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■ QuerspalteHöher, schneller, am Anfang

Da mühen wir uns, daß alles besser wird, strampeln, schwitzen, stöhnen – und am Ende sind wir wieder da, wo wir hergekommen sind. Schon meine Oma wußte das (und Goethes Faust, der arme Tor, der am Ende so klug war als wie zuvor). Nur die Bahn AG hat das nicht begriffen.

„Das ist ein gewaltiger Schritt nach vorn“, ächzte der neue Bahnchef Ludewig vorgestern auf der Jungfernfahrt und strahlte über seinen neuen ICE2 „Fliegender Hamburger“ wie Jim Knopf, als der seine eigene Eisenbahn bekam. Nur zwei Stunden vierzehn Minuten braucht der ICE künftig von Berlin nach Hamburg, und viele fürchteten schon, Ludewig würde vor Begeisterung gleich wieder als Chef zurücktreten, um Lokführer zu werden. Im Jungfernzug flogen auch Diepgen und Voscherau: Berlins Bürgermeister natürlich staatsmännisch begeistert, nur Voscherau nöhlte rum, mit dem Transrapid ginge das alles viel schneller.

Als Hamburger weiß er nämlich, wer dem Zug beim Namen Pate stand: der „Fliegende Höllander“, ein Geisterschiff, verflucht, auf ewig ziellos übers Meer zu kreuzen – die Matrosen scheintot und kein Fortschritt. Tatsächlich hat schon 1933 ein Zug die Strecke in zwei Stunden 17 Minuten geschafft. 60 Jahre hat die Bahn gebraucht, Tonnen tollster Technik, ein irre cooles Design und über drei Milliarden Mark für neue Schienen, um die Strecke nun drei Minuten schneller zu schaffen – von Berlin nach Hamburg, versteht sich. Andersherum braucht der Zug fünf Minuten mehr als 1933, und das, obwohl sich die Erde unter ihm samt Berlin entgegendreht. Da steht er also da, der Bahnchef Ludewig, nach der Jungferntour und ist so schnell als wie zuvor.

Selbst einer der vorgeblich lahmeren ICs fährt die Strecke in zwei Stunden 20. Andere ICs brauchen dagegen bis zu zwei Stunden 34, je nach Uhrzeit und Fahrtrichtung. Ein Rätsel, das selbst Einsteins Relativitätstheorie nicht zu lösen vermag. Und die ist schon schwer zu verstehen. Wer aber versteht den Fahrplan der Bahn? Matthias Urbach

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