RAF-Opfer: "Wir spürten die Gefahr!"
Auf einem Symposium in Stuttgart berichteten Angehörige der von der RAF ermordeten Menschen wie sie unter den Terroranschlägen litten.
Die Opfer der RAF kämen bei der aktuellen Rückschau auf die bleierne Zeit vor jetzt 30 Jahren nach wie vor zu kurz, konstatierte der Leiter des Hauses der Geschichte (HDG) in Baden-Württemberg, Thomas Schnabel. Der Historiker führte am Donnerstagnachmittag in das Thema des Stuttgarter Symposions 2007 des HDG ein: "Die Opfer der RAF." Dass auch die Hinterbliebenen der von der RAF ermordeten Menschen Opfer der Terrororganisation seien, habe die Gesellschaft ohnehin überhaupt noch nicht hinreichend gewürdigt.
",Lebenslänglich' gilt nicht nur für die gefassten Täter, ,lebenslänglich' haben auch die Angehörigen der Opfer bekommen", sagt dann am Abend auf einer Podiumsdiskussion der ehemalige Oberbürgermeister von Stuttgart, Manfred Rommel. Die Söhne des von der RAF ermordeten damaligen Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer und des früheren Generalbundesanwaltes Siegfried Buback können das nur bestätigen. Noch heute empfindet etwa der Chemieprofessor Michael Buback (62) "Beklemmung", wenn er an den "Deutschen Herbst" denkt: "Wir spürten immer die Gefahr!" Die über sie hereinbrechende Gewalt habe ihr ganzes Familienleben verändert. Über Jahre hinweg habe man "im ständigen Ausnahmezustand gelebt".
Wie das konkret aussah, beschrieb der Sohn des ehemaligen baden-württembergischen Justizministers Guntram Palm, Christoph, der damals 11 Jahre alt war. Das Haus der Familie wurde umgebaut: Fensterglas wurde durch Panzerglas ersetzt, im Keller ein Fluchtraum eingerichtet. Im Haus seien immer vier Polizisten gewesen und draußen noch einmal fünf. "Kein Schulgang, keine Musikstunde, kein Sport ohne Polizeibegleitung", erinnert sich Palm. Es habe ein Codewort gegeben für den Fall, dass sich Gäste, die als harmlos eingestuft worden seien, doch als bedrohlich entpuppen sollten: "Doppelter Schnaps!"
Als man dann bei der Festnahme von Eva Haule den Pass einer Nachbarin der Familie Palm fand, wurden die Sicherheitsmaßnahmen noch verschärft. Die Bedrohung sei allgegenwärtig gewesen und die Angst groß. "Palm weg! RAF", stand eines Tages als Graffito auf einer Brücke auf dem Schulweg von Christoph Palm. Im Englischunterricht brach der Junge dann zusammen. Später wurde aus einem Hubschrauber heraus das Haus der Familie Palm fotografiert. Auftraggeber war der Terrorist Christian Klar.
Palm will sich nicht mit den Kindern oder Ehefrauen der Ermordeten vergleichen, die Opfer in einer ganz anderen Dimension geworden seien. Aber die psychische Belastung sei auch bei ihnen groß gewesen.
Wie sich viele der Hinterbliebenen fühlen, erzählte kürzlich Claudia Groppler. Sie ist die Tochter des 1986 von der RAF mit einer Bombe mit in die Luft gesprengten Fahrers des ehemaligen Siemens-Vorstandsvorsitzenden Karl Heinz Beckurts, Eckhard Groppler. Dem Südwestrundfunk sagte sie: "Mein Vater ist nicht einfach gestorben, weil er krank war, sondern er wurde kaltblütig und absolut sinnlos umgebracht."
Einig waren sich die Diskutanten in einem Punkt: Die Hinterbliebenen hätten ein Recht darauf, zu wissen, "wer genau wen ermordet hat." Einer der Teilnehmer regte die Einrichtung "einer Art von Wahrheitskommission" an "30 Jahre danach".
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