"Radikal Jung"-Festival am Münchner Volkstheater: Freddie Mercury bei den Räubern
THEATER Das genuin Theatrale steht im Mittelpunkt: Auch das 5. "Radikal Jung"-Festival am Münchner Volkstheater ist eine Plattform für Schauspieler und junge Regisseure.
Nein, jetzt wird nicht wieder über Sinn und Unsinn dieses Titels spekuliert. Darüber, was denn "radikal" mit "jung" verbinde oder was heute noch radikal sei, ist in den fünf Jahren, die das "Radikal Jung"-Festival am Münchner Volkstheater existiert, schon oft genug debattiert und gekalauert worden. Mittlerweile ist dieses unvergleichliche Sprungbrett für Regisseure, das etwa die Karrieren von Roger Vontobel, Jorinde Dröse oder Florian Fiedler befördert hat, etabliert genug, dass folgende Erklärung genügen dürfte: Allein die Entscheidung für das Medium Theater ist bereits radikal für einen heute jungen Menschen.
"Heute jung" sind die Ende der Siebziger- bis Anfang der Achtzigerjahre Geborenen, und da ist es wohl wirklich nicht hip, die permanente Bereitschaft zur Stehgreifparty gegen allabendliche Proben zu tauschen. Da sollte man schon wissen, warum man das tut. Und sofern diese Prognose kurz nach der Halbzeit bereits erlaubt ist: Die Regisseure wissen es diesmal sehr genau, und so ist das diesjährige Festival mit fünf Klassikern, zwei Uraufführungen und einer deutschen Erstaufführung ein dezidiertes Zugriffs- und Formenfestival geworden mit dem genuin Theatralen im Mittelpunkt. Und auch ein Schauspielerfest - wie etwa im Falle von Jette Steckels "Caligula" vom Deutschen Theater Berlin: Der fiebrig agierende Mirco Kreibich changiert in der Titelrolle als mordlustiger und todessehnsüchtiger römischer Kaiser zwischen Curt Cobain und Christus, legt mal die nackte Seele eines verletzten Kinds auf seine Züge und dann wieder den wahnsinnigen Herrscher in den Stechschritt. Das ist spannend, groß und enervierend, doch nach etwa einer halben Stunde haben Kreibichs Fähigkeiten, Piouretten zu drehen und megapathetisch den Tod zu begrüßen, alle Aufmerksamkeit vom Rest des Abends abgezogen. Dabei ist Steckels Idee bestechend, einen Kopierer als fast sachliche Hinrichtungsmaschine zu etablieren. Und man verzeiht ihr manch schräge Gleichsetzung von Kapital, Leben und Konsum für die Idee, dass der Zuschauer hier einer Aufführung beiwohnt, die er nach streng inszenierungsimmanenten Gesetzen schon nicht mehr erlebt, weil auch sein verzerrtes Abbild bereits effektvoll an die Rückwand der leeren Studiobühne getackert wurde.
Dass Lars Eidingers Musikgeschmack nicht mit den Musiken deckungsgleich ist, die er in seiner Debütinszenierung von Schillers "Die Räuber" verwendet, wurde bereits ausführlich kolportiert. Ihr Einsatz ist hier auch nicht atmosphärisch gemeint, sondern streng inhaltlich motiviert. In Michael Jacksons "Bad" spiegelt sich der böse Franz Moor, Queens "Bohemian Rhapsody" wird von Karl Moor und seiner Räuberbande zum Sound einer ganzen Szene erkoren - und der Text passt so genau, als sei er eigens für diesen Zweck geschrieben worden.
Mit dem Pop der Achtzigerjahre bricht der Schauspieler Eidinger, der seit zehn Jahren an der Berliner Schaubühne spielt, das klassische Pathos seiner Gefühlsdarsteller - und mit der richtigen Musik zum richtigen Zeitpunkt kriegt hier jeder jeden zu jeder Schandtat. Als professioneller Schauspieler zimmert Eidinger noch dem kleinsten seiner Darsteller eine Plattform, und Szenen fließen in schönster Weise nach der Logik des Spiels ineinander. Eidingers Schaubühnen-Inszenierung feiert die Mittel des Theaters und die "böse" Figur des Franz Moor, der sich als Einziger konsequent gegen das vom Vater repräsentierte System auflehnt, der fett, bräsig und krank, aber anders als bei Schiller auch unsterblich in der Sofaspielwiese vor dauerflimmerndem Bildschirm residiert. Doch mehr als diesen Generalverdacht gegen das Bestehende formuliert er nicht.
Die Faszination für das Böse und für Menschen, die sich mit unvorstellbarer Grausamkeit vom Leben und der Natur zurückholen, worum sie sich betrogen fühlen, verbindet viele der in München gezeigten Arbeiten. Sei es Franz Moor als ungeliebter Sohn oder der Rentner in Mereike Mikats Inszenierung von Iwan Wyrypajews "Die Reise", dem das Leben alles genommen hat bis auf die Freiheit, das Unerhörte zu tun, oder Caligula, dessen Macht sich der Mond entzieht und der dafür die ganze Menschheit büßen lässt.
Die Unbekümmertheit der ersten "Radikal Jung"-Runden scheint passé. Das Spielerische nicht. Der ungezügeltste Spieler ist Simon Solberg, der in seiner hauseigenen Produktion von "Faust I" ein Feuerwerk von Einfällen los- und keine popkulturelle Anspielung auslässt. Die konzentrierteste Spielerin ist Corinna Sommerhäuser, die es bei Anne Habermehls Stück "Letztes Territorium" mit einem Text zu tun hat, der Adoleszenz-, Flüchtlings- und Trennungsprobleme auf engstem Raum zusammenpackt. Besonnen kontert sie mit Reduktion, legt Stoffwürfel als Multifunktionsspielzeug in einen leeren Raum und erlaubt den Schauspielern zu spielen. Wie etwa die Reise von Mutter und Sohn ins All-inclusive-Paradies hautnah neben der Flucht von Mehdi aus Afghanistan steht - das spricht viel mehr an, als ausgesprochen wird.
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