piwik no script img

Radfahren extremQuerfeldein durch den Matsch

Beim Cyclocross geht es auf dem Rad durchs Gelände. Für Anu Haase und Silke Keil, gibt es nichts Schöneres, als im Winter durch den Matsch zu rasen.

Mit dem Rad auf der Schulter die Treppe hoch: Silke Keil (vorne) beim Cyclocross-Rennen in Elmshorn Foto: Michael Richter/HFS e.V.

Elmshorn taz | Als Anu Haase ins Ziel einrollt, streckt sie die Zunge raus, holt tief Luft und lächelt dann. Etwas mehr als 40 Minuten maximale Belastung auf dem Rennrad liegen hinter ihr. „Ich war die vergangenen Tage erkältet und bin deshalb mit meinem vierten Platz total zufrieden“, sagt sie immer noch lächelnd, nachdem sie von ihrem von Matsch verdreckten Rad abgestiegen ist – bei 4 Grad, grauem Himmel, leichtem Niesel.

Das Ziel, wo zwischen der teils plattgefahrener, teils matschiger Erde noch ein paar Grashalme stehen, gehört zum entspanntesten Abschnitt des Parcours, auf dem sie zuvor sechs Runden unterwegs war. Denn Haase fährt nicht die hierzulande deutlich bekannteren Radsportdisziplinen Straßen- oder Bahnradrennen, sondern Cyclocross.

„,Cyclocross' bedeutet: Man fährt im Winter auf Rennrädern durchs Gelände“, erklärt Knut Kalbertodt von der Radsportgemeinschaft Uni Hamburg, die das Rennen gemeinsam mit der Radsportsparte des FC St. Pauli organisiert.

Die Disziplin wird, wie der Radsport im Allgemeinen nach den dopingverseuchten 2000er-Jahren, seit einiger Zeit auch in Deutschland ein zunehmend beliebterer Breitensport. Nach Haases Ansicht könnte das auch daran liegen, dass es hier mehr Miteinander gibt.

Harter Sport – freundliches Miteinander

„Die Cyclocross-Community ist total nett und lieb untereinander“, sagt Haase, die nach dem Rennen ständig mit anderen Fah­re­r:in­nen oder Be­treue­r:in­nen in kurze Gespräche und Umarmungen kommt. Auch wenn die Fah­re­r:in­nen in Konkurrenz zueinander stünden, seien alle sehr umsichtig. „Vielleicht begründet das ebenso den Trend, dass auch wir Frauen zunehmend im Matsch spielen wollen“, sagt Haase.

Auch der 2,5 Kilometer lange Parcours mitten im Liether Wald im nordwestlich von Hamburg gelegenen Elmshorn führte am Samstagvormittag an vielen Stellen durch den Matsch. Die Cyclocross-Strecken zeichneten sich durch eine wechselnde Bodenbeschaffenheit aus, sagt Kalbertodt.

„Es geht über Wiesen und Sandböden, es geht steinerne Treppen hinauf und matschige Abhänge hinunter.“ Und zwischendurch darf es zur Entspannung auch mal ein Stück Asphalt sein, woraufhin aber scharfe, enge Kurven folgen, um den Fahrrhythmus zu brechen.

„Es ist nicht wie bei Straßenradrennen, bei denen man die ersten 100 Kilometer im Windschatten fährt und dann zur Schlussattacke ansetzt“, sagt Kalbertodt. Cyclocross bedeute: Es geht kurz und intensiv zur Sache.

Jeder kleine Fahrfehler kann zum Sturz und mindestens zum Zeitverlust führen

Das zeigt sich besonders beim Start eines Cyclocross-Rennens. Als Haase und ihre Konkurrentinnen am Start stehen und der Pfiff ertönt, setzen alle Fah­re­r:in­nen sofort zum Sprint an. Vor der ersten Kurve hat sich Silke Keil an die Spitze gesprintet. „Du musst sofort treten, treten, treten“, sagt Keil nach dem Rennen. Sie verbringt derzeit fast jedes Wochenende mit Cyclocross-Rennen. Sie trat auch schon in der Bundesliga an, stand bei Deutschen und Weltmeisterschaften auf dem Podium.

„2014 bin ich vom Triathlon zum Cyclocross gewechselt und seither total gerne im Wald, im Winter, im Matsch“, sagt die 50-jährige Hamburgerin. Ihre Spitzenposition wird sie bis zum Schluss nicht mehr abgeben, am Ende mit Dutzenden Sekunden Vorsprung ins Ziel rollen.

Der Gewinn des Stevens-Cup ist ihr nun kaum noch zu nehmen. Der Radhersteller fördert die von lokalen Radvereinen organisierten 14 Rennen, die den Winter über in Norddeutschland stattfinden und sich an Hobby-Fahrer:innen wie anspruchsvolle Ama­teu­r:in­nen richtet.

Silke Keil hat schon mehrere der Rennen gewonnen und führt die Rennserie bei den Ü-30-Frauen unangefochten an, worüber sich auch die 52-jährige Anu Haase sehr freut – die beiden sind gut miteinander befreundet. Haase ist auch mit sich voll zufrieden, steht aktuell auf dem dritten Platz der Wertung. „Ich bin ja im Vergleich zu Silke noch nicht so lange dabei“, sagt Haase.

Nicht befahrbar: Silke Keil läuft mit ihrem Rad einen sandigen Abhang hinunter Foto: Michael Richter/HFS e.V.

Rennrad gefahren ist sie schon länger, 2019 wollte sie dann auch mal Cyclocross ausprobieren. „Ich wusste, dass mir das gefallen würde und hab mich auch direkt mal für ein Rennen angemeldet“, sagt die 52-Jährige – und war beim Start ihres ersten Rennens ziemlich erstaunt: „Die anderen fuhren wie die Bekloppten“, erinnert sie sich lachend.

Das hohe Tempo gehe aber nur, solange man in jedem Moment des Rennens konzentriert ist, sagt Haase. Jeder kleine Fahrfehler könne zum Sturz und mindestens zum Zeitverlust führen. „Das sind sofort 20 bis 30 Sekunden Rückstand“, sagt Haase. Und ein kleiner Zeitrückstand ist noch eine harmlose Folge.

„Ich hab bei einem meiner ersten Rennen den Fehler gemacht und bei einer Abfahrt kurz nach hinten geschaut.“ Das passiere ihr nie wieder. Denn dadurch kam sie durch einen unbeachteten Huckel im Boden aus dem Gleichgewicht, fiel über den Lenker bergab – und brach sich eine Rippe. „Je schneller du fährst, desto schneller musst du reagieren – das musst du gut lernen“, sagt Haase.

Dass die Konzentrationsfähigkeit maximal gefordert wird, liegt auch an den Streckenverläufen. Im Liether Wald in Elmshorn bedeutet das: Schon kurz nach dem Start rollen die Fah­re­r:in­nen auf eine Treppe zu, die sieben, acht Meter nach oben führt. Mit dem Rad auf der Schulter laufen die Fah­re­r:in­nen die sichtlich rutschigen Stufen hoch und springen dann wieder schnell auf ihre Sättel.

Gerade noch reagiert

Später, als nach einem Abhang eine tiefe Sandkuhle wartet, müssen die Räder nochmal geschultert werden. Und auch, als zwei Holzbretter als Hindernis auf Kniehöhe vor den Fah­re­r:in­nen auftauchen.

Es gehe aber nicht darum, möglichst viele fiese Stationen auf der kurzen Strecke einzubauen, sondern die Anforderungen an die Fah­re­r:in­nen durch eine abwechslungsreiche Strecke hochzuschrauben, sagt Organisator Kalbertodt. „Unsere Stre­cken­pla­ne­r:in­nen fahren ja selbst Cyclocross und wissen daher, was macht Spaß“, sagt Kalbertodt.

Den haben an diesen Stellen auch die Dutzende Zuschauer:innen, die die Fah­re­r:in­nen anfeuern. „Ich muss gestehen: Ich kriege davon kaum etwas mit“, sagt Haase. „Während des Rennens bin ich wie in einem Tunnel.“ Der notwendigen Konzentration auf die Strecke ist das aber sicher dienlich – und dürfte dafür gesorgt haben, dass sie heil ins Ziel kam.

„In einer Kurve hinten im Wald war ich ein wenig weggerutscht und wäre fast gegen einen Baum gefahren“, berichtet Haase nach dem Rennen. Durch ein schnelles Abbremsen habe sie das aber gerade noch verhindern können. „Ansonsten kann ich aber sagen: Auch hier hat es wieder richtig viel Spaß gemacht.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Im Gelände mit Rennrad - muss man mögen. Trotzdem schön, dass auch bei uns in Deutschland ein neuer Radsport angekommen ist, der ohne Motor auskommt. Im Gelände sieht man ja inzwischen häufig überwiegend Pedelecs. War vor ein paar Wochen am Totengrund bei Wilsede: Um mich herum lauter Pedelecs. Und darauf Leute, von denen einige nicht einmal halb so alt wie ich waren.



    Ich bevorzuge für Fahrten durchs Gelände ein Tourenrad mit Mountainbike-Bereifung. Das hat einfach mehr Grip - vor allem bei aufgewühltem losen Sand, aber auch bei Matsch. Damit kommt man auch noch mit Ende 60 durchs Gelände.