überlebt."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren