„RTL Samstag Nacht“: Alle verarscht
Vor 25 Jahren experimentierte „RTL Samstag Nacht“ mit neuen Formaten. Längst eingestellt, prägt die Sendung bis heute das Unterhaltungsfernsehen.
Von Wehmut ist bei Hugo Egon Balder nichts zu spüren, angesichts des 25. Jubiläums der Comedy-Show „RTL Samstag Nacht“. „Nee, ich denke da nicht dran“, sagt Balder, der als Produzent seit der ersten Folge vom 6. November 1993 an der Sendung mitgearbeitet hat. „Ab und zu sagt mir das mal einer und dann sage ich: ‚Ach ja, doch schon so lange?‘ Und dann habe ich es auch schon wieder vergessen.“
Mit kontrovers-schlüpfrigen Spielshows wie „Alles Nichts Oder?!“ und „Tutti Frutti“ auf RTL, Quiz- und Gaga-Eventshows wie „Genial daneben“ und „Volltreffer! Schiffe versenken XXL“ in Sat.1 sowie der Promille-Talkshow „Der Klügere kippt nach“ auf Tele 5 hat Moderator und Produzent Balder in über 30 Jahren Privatfernsehen schon zu viel mitgemacht, um nostalgisch zu werden anlässlich des Jahrestags von „RTL Samstag Nacht“.
Dabei markiert die Sendung, die Balder zusammen mit seinem Freund, dem Autor und Songtexter Jacky Dreksler, für den Kölner Privatsender produziert hat, einen Einschnitt in der Geschichte der deutschen TV-Comedy, dessen Auswirkungen bis in die Gegenwart spürbar sind. Wer damals regelmäßig zu fortgeschrittener Stunde zuschaute, erinnert sich bis heute an Gags und Sketchreihen wie „Zwei Stühle – Eine Meinung“, „Märchen-Man“, „Kentucky schreit ficken“ oder die „Samstag-Nacht-News“.
Die Mitwirkenden wurden zu Stars. „Wir hatten uns von Anfang an vorgenommen, dass die sechs festen Ensemblemitglieder in drei bis vier Jahren jeder in Deutschland kennen soll“, sagt Balder über Wigald Boning, Esther Schweins, Olli Dittrich, Stefan Jürgens, Tanja Schumann und Mirco Nontschew.
Team vor Prominenz
Das Vorbild, die 1975 erstmals ausgestrahlte Comedy-Show „Saturday Night Live“ des Senders NBC, ist zu diesem Zeitpunkt längst eine Institution im US-amerikanischen Fernsehen und machte James Belushi, Bill Murray, Eddie Murphy und Julia Louis-Dreyfus zu Stars. Die deutsche Adaption orientiert sich am Original: Liveaufzeichnung vor Studiopublikum am Tag zuvor, Opening durch bekannte Gäste, die auch in Sketchen mitwirken plus Musikeinlagen.
„Jacky und ich waren schon seit ewigen Zeiten ‚Saturday Night Live‘-Fans. Als vom damaligen Programmdirektor Marc Conrad die Idee aufkam, so etwas auch in Deutschland zu machen, haben wir natürlich zugesagt“, sagt Balder. Von der ursprünglichen Idee, bekannte Gesichter wie Hella von Sinnen und Dirk Bach einzuspannen, rückt man ab, „weil wir ein Team wollten und keine einzelnen Stars“, sagt Balder.
Fast zeitgleich startet das Stand-up-Format „Quatsch Comedy Club“ in Hamburg, das zunächst beim Pay-TV-Sender Premiere läuft und ab 1997 auf ProSieben. Hier entdeckt Dreksler die beiden Köpfe, die „RTL Samstag Nacht“ nicht nur am deutlichsten prägten, sondern bis heute am populärsten sind: Wigald Boning und Olli Dittrich. Zusammen mit dem Berliner Mirko Nontschew, den Balder auf der Geburtstagsparty von Entertainer Frank Zander kennenlernt, gehören sie zu den ersten festen Mitgliedern.
Das Gesamtkonzept profitiert aber vom gemischten Cast: exzentrische Comedians einerseits, ergänzt mit professionellen Schauspielern. „Da kam Stefan Jürgens, der uns in einem fünfminütigen Vortrag erzählt hat, dass er nicht komisch ist. Danach haben wir zu ihm gesagt: ‚Wenn du das so machst, dann lachen wir uns tot.‘ Daraufhin ist er geblieben“, erinnert sich Balder.
Starthilfe von Rudi Carrell
Ansonsten beweisen Sender und der damalige RTL-Chef Helmut Thoma mit dem ambitionierten Projekt längeren Atem. Die ersten Folgen der Sendung, die samstags erst um 0 Uhr ausgestrahlt werden, erhalten wenig Aufmerksamkeit. Trotzdem wird sie nicht abgesetzt. Dann mischt sich eine andere TV-Unterhaltungslegende ein – und bewirkt das, was Balder als Initialzündung für den Erfolg der Sendung bezeichnet: „Rudi Carrell hat an Thoma einen Brief geschrieben, ob er wüsste, was er da für ein Juwel hätte. Daraufhin hat sich RTL entschlossen, das Ganze eine Stunde früher zu senden.“
Tatsächlich steigen die Quoten und binnen einem Jahr wird die Sendung zum Massenphänomen und Pflichtprogramm auf den Schulhöfen. „Mitschüler, die vorher kaum deutsche Comedy gemocht haben, guckten jede Folge, zitierten ganze ‚Kentucky schreit ficken‘-Sketche und kauften sich die Platten von den ‚Doofen‘. Da war klar: Das Ding ist für Deutschland ein Phänomen“, erinnert sich ‚heute-Show‘-Autor Thomas Rogel.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
„RTL Samstag Nacht“ sticht mit seinem bunten Anarchismus angestaubte Polit-Kabarett-Programme aus und gewinnt in den folgenden Jahren zahlreiche renommierte Auszeichnungen vom Bambi bis zum Grimme-Preis. „Wir haben in der Sendung vieles gemacht, was vorher nicht gemacht wurde“, erklärt Balder auf die Frage nach dem Erfolgskonzept. „Wir haben die Politik verarscht, die Kirche verarscht – wir haben alles verarscht. Wir haben die Werbung verarscht, wir haben den eigenen Laden verarscht.“ Doch den speziellen Charakter der Sendung machen nicht nur die Respektlosigkeit und das Chaos-Prinzip aus – die haben Hape Kerkeling in „Total Normal“ und Harald Schmidt mit „Schmidteinander“ bereits zuvor zelebriert.
„RTL Samstag Nacht“ bietet vielmehr seinen Talenten im Ensemble die Freiheit, sich zu entfalten und weiterzuentwickeln. Das wiederum stärkt das gesamte Team. Inhaltlich schwankt die Show im Minutentakt zwischen Slapstick, Dada, platten Gags und treffsicherer Satire – und wird so zur unvorhersehbaren Wundertüte.
Zudem bekommen hier auch neue Comedians wie Rüdiger Hoffmann, Ingo Appelt oder Hennes Bender als Gäste die Möglichkeit, sich vor einem Millionenpublikum zu präsentieren. Damit legt der Sender die Grundlage seiner Comedy-Strategie, die sich in der Zusammenarbeit mit Mario Barth, Ilka Bessin, Chris Tall oder zuletzt noch Bülent Ceylan bis in die Gegenwart fortsetzt.
„Was gut ist, kommt weg“
Doch nach fünf Jahren ist Schluss. Im Gegensatz zum US-amerikanischen Vorbild, das sich in 33 Sendejahren immer wieder mit neuen Talenten erneuern kann und seit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten eine popkulturelle Renaissance erlebt, schaffte es RTL nicht, den Staffelstab an eine neue Generation weiterzugeben. Die taucht stattdessen bei der Konkurrenz auf – sei es in der „Wochenshow“ von Sat.1, die das News-Anchor-Prinzip übernimmt, oder der fantasievoll-schrägen „Bullyparade“ und den Medienparodien in „Switch“ bei ProSieben. 2005 wird die Kult-Show unter dem Namen „RTL Comedy Nacht“ mit neuem Cast versucht – doch das floppt bei den Zuschauern. Die Energie und Genialität des Originals werden nicht mehr erreicht.
Heute fehlt eine regelmäßige anarchisch-frische Ensemble-Show in der hiesigen Fernsehlandschaft. Erben wie die „heute-Show“ wirken dagegen zu öffentlich-rechtlich und gesetzt – und das „Neo Magazin Royale“ steht und fällt ausschließlich mit der Form ihres Stars Jan Böhmermann. Der WDR-Produktion „Die unwahrscheinlichen Ereignisse im Leben von …“, produziert von den „Neo Magazin Royale“-Machern der bildundtonfabrik zwischen 2014 und 2016, hätte Balder eine solche Rolle zugetraut.
Doch die Reihe wurde eingestellt – worüber Balder sich ärgert: „Tja, das ist WDR. Was gut ist, kommt weg. Das ist traurig, weil es so einen großen Spaß mit denen gemacht hat und die Ideen so geil waren.“ Doch auch bei den Privatsendern setzt man längst auf vermeintlich sichere Namen und Konzepte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation